c't 9/2019
S. 58
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Kostenfalle Spiele
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Bild: Jan Bintakies, Illustrator

Teures Vergnügen

Wie Fortnite, FIFA & Co. zum zügellosen Geldausgeben verführen

Saison-Pässe, Lootboxen, Pay-by-Call: Games-Hersteller erfinden abstruse Angebote, um Spieler zum Kaufen zu verleiten. Das überlastet nicht nur die Kreditkarten der Eltern, sondern führt bei immer mehr Jugendlichen in die Spielsucht.

Rund zweieinhalb Stunden verbringt jeder dritte männliche Jugendliche in Deutschland tagtäglich mit Computer- und Videospielen. Am Wochenende spielt jeder vierte sogar mehr als fünf Stunden pro Tag. Das hat eine Anfang März veröffentlichte Studie „Geld für Games: Wenn Computerspiel zum Glücksfall wird“ der Krankenkasse DAK herausgefunden. Ganz oben auf der Beliebtheitsliste der Jungen steht der Online-Shooter Fortnite mit 35 Prozent, gefolgt von der Fußball-Simulation FIFA mit 22 Prozent.

Bei den Mädchen ist der Anteil der Dauerzockerinnen nur halb so groß. Doch selbst sie verbringen im Durchschnitt beinahe zwei Stunden pro Tag mit Bildschirmspielen, am häufigsten mit dem virtuellen Puppenhaus „Die Sims“ und dem Aufbauspiel Minecraft.

Quelle: DAK, repräsentative Umfrage des Forsa-Instituts unter 1000 Jugendlichen.

Der Leiter der Studie, Professor Dr. Rainer Thomasius vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, schlägt Alarm: 15,4 Prozent der regelmäßigen Gamer zeigten ein riskantes oder pathologisches Spielverhalten. Ausgehend von der repräsentativen Stichprobe mit 1000 Telefoninterviews rechnet Thomasius das auf 465.000 betroffene Jugendliche in Deutschland hoch. Jungen seien mit einem Anteil von 79 Prozent an der Risikogruppe deutlich stärker gefährdet als Mädchen.

Die Einschätzung fügt sich ins internationale Gesamtbild. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet die Gaming Disorder (Computerspielabhängigkeit) als eine mit der Glücksspielsucht vergleichbare Disposition. Der Spieler gibt Geld aus, um sich mehr und mehr von der Umwelt abzukapseln und Defizite durchs Spielen zu kompensieren, was wiederum zu finanziellen Nachteilen im echten Leben führt. „Elf Prozent der Risiko-Gamer fehlen innerhalb von einem Monat eine Woche oder mehr in der Schule oder Ausbildung. Das ist etwa dreimal häufiger als bei unauffälligen Spielern“, sagt Thomasius.

Spaß ohne Ende

Der dramatische Anstieg hängt nicht zuletzt mit den neuen Finanzierungsmodellen der Hersteller zusammen. Bezahlte man früher einmalig einen Kaufpreis, um dann eine meist in sich abgeschlossene Spielhandlung für 10 bis 20 Stunden zu genießen, so locken heute Online-Titel mit Unterhaltung ohne absehbares Ende. Sie sind zunächst kostenlos zugänglich und fordern im Laufe des Spiels kleine Beträge, um den Fortschritt zu erleichtern oder das Ansehen bei Mitspielern zu erhöhen. Um die Umsätze zu steigern, muss ein Titel möglichst viele Spieler möglichst lange an sich binden. Finanziell erfolgreiche Spielehersteller bedienen sich daher meist suchterzeugender Mechanismen.

An Bedeutung gewonnen haben Monetarisierungsmaßnahmen wie serielle Erweiterungen (Add-ons), Battle- und Season-Pässe, In-Game-Gegenstände und -Währungen, Lootboxen und Spezialfiguren. Professor Thomasius schreibt, dass die Spieler beinahe die Hälfte ihrer Ausgaben für Spiele-Extras in Fortnite und FIFA tätigen. Beide Titel arbeiten mit einer speziellen In-Game-Währung, die man in Münzpaketen für echtes Geld kaufen kann. Die wahren Kosten der In-Game-Objekte werden dadurch verschleiert. „Die Umrechnung in Euro erfordert einen Transfer, der nicht zwingend intuitiv ist. Die wahre monetäre Investition wird durch fehlende Mittelbarkeit verblendet“, erklärt Thomasius. Er sieht einen direkten Zusammenhang zwischen Geldausgaben und Spielsucht: „Je stärker die Gamer ein suchtähnliches Verhalten beschrieben, desto mehr Geld investierten sie in Spiele.“

FIFA und Fortnite

Dazu zwei populäre Beispiele: In FIFA zahlt man für 250 Münzen 2,50 Euro. Wer jedoch ein Paket für 100 Euro erwirbt, bekommt 12.000 Münzen. Der Rabatt verleitet Spieler dazu, möglichst viel Geld für große Pakete auszugeben. Die Münzen können Spieler für virtuelle Fußballer in Online-Turnieren einsetzen, wo ihnen wiederum der Gewinn jener In-Game-Münzen in Aussicht gestellt wird. Um ihre Chancen zu erhöhen, brauchen die Spieler gute Spielfiguren: Ein Lionel Messi oder Christiano Ronaldo kostet im sogenannten „Ultimate-Team“ jeweils 4000 Münzen, also umgerechnet bis zu 40 Euro. Das ist allerdings ein Mietpreis: Nach neun Spielen muss man die virtuellen Stars erneut engagieren. Das treibt nicht nur spanische Fußballvereine in die Pleite.

Der US-Hersteller Epic Games hat den Verkauf von In-Game-Objekten in Fortnite nahezu perfektioniert. Während andere Free-to-Play-Hersteller damit kalkulieren, dass nur etwa drei Prozent aller Spieler überhaupt Geld ausgeben, liegt der Anteil der zahlenden Spieler in Fortnite laut einer US-Studie des Marktforschungsinstituts LendEDU bei 68,8 Prozent. Durchschnittlich gibt jeder von ihnen knapp 85 US-Dollar im Spiel aus. Der Löwenanteil geht für neue Spielfiguren und deren Kleidung drauf, hinzukommen Flugaggregate (Gliders), Harvester, die im Spiel schneller Ressourcen generieren, sowie Tanzbewegungen (Emotets).

Neben solchen kosmetischen Utensilien lassen sich für die Spielwährung V-Bucks sogenannte Battle-Pässe erwerben, die es erlauben, für eine Saison von etwa zweieinhalb Monaten an ausgewählten Online-Partien teilzunehmen. Dort verspricht ihnen der Hersteller Gewinne bis zu 25.000 V-Bucks, was einem Gegenwert von 250 Euro entspräche – der sich nicht bar auszahlen lässt. Ist der Battle-Pass abgelaufen, muss man für die nächste Saison ab 950 V-Bucks (9,50 Euro) einen neuen kaufen. Preise und Staffelungen der Pakete ähneln dabei denen von FIFA. Obwohl man Fortnite kostenlos spielen kann, ist das Belohnungs- und Verkaufssystem mit den V-Bucks so ausgeklügelt und verlockend, dass Epic Games damit eine Million US-Dollar einnimmt – pro Tag.

In puncto Jugendschutz stuft die USK beide Titel hierzulande übrigens als unbedenklich ein, da suchterzeugende Elemente bei der Beurteilung bislang keine Rolle spielen. Fortnite ist „ab 12 Jahren“, FIFA sogar „ab 0 Jahren“ freigegeben.

Faule Überraschungseier

Neben den Verkäufen von In-Game-Objekten setzen Hersteller auf kostenpflichtige Überraschungskisten, bekannt als Lootboxen. Der auf Spielethemen spezialisierte Rechtsanwalt Stephan Mathé stuft sie „im Hinblick auf die potenzielle Suchtgefahr und Glücksspielkomponente“ als besonders problematisch ein. Hersteller verlocken Spieler dazu, gegen meist niedrige Eurobeträge Zufallskisten zu öffnen, die entweder etwas Seltenes, mithin Begehrtes enthalten – oder Nieten. Zu den Vorreitern der Lootboxen zählen die Kartentütchen von „Magic The Gathering“. 2017 rief die Implementierung im Action-Spiel „Star Wars: Battlefront 2“ vom Branchen-Giganten Electronic Arts erstmals die belgische Glücksspielkommission auf den Plan, die ein Verbot forderte.

Dass Lootboxen so erfolgreich sind, hat damit zu tun, dass die Menschen ans „Walten des Zufalls“ als höhere Macht glauben wollen und sich in eine Traumwelt begeben, wie der Philosoph Theodor W. Adorno über das Glücksspiel in der Kulturindustrie schrieb. Lootboxen sind so verlockend für den Spieler, weil sie etwas verheißen, was sie auf anderem Wege nicht erhalten können. Stephan Mathé macht die Faszination für Lootboxen fest „am Nervenkitzel, vielleicht ein seltenes oder teures Item aus einer Box zu bekommen und somit cooler als der Kumpel zu sein, der es noch nicht besitzt.“

Wegen zu geringer Gewinnchancen verfügte die chinesische Regierung bereits 2017, dass Anbieter die Gewinnquoten bekanntgeben müssen. In Deutschland gibt es diese Pflicht nicht. Hersteller Blizzard verkauft beispielsweise seine Lootboxen für das Spiel Overwatch in Paketen für 2 bis 50 Euro, ohne auf seiner Webseite auf die Gewinnchancen hinzuweisen. Obwohl Foren generell überquellen vor Beschwerden über unfaire und nietenreiche Lootboxen, setzen viele Spieler weiterhin echtes Geld ein, um an legendäre Rüstungen und anderen virtuellen Tand zu kommen.

Verschleierte Kosten

Rechtsanwalt Mathé erläutert das problematische Verhältnis zwischen Spieler und Geldsystem so: „Die Angebote für Kinder sind teilweise so verlockend, dass ein aufklärendes Gespräch vielleicht nicht reicht. Es ist denkbar, dass die Kinder gar nicht wahrhaben, dass sie etwas für echtes Geld kaufen.“ Dabei laden insbesondere Pay-by-Call-Angebote zu Datenmissbrauch und Betrug ein. Der Spieler kauft Digitalinhalte via Smartphone-Kurzmitteilung oder ruft eine 0900-Telefonnummer an, um den Zahlungsvorgang zu bestätigen.

So umgehen die Anbieter, dass die Minderjährigen weder über eine Kreditkarte noch über ein PayPal-Konto verfügen. Bei argloser Nutzung kommen bald drei- oder gar vierstellige Euro-Beträge für digitale Diamanten-Pakete, Kostüme und Figuren zusammen.

Eltern haben jedoch recht gute Chancen, das Geld im Streitfall nicht zahlen zu müssen. Denn Minderjährige zwischen sieben und siebzehn Jahren gelten als ‘beschränkt geschäftsfähig’. Sie benötigen grundsätzlich für ihre digitalen Einkaufstouren die vorherige Zustimmung der Eltern. Wurde diese nicht erteilt, dann gilt ein Vertrag als ‘schwebend unwirksam’. Rechtsanwalt Mathé ergänzt: „Kinder unter sieben Jahren sind geschäftsunfähig, hier besteht in jedem Fall ein Rückzahlungsanspruch“.

Wenn der Anbieter den Eltern nicht nachweisen kann, dass sie eine Zustimmung erteilt haben, sind sie für die Kosten nicht haftbar. So auch im Fall eines 13-jährigen Spielers, der mit Käufen über seine Mobilnummer 1250 Euro für Spiele-Extras ausgegeben hatte. Der Bundesgerichtshof entschied in seinem Urteil vom 6. April 2017 (BGH, Az. III ZR 368/16) gegen den Hersteller, weil man den Eltern die „Inanspruchnahme von Leistungen des Anbieters nicht zurechnen“ konnte.

Aufsicht über Konten

Doch verlassen sollte man sich nicht darauf, wie der auf IT- und Medien-Recht spezialisierte Rechtsanwalt Christian Solmecke erklärt. Zwar sei für den Verkäufer die Beweisführung schwierig, ob eine Bevollmächtigung vorlag. Eltern müssten jedoch ebenso nachweisen, dass sie ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt haben. So müssten sie beispielsweise Rechnungen akzeptieren, wenn sie dem Kind ihre eigenen Kontodaten überlassen haben und es daraufhin ohne explizites Einverständnis In-App-Käufe tätigt. Wegen der freiwilligen Überlassung gehe man von einer sogenannten Anscheinsvollmacht aus – insbesondere dann, wenn die Eltern „nicht nachweisen können, dass sie alles in ihrer Macht Stehende getan haben, um die Nutzung zu verhindern“, erklärt Solmecke.

Zum Kasten: Abzocker sperren

Die Rechtsexperten empfehlen daher, dass Erziehungsberechtigte auf PC und Smartphone spezielle Nutzerkonten für ihre Kinder einrichten und entweder alle Zahlungsmöglichkeiten sperren oder ihre Bank bitten, eine Verfügungsbeschränkung für die vom Kind genutzte Kreditkarte einzurichten, etwa mit 50 Euro als Höchstbetrag. Zudem sollten Eltern kostenpflichtige Rufnummern beim Mobilfunkanbieter sperren lassen (siehe Kasten). Wenn ein Kind die Kontodaten der Eltern dennoch heimlich ausspäht oder die ihm gesetzten Schranken umgeht, müssen Online-Betreiber den Eltern die Kosten zurückzahlen, wie das Amtsgericht Hamburg am 12. Januar 2011 entschied (Az. 7c C 52/10).

Teure Sucht

Für Online-Turniere in FIFA kann man sich teure Stars für begrenzte Zeit mieten. Die Gamer werden mit Gewinnmöglichkeiten gelockt, die wahren Kosten per In-Game-Währung verschleiert. Bild: Fifa Ultimate Team

Während man eventuelle Löcher für ungewollte Online-Käufe relativ schnell stopfen kann, lässt sich das problematische Suchtverhalten von Spielern nicht so einfach abstellen. Für Suchtexperten gilt die Geldverschwendung als Nebensache, die sich leicht reglementieren lässt: Eltern können auf Kreditkartenfreigabe und PayPal verzichten und ihren Kindern stattdessen Guthabenkarten für Steam & Co. kaufen.

Doch selbst wer kein Geld in Spielen ausgibt, ist den suchterzeugenden Mechanismen weiterhin ausgeliefert. Speziell Hersteller von Free-to-Play-Titeln haben sie perfektioniert, um die Quote der zahlenden Spieler möglichst hoch zu treiben. Eileen Strupat, Suchtberaterin der Bremer Caritas, ist besorgt: „Die Spielwelt kann ungemein faszinierend sein, sodass es den Kindern allein kaum möglich ist, mit dem Spielen aufzuhören.“ Eltern bemerkten dies oft erst, wenn die Kinder ihr Sozialleben und die Schule bereits vernachlässigen. „Wenn ich in Schulen Beratungen anbiete, dann wünschen sich die meisten Eltern vor allem Tipps für die Einrichtung von Zeitbudgets“. Hier gebe es keine Pauschalrezepte, sondern man müsse stets den Einzelfall betrachten, betont Strupat. Manche Jugendliche mit Schlafproblemen sollten abends besser nicht drei Stunden Ego-Shooter spielen, andere kämen damit hingegen problemlos klar, sagt die Suchtexpertin.

Fortnite hält Spieler über Battle-Pässe bei der Stange. Bei der Teilnahme an damit zugänglichen Online-Events verspricht der Hersteller weitere Gewinne und Aufstiegsmöglichkeiten.

Der Psychotherapeut und Buchautor Dr. Karl Brühwiler („Auf dem Weg zum Mann“) erzählt von Fällen, „in denen Jugendliche sozial resigniert sind. Sie haben es aufgegeben, Freundschaften aktiv zu pflegen, sitzen ständig vor dem Rechner und leben im (sozialen) Rückzug. Zudem ist der Kontakt mit den Eltern und Geschwistern durch die Spieltätigkeit belastet“. Brühwiler betreibt die Website gamesucht.com, wo er über bedenkliche Entwicklungen bei bestimmten spielenden Jugendlichen aufklärt und über Forschungsergebnisse referiert: „Die Kombination aus Einsamkeit, Misserfolgserlebnissen, sozialer Ängstlichkeit und Stress führt häufig zu Situationen, die Jugendliche und Familien nicht allein bewältigen können. Dies erfordert dann häufig die Inanspruchnahme psychologischer Hilfe.“

Resümee

Mit der Fokussierung auf In-Game-Währungen, Lootboxen und Gewinnversprechen lassen Hersteller von Online-Spielen die Grenzen zum Glückspiel immer mehr verschwimmen. Den Einnahmerekorden der Hersteller – 2018 betrug der Umsatzanteil von Download-Inhalten im Spielmarkt rund 41 Prozent – stehen alarmierende Zahlen von knapp einer halben Million suchtgefährdeter deutscher Jugendlicher gegenüber. Die Experten sind sich einig, dass dauerhaftes Exzessivspielen problematisch wird, wenn die Spieler Schule, Freunde und Familie drastisch vernachlässigen. Während Eltern die Gefahr, in eine private Schuldenfalle zu tappen, relativ kurzfristig entschärfen können, ist die Entwöhnung und Rückkehr zu einem unbedenklichen Spielverhalten oftmals langwieriger und teurer. Professor Thomasius empfiehlt dazu etwa „die Förderung von Medienkompetenz von Eltern und erwachsenen Bezugspersonen, damit Kinder und Jugendliche zu einem verantwortungsvollen und selbstbestimmten Umgang mit Computerspielen angeleitet werden.“

Immerhin übernehmen die hiesigen gesetzlichen Krankenkassen dank der WHO-Klassifizierung inzwischen meist die Kosten einer Therapie. Der Gesetzgeber könnte das eh schon gebeutelte Gesundheitssystem entlasten, indem er dem gezielten Einsatz suchterzeugender Elemente in Online-Spielen einen Riegel vorschiebt.

Nicht zuletzt sollte die USK bei ihrer Alterseinstufung suchterzeugende Elemente endlich berücksichtigen und Spielen, die solche Mechanismen einsetzen, eine Jugendfreigabe verweigern. Ergänzt werden könnte die USK etwa durch eine unabhängige Instanz, die Glücksspielelemente gemäß des GlüStV (Glücksspiel-Staatsvertrag) untersucht. Ein zusätzliches Siegel könnte dem erwachsenen Käufer aufzeigen, ob ein Spiel suchterzeugende Elemente enthält.  (hag@ct.de)