c't 18/2023
S. 3
Standpunkt
Bild: Mash

KI: Atemloses Rennen

Fakten schaffen, KI-Mythen verbreiten, Konkurrenz auf Abstand halten, Regulierer besänftigen, die Zeit drängt. In atemberaubender Geschwindigkeit peitscht das mittlerweile milliardenschwere KI-Start-up OpenAI die Entwicklung seines ChatGPT-Ökosystems voran und die Konkurrenz vor sich her. Es geht um nichts Geringeres als die Frage, wer der nächste Gatekeeper des Internets wird.

Google hielt sich mit seiner Sprach-KI namens Bard zunächst vornehm zurück. Genüsslich ließ es OpenAI nebst Microsoft die Häme für das wirre Zeug kassieren, das ChatGPT und seine Derivate in die Welt bliesen. Falsche Taktik. OpenAI erntet bereits die Früchte seines groß angelegten Betatests, für den es geschickt die versammelte Intelligenzia als Heer unbezahlter Clickworker einspannt. Nun wirft auch Google in einem Akt der Verzweiflung seinen unfertigen Bard in den Ring.

​Während der ins Hintertreffen geratene KI-Pionier seine Feuertaufe absolviert, pusht OpenAI seine Plug-in-Infrastruktur, siehe Seite 128. Sie soll dem Chatbot geben, was ihm fehlt: Aktualität, Verlässlichkeit, analytische Fähigkeiten. Mit diesem Bauerntrick könnte die Sprach-KI doch noch zur allmächtigen Kommunikationszentrale werden und die externen Websites zu anonymen Content-Lieferanten degradieren. Datenschutz, Urheberrecht und Systemsicherheit sind da erst mal zweitrangig, und das ist gefährlich. Angesichts der langwierigen juristischen Auseinandersetzungen mit Facebook kann niemand ernsthaft glauben, dass sich solche grundsätzlichen Probleme noch im Nachhinein lösen lassen, nachdem die Claims abgesteckt sind.

Wie gut, dass es noch kritische Geister auf der Welt gibt, die sich nicht jeden Unfug gefallen lassen. Die vermeintlich anonymen Content-Lieferanten der ersten Stunde haben bereits erkannt, dass sie – noch – in der Hand haben, ob und wie KI ihr Leben und Arbeiten verändert: US-amerikanische Schauspieler, Drehbuchautoren und Künstler. Sie streiken, solange sie noch gebraucht werden. Oder wehren sich vor Gericht dagegen, dass ihre Werke massenweise und unentgeltlich zu Trainingszwecken an Maschinen verfüttert werden. Auch die Aufsichtsbehörden bleiben den Konzernen diesmal hart auf den Fersen, sowohl die EU mit ihrer geplanten KI-Verordnung als auch die US-amerikanische Federal Trade Commission, die jetzt umfangreiche Transparenznachweise und Risikobewertungen von OpenAI einfordert.

​So viel Zeit muss sein. Die Gesellschaft tut gut daran, sich nicht überrumpeln zu lassen. Selbst Google warnt seine Mitarbeiter davor, den eigenen Chatbot zu nutzen, weil er Firmengeheimnisse ausplaudern könnte. Apple und Samsung haben den Einsatz von ChatGPT & Co. sogar verboten.

Andrea Trinkwalder
Andrea Trinkwalder

Andrea Trinkwalder

Kommentieren