c't 9/2022
S. 40
Aktuell
Videostreaming

Friedensangebot für Mitgucker

Netflix startet neue Initiative gegen Account Sharing

Im vergangenen Jahr klopfte Netflix erstmals Kunden auf die Finger, die Freunde und Bekannte mitgucken lassen. Nun hat der Dienst eine neue Initiative gestartet, damit aus Mitguckern echte Abonnenten werden.

Von Nico Jurran

Love is sharing a password.“ – diese Botschaft verbreitete Netflix im März 2017 über seinen offiziellen Twitter-Account. Der Tweet lässt sich dort heute noch finden, doch seit dem Frühjahr vergangenen Jahres ist klar, dass die Liebe des Videostreaming-Dienstes für die Passwortweitergabe erloschen ist: Zu dem Zeitpunkt tauchten Screenshots von Netflix-Mitteilungen auf, die US-Nutzer bei Verdacht auf Account Sharing aufforderten, ihr Konto zu verifizieren – wohl ausgelöst durch zeitnahe Zugriffe über mehrere IP-Adressen. Netflix erklärte daraufhin, es habe sich um einen Test mit einem ausgewählten Abonnentenkreis gehandelt (siehe c’t 8/2021, S. 33). Danach wurde es um das Thema wieder ruhig.

Doch nun hat Netflix eine neue Initiative gestartet: Der Dienst bietet Kunden in Chile, Peru und Costa Rica an, gegen Aufschläge von umgerechnet je 2 bis 3 Euro pro Monat und Person bis zu zwei weitere Mitglieder zu bestehenden Netflix-Verträgen hinzuzufügen oder die Profile von Mitguckern in eigene Verträge zu überführen. Beworben werden die Unterverträge damit, dass sie preiswerter sind als neue Kontrakte. In beiden Varianten bleiben zudem Historie, Favoriten und persönliche Empfehlungen erhalten.

Wie im vergangenen Jahr beruft sich Netflix auf seine Nutzungsbedingungen, nach denen Inhalte „nicht mit Personen, die nicht im gleichen Haushalt leben, geteilt werden“ dürfen. Erlaubt ist die gemeinsame Nutzung in Wohngemeinschaften, aber etwa nicht mit Kindern, die ausgezogen sind. Das gilt auch für Abos mit zwei oder vier parallelen Streams.

Zwar handelt es sich bei der neuen Initiative wieder um einen Test, doch diesmal sehen die Hinweise nicht nur ausgewählte Abonnenten, sondern ganz offiziell alle betroffenen Kunden in diesen Ländern.

Netflix veröffentlichte zu der neuen Initiative, die aus Mitguckern Abonnenten machen soll, eine offizielle Pressemitteilung.
Bild: Netflix (Screenshot)

Kostenexplosion

Daran, dass Netflix durch die Mitgucker Geld durch die Lappen geht, besteht kein Zweifel. Laut US-Marktforschungsinstitut Magid geben 33 Prozent aller Netflix-Nutzer ihre Zugangsdaten an mindestens eine Person weiter. Manche Freunde und Bekannte schließen sogar direkt gemeinsam Abos ab. Auf der anderen Seite werden Inhalte immer teurer, seit Apple und die meisten Hollywood-Studios eigene Abo-Dienste am Markt haben. Netflix’ größter Konkurrent auf dem globalen Streaming-Markt, Disney+, will seine Ausgaben in diesem Bereich 2022 daher auf rund 33 Milliarden US-Dollar erhöhen, was einem Anstieg von 8 Milliarden gegenüber dem Vorjahr entspricht – und fast doppelt so viel ist wie die 17 Milliarden Dollar, die Netflix für dieses Jahr vorgesehen hat.

Netflix’ Wachstum hält da nicht mehr mit: Der Dienst konnte im vierten Quartal 2021 zwar 8,3 Millionen Neukunden gewinnen, das waren aber 200.000 weniger als selbst erwartet. Die Marktforscher von Digital TV Research sagen voraus, dass Disney+ bis 2026 auf insgesamt 271 Millionen Abonnenten kommt und ein Jahr später Netflix überholt. Der Noch-Marktführer hatte Ende 2021 rund 222 Millionen Abonnenten, soll bis 2026 diese Zahl aber nur auf 275 Millionen steigern können.

Netflix’ neue Initiative zeigt, dass der Dienst den Kampf gegen das Account Sharing nicht aufgegeben hat, sondern nun schaut, ob sich Mitgucker „im Guten“ überzeugen lassen oder ob man sie (vorübergehend) sperren muss. Ob der Plan aufgehen kann, ist umstritten: 45 Prozent der US-Kunden, die ihre Daten teilen, gaben bei einer Umfrage von CivicScience an, ihr Abo zu kündigen, wenn sie dafür extra zahlen müssten.

Als weitere Optionen blieben Netflix sonst wohl nur billigere Abonnements, die wie künftig bei Disney+ durch Werbung mitfinanziert werden würden (siehe c’t 8/2022, S. 53), oder weitere Preiserhöhungen. Aber auch an dieser Schraube dürfte sich nicht unendlich drehen lassen. (nij@ct.de)

Nicht gut gealtert: 2017 propagierte Netflix in einem Tweet noch, dass die Weitergabe des Passworts ein Zeichen der Liebe sei.
Bild: Twitter (Screenshot)

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