MIT Technology Review 4/2023
S. 59
Report
Kolumne

Deutschlandticket, Digitaldebatten und kein Bus

Warum ein Papierstück durchaus digital sein kann und was das mit mangelndem Verständnis von Digitalisierung, pünktlichen Bussen und dem 49-Euro-Ticket zu tun hat.

Meine Jugend auf dem österreichischen Land war geprägt von selten fahrenden Bussen und vielen Verkehrstoten. Heute wohne ich in Berlin und fahre täglich mit der U-Bahn. Ich ♥ Öffis. Es ist so unkompliziert. Leider hat man in Deutschland das Talent dazu, Dinge im Zeichen der Digitalisierung sinnlos kompliziert anstatt einfacher und effizienter zu machen. Neuestes Beispiel ist die Diskussion um das Deutschlandticket, besser bekannt als das „40 Euro zu teure 9-Euro-Ticket“. Es startete am 1. Mai. Im Vorfeld gab es eine Debatte darüber, in welcher Form das Ticket verfügbar sein soll: als Papierschein, Chipkarte oder via App. Eines war für den Verkehrsminister schnell klar: richtig „digital“ muss es sein, die millionenfach bewährte Variante aus Papier muss weg. In einem modernen Deutschland setzt man auf Chipkarte und App. Dabei sind weder App noch Chipkarte besonders neu und innovativ. In Berlin kaufe ich meine Tickets seit zehn Jahren per App. Aber wenn der Akku leer ist, rettet mich der gute alte Papierschein vom Automaten.

Digitalisierung, damit kämpfen die Verkehrsbetriebe nicht erst seit heute. Gemeinsam mit anderen Open-Data-Aktivistinnen und Aktivisten setzte ich mich vor elf Jahren dafür ein, dass Nahverkehrsdaten von Berlin und Brandenburg offen zur Verfügung gestellt werden. Unser Ziel war es, dass Menschen einfacher an ÖPNV-Informationen kommen und dadurch häufiger auf Bus und Bahn umsteigen. So ist es nach zähen Debatten auch gekommen: 2012 war Berlin die erste Stadt Deutschlands mit offenen Nahverkehrsdaten. Der Digitalisierungsschritt erfüllte seinen Zweck: Heute kann ich über jede x-beliebige App Nahverkehrsrouten einsehen. Umsteigen auf Öffis wurde dadurch einfacher und attraktiver.