c't 15/2023
S. 14
Aktuell
Microsoft-Abos
Bild: Peter Kneffel/dpa

Gefangen in der Cloud

Google wirft Microsoft Wettbewerbsbehinderung vor

Microsoft binde Kunden mit altbekannten Tricks an den eigenen Cloud-Dienst Azure und baue künstliche Mauern gegen Konkurrenten auf, beklagen Google und andere Konkurrenten. Das ruft die Kartellwächter der EU auf den Plan.

Von Dr. Stefan Krempl

Microsoft bringt durch wettbewerbsbeschädigende Praktiken das gesamte Cloud-Geschäft in Verruf. Diesen schweren Vorwurf hat Amit Zavery, Google-Cloud-Chef, gegenüber c’t erhoben. Konkret geht es um die enge Anbindung von Windows und des Software-Pakets MS 365 an die Azure-Cloud, die Konkurrenten und Kunden benachteilige. Der US-Softwareriese wende in den Rechnerwolken die gleiche Taktik an, mit der er in anderen IT-Geschäftsfeldern seit vielen Jahren größtenteils erfolgreich gewesen sei, moniert Zavery: „Zuerst die Produkte bündeln, dann eine Anbindung an sie schaffen und schließlich Marktanteile in einem neuen Segment erschließen.“

Seit dem Streit über den Internet Explorer und den Media Player in den 1990ern habe sich da wenig geändert. Die Ausgangsbasis sei immer die Dominanz von Microsoft Windows und Office bei Betriebssystemen und Bürosoftware, wobei Letztere mit MS 365 mittlerweile selbst in die Cloud gewandert ist.

Mit ihrer speziellen Lizenz- und Bündelpolitik nutzten die Redmonder diese starke Stellung „auf jede erdenkliche Weise“, um exklusive Deals mit Kunden einzufädeln und diese schließlich in ihrer Welt gefangenzuhalten (Lock-in-Effekt). Das gelte etwa für die Bündelung der Videokonferenz-Software Teams mit dem MS-365-Abo. Konkurrent Slack hat dagegen bereits Mitte 2020, also kurz nach den Pandemie-Lockdowns in vielen umsatzstarken Staaten, bei der EU-Wettbewerbsbehörde Beschwerde eingereicht.

Amit Zavery, Hauptgeschäftsführer von Google Cloud, beklagt die enge Anbindung von Windows und Microsoft Office an die Azure-Cloud., Bild: Google
Amit Zavery, Hauptgeschäftsführer von Google Cloud, beklagt die enge Anbindung von Windows und Microsoft Office an die Azure-Cloud.
Bild: Google

Wer Windows in der Cloud nutzen wolle, könne nicht einfach einen Anbieter auswählen, erklärt Zavery. Microsoft lege anhand von Listen bevorzugter Provider fest, wer als Wettbewerber auftreten dürfe. Kunden, die Windows etwa in Amazons Cloud AWS oder auf der Google-Cloud-Plattform (GPC) laufen lassen wollten, müssten zusätzlich zahlen. Ferner verknüpften die Redmonder Windows auch in der Cloud mit ihrem Verzeichnisdienst Active Directory, was den Spielraum für alternative Anbieter weiter einschränke.

Die Lizenzpolitik Microsofts rund um Software-Angebote in der Cloud ist undurchsichtig. Einerseits verknüpft das Unternehmen mit der cloudbasierten Komplettlösung E5, für die Reseller bei einem Jahresabo 57,02 Euro pro Monat berechnen, nicht nur MS 365 und erweiterte VoIP-Funktionen. Insgesamt kommen 30 verschiedene Produkte mit dazu. Die haben teils nur noch wenig mit Kollaboration zu tun wie etwa im Fall der Antivirus-Lösung Defender. Unabhängigen Anbietern solcher Zusatzprogramme gräbt Microsoft so das Wasser ab.

Umwandlung in Abos

Die mit den Bündeln verknüpften Rechte hat der Konzern parallel eingeschränkt. So können Kunden seit 2019 ihre alten Lizenzen nicht mehr zu einer „geteilten Infrastruktur“ der Cloud-Konkurrenten AWS, Google und Alibaba mitnehmen. Azure steht zwar – im Gegensatz etwa zu weniger großen Wettbewerbern wie IBM, Oracle oder SAP – pro forma auch auf dieser „schwarzen Liste“. Aber offenbar nur, um die Aufmerksamkeit der Kartellwächter nicht sofort auf diese Maßnahme zu lenken. Der Trick dabei: Microsoft gestattet es der eigenen Klientel, ihre alte Lizenz in ein neues Abo umzuwandeln, das exklusiv auf Azure läuft.

Wichtiger Nebeneffekt für die Redmonder: Sie können so einst „für immer“ gekaufte Software in Unternehmensumgebungen ausmustern und einen ständigen Einnahmefluss über kontinuierlich zu erneuernde Abos erzeugen. Erweiterte Sicherheitsupdates sind zudem nur unter Azure gratis. Die Mitnahme von Windows zu einem der gelisteten Cloud-Anbieter schlägt mit 25 Prozent Aufpreis zu den allgemeinen Lizenzgebühren zu Buche. Der Windows Server bleibt generell außen vor.

EU fordert Interoperabilität

Die EU-Kommission hat mit dem Data Act ein Gesetz auf den Weg gebracht, das den einfachen Wechsel zwischen Onlinediensten erleichtern soll. Wenn ein Nutzer etwa beschließt, einen Systemdienst, eine Software oder eine Anwendung von einem Cloud-Anbieter zu einem anderen zu verlagern, soll ihm demnach eine „funktionale Gleichwertigkeit“ geboten werden. Die Brüsseler Regierungsinstitution will dafür eine weitgehende Kompatibilität mit offenen Standards oder Programmierschnittstellen vorschreiben, was der EU-Rat und das Parlament unterstützen.

Interoperabilität und Transparenz seien „wichtige Aspekte“, begrüßt Zavery diese Initiative prinzipiell. Regulierer müssten Konkurrenten wie Microsoft dann aber auch genau auf die Finger schauen, damit sie die Vorgaben umsetzen. Dem Lizenzgebaren der Redmonder lasse sich damit kein Einhalt gebieten.

Wettbewerbsbeschwerden

Google ist mit seiner Kritik nicht allein. Der französische Cloud-Dienstleister OVHcloud bestätigte, voriges Jahr bei der Wettbewerbsabteilung der EU-Kommission eine Beschwerde gegen Microsoft wegen Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung eingereicht zu haben. Im Zentrum der Eingabe steht auch hier die Art und Weise, wie der Softwareriese seine Produkte wie MS 365 vermarktet sowie preisliche und technische Hürden aufbaut.

„Microsoft nutzt seine Vormachtstellung bei Produktivitätssoftware, schränkt die Auswahl ein und treibt die Kosten in die Höhe, wenn europäische Kunden in die Cloud wechseln wollen“, beklagte zudem der Verband Cloud Infrastructure Service Providers in Europe (CISPE) im November. Kunden würden quasi dazu gezwungen, Anwendungen direkt bei Microsoft hosten zu lassen. Der italienische Datenzentrumsbetreiber Aruba und ein dänischer Cloud-Branchenverband haben sich mit ähnlichen Argumenten an Brüssel gewandt. CISPE argwöhnte zuletzt im April, Microsoft könne mittlerweile die Preise sogar mit Verweis auf schwankende Wechselkurse in dem Wissen erhöhen, dass die Abnehmer nicht anders könnten als zu zahlen.

Das Ausmaß der Preisanstiege für Microsoft-Abonnements hat ein Niveau erreicht, das Unmut selbst bei Vorstandschefs auslöst. Kunden, deren Abo-Verträge auslaufen, sähen sich mit Erhöhungen von 30 bis 40 Prozent konfrontiert, sagt etwa Verhandlungsberater und Chef der Negotiation Advisory Group (NAG), René Schumann. Ein größeres mittelständisches Unternehmen mit einer Milliarde Umsatz müsste so bei jährlichen Kosten von 20 Millionen Euro für Microsoft-Produkte sechs Millionen Euro mehr hinblättern. Die Rede sei von einem Würgegriff des Softwaregiganten.

Mit solchen Reaktionen sieht Andreas Thyen vom Anbieter LizenzDirekt ein „böses Erwachen aus dem Cloud-Traum“ verknüpft. Lange Zeit hätten Kunden die negativen Effekte von Abo- und Cloud-Modellen verdrängt und sich wenig Gedanken über „Lock-in-Effekte, Verlust von Datenhoheit und einseitigen Preiserhöhungen gemacht“. Dazu komme das „aggressive Gebaren, mit dem Microsoft seine Konditionen umsetzt“. Staatliches Eingreifen allein reiche da nicht.

Auch Kunden müssten „selbst wieder mehr Verantwortung übernehmen“ und genau abwägen, ob nicht der Kauf von Software und der Betrieb auf eigenen Rechnersystemen sinnvoller und rentabler sei, rät Thyen. Dies ermögliche es ihnen zugleich, die Vorteile des Marktes für Gebrauchtsoftware auszuschöpfen. Die Abhängigkeit von Microsoft „ist eh schon so groß“, schlägt der Informatiker Thomas Scherhag in die gleiche Kerbe. Wenn erstmal alles in Azure liege, „hat man so gut wie keine Chance mehr, da rauszukommen. Und es ist signifikant teurer.“ Zugleich habe auch die generelle Administration von Azure-Umgebungen Tücken und brauche eigene Kompetenzen, um sie zu meistern.

Kartellwächter geweckt

Die EU-Wettbewerbshüter prüfen inzwischen, ob Microsoft seine Marktmacht ausnutzt, um Konkurrenten im Cloud-Geschäft zu verdrängen. Die Kartellwächter befragen derzeit im Rahmen einer informellen Untersuchung Kunden und Wettbewerber, ob die Redmonder etwa vertrauliche, aufgrund von Geschäftsbeziehungen erlangte Hinweise nutzen, um andere Cloud-Anbieter in Bieterverfahren austricksen zu können. Erste Anzeichen gibt es schon, dass eine förmliche Kartelluntersuchung in Vorbereitung ist. Die US-Handelsbehörde FTC hat ebenfalls damit begonnen, die Geschäftspraktiken der großen Cloud-Anbieter zu beleuchten.

Microsoft gelobte bereits wiederholt Besserung und fairere Praktiken, was den Kritikern aber nicht ausreicht. Ein Konzernsprecher hob gegenüber c’t hervor: „Wir haben bewiesen, dass wir bereit sind, auf alle berechtigten Bedenken bezüglich unserer Cloud-Lizenzierungsbedingungen einzugehen. Weltweit haben bereits mehr als 100 Cloud-Anbieter – 75 davon in Europa – von unseren jüngsten Lizenzänderungen Gebrauch gemacht.“ Laut unabhängigen Marktbeobachtern sei der Wettbewerb in Europa zwischen den großen Cloud-Hyperscalern „nach wie vor gesund“. Im 4. Quartal 2022 konnten Microsoft und Google leichte Gewinne gegenüber AWS verbuchen, das weiterhin mit großem Abstand Marktführer bleibt. (hag@ct.de)

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