c't 8/2020
S. 92
Test & Beratung
Videostreaming: Plattformen
Bild: Thorsten Hübner

Inseln der Glückseligkeit

Flatrate-Videostreamingdienste im Vergleich

In kürzester Zeit hat sich die deutsche Videostreaming-Landschaft ­radikal gewandelt: Erschien Netflix’ Flatrate-Angebot noch vor einem Jahr als unschlagbar, locken heute Apple TV+ und Disney+ mit exklusiven Filmen, Serien und Dokumentationen. Kunden, die nicht für viel Geld gleich alle Dienste abonnieren wollen, müssen sich also entscheiden.

Von Nico Jurran

Nüchtern betrachtet ist am 24. März hierzulande mit Disney+ nach Amazon Prime Video, Netflix, Apple TV+ und den deutschen Angeboten Joyn Plus+ und TV Now Premium der sechste Flatrate-­Videostreamingdienst gestartet, der gegen einen monatlichen Festbetrag den unbeschränkten Zugriff auf Videos aus einem fortlaufend aktualisierten Katalog bietet. Doch diese Aussage erfasst nicht im Ansatz die Tragweite dieser Entwicklung.

Das fängt damit an, dass sich Disney als erster Medienkonzern vom Inhalte-Lieferanten zum Dienstbetreiber für dieses offiziell SVoD („Subscription Video on Demand“) genannte Flatrate-Abrufmodell gewandelt hat. Amazon und Netflix erwächst somit nicht nur ein neuer Konkurrent, sondern durch Disneys Seitenwechsel fallen auch Inhalte weg, mit denen sie ­bislang ihr Angebot bestritten haben.

Die Folgen kann man bereits an Netflix’ Ankündigung ablesen, künftig enger mit Nickelodeon und dem japanischen Zeichentrickstudio Ghibli zusammenzuarbeiten. Der Dienst hält so seinen Kinderbereich gefüllt. Doch die Disney-Filme sind auf lange Sicht weg – auch wenn ­einige Titel aufgrund laufender Verträge aktuell noch abrufbar sind.

Mit dem Verschwinden fremder Inhalte rücken die exklusiven Eigenproduktionen der Dienste – neudeutsch „Originals“ – verstärkt in den Fokus. Alleine Netflix steigerte 2019 seine Eigenproduktionen im Vergleich zum Vorjahr um fast 55 Prozent. Netflix’ Ausstoß übertrifft heute den der gesamten US-Fernsehindustrie vor 2006.

Unter einem Dach

Disney+ ist zugleich der erste SVoD-Dienst, der komplett ohne fremde Inhalte auskommt. Alle angebotenen Titel stammen von Disney selbst oder von Studios, die der Konzern über die Jahre aufgekauft hat. Disney+ wirbt offen mit Pixar, Marvel, Star Wars und National Geographic, führt aber auch Inhalte von Tochterstudios wie Touchstone, dem TV-Sender ABC und dem Neuerwerb 20th Century Fox.

Das kann man durchaus positiv sehen, schließlich musste man sich bislang Disney-Inhalte mühsam bei verschiedenen Diensten zusammensuchen – und damit leben, dass viele Titel nach einiger Zeit wieder aus dem Sortiment verschwanden. Mit dem studiobetriebenen Dienst ­Disney+ haben diese Inhalte nun eine ­gemeinsame Heimat – und stehen dort laut Disney dauerhaft zum Abruf bereit.

Bei den Marvel-Comic-Verfilmungen geht diese Rechnung aber nicht ganz auf: Im Katalog des deutschen Ablegers von Disney+ fehlen die Spider-Man-, Iron-Man- und Hulk-Filme. Die Rechte liegen international bei Sony Pictures beziehungsweise hierzulande bei Leonine (vormals Concorde). Auf Nachfrage von c’t erklärte Leonine, man würde die SVoD-­Rechte zur Auswertung an Disney+ lizenzieren. Eine entsprechende Ankündigung gab es von Disney bislang nicht.

Bei der National-Geographic-Kletterer-Doku „Free Solo“ agierte Disney schlauer. Hier bekam Capelight Pictures zwar eine Lizenz für den deutschen Markt, diese beschränkt sich aber auf die Kino- und die physische Heimkino-Auswertung. Die Streamingrechte behielt hingegen Disney, sodass der Dokumentarfilm hierzulande bei Disney+ abrufbar ist.

Mit jedem Studio, das sich entschließt, einen eigenen SVoD-Dienst zu starten, sinkt für die Nutzer die Chance auf einen Dienst mit einem breiten Sortiment an Filmen und Serien unterschiedlichster Studios. In den USA ist es bereits aus­gemachte Sache, dass andere Medien­konzerne Disneys Vorbild folgen und ihre Inhalte über eigene Dienste anbieten, darunter WarnerMedia (Warner Bros., HBO, Tuner) , NBCUniversal (inklusive Dreamworks und Lionsgate) und ViaCom­CBS (Paramount, Nickelodeon, Comedy Central, MTV).

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