c't 9/2019
S. 3
Editorial
Hartmut Gieselmann

Online-Spielsucht: Digitale Alcopops

Ein Zockerstündchen ab und zu schadet nicht, ebenso wie ein gelegentliches Bier. Erst der zügellose Konsum macht beides zum Problem und dabei verlieren Teenager wesentlich schneller die Kontrolle als Erwachsene. In Deutschland sind fast eine halbe Million Jugendliche unter 18 Jahren durch Spielsucht gefährdet. Vor allem Jungs zocken Tag und Nacht Fortnite und FIFA und schwänzen dafür regelmäßig die Schule (siehe S. 58. Die dramatischen Zahlen der neuesten DAK-Studie erschrecken selbst mich als Redakteur, der seit über 20 Jahren Spiele für c't testet.

Um ihre Profite zu maximieren, stellen Hersteller statt klassischer Spieldesigner immer mehr Finanzoptimierer ein, die gezielt auf suchterzeugende Tricks setzen. So nimmt etwa Epic Games allein mit Fortnite täglich eine Million US-Dollar ein. Auf der Strecke bleiben hunderttausende spielsüchtige Minderjährige, die ihre Ausbildung vernachlässigen, den Kontakt zu Freunden und Familien verlieren und in Depressionen verfallen.

Gesetzgeber und Jugendschutz sehen bislang tatenlos zu. Beide sind noch immer von der "Killerspieldebatte" geprägt und erheben den Zeigefinger, wenn irgendwo Pixelblut fließt. Doch damit schauen sie am eigentlichen Problem vorbei.

Beim Ausschank von Alkohol und beim Verkauf von Tabakwaren sind sich alle einig, dass Kinder und Jugendliche davor geschützt werden müssen. Gleiches gilt fürs Glücksspiel. Auf den Verpackungen von FIFA und Fortnite prangen jedoch grüne und weiße Unbedenklichkeitssiegel der USK. Sie machen Eltern weis, die Spiele würden Zwölfjährigen (Fortnite) und selbst Säuglingen (FIFA) nicht schaden. Mit dieser Logik könnte man in Kindergärten auch Alcopops mit Biosiegel verkaufen.

Es ist höchste Zeit, Online-Spielen die Jugendfreigabe zu entziehen, sofern sie Gamer mit Lootboxen locken, nächtelang in Turnieren wach halten und die Kosten mit In-Game-Coins verschleiern. Werbung und Verkauf von Fortnite, FIFA & Co. sollte genauso reglementiert und beschränkt werden wie bei Alkohol und Zigaretten, denn sie richten einen ähnlichen Schaden an.

Und wie bei Tabak, Alkohol und Glücksspielen lässt sich auch an der Steuerschraube drehen. Während die Hersteller Tag für Tag Millionen einsacken, bleiben die Krankenkassen (und damit wir alle als Versicherte) auf den Kosten für Suchtbehandlungen und Psychotherapien sitzen. Hinzu kommen langfristige Schäden, wenn dauerzockende Jugendliche in Schule und Ausbildung scheitern. Warum nicht eine Steuer von sagen wir 50 Prozent auf den Verkauf von In-Game-Coins und anderen digitalen Lockstoffen erheben? Mit dem Geld könnte man Therapieplätze und Aufklärungskampagnen locker finanzieren.

 

Unterschrift Hartmut Gieselmann Hartmut Gieselmann

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