c't 25/2019
S. 42
aktuell
E-Rezept
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Bild: Bernd Weißbrod/dpa

Risiken und Nebenwirkungen

E-Health: Streit um das geplante E-Rezept

Der Fahrplan für die Einführung digitaler Rezepte steht. Vor-Ort-Apotheken und Ärzte sehen jedoch ihre Interessen gefährdet.

Der Schädel brummt, die Wirbelsäule klemmt – in solchen Fällen möchten sich die meisten Menschen zu Hause auskurieren. Wer allerdings ein Medikament benötigt, muss sich zu einem Arzt und zu einer Apotheke schleppen, um ein Rezept auf Papier zu ergattern und einzulösen.

Bald soll es auch anders gehen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) macht beim digitalen Rezept Tempo, wie bei anderen E-Health-Projekten (siehe S. 40). Er wolle nicht warten, bis es eine „180-prozentige Lösung“ gebe, sondern lieber Schritt für Schritt vorgehen, sagte er Ende September. Mittlerweile hat er mit zwei Gesetzen einen ehrgeizigen Zeitplan für die bundesweite Einführung des E-Rezeptes festgelegt.

So muss die staatliche Gesellschaft für Telematikanwendungen (Gematik) bis Ende Juni 2020 die technischen Spezifikationen erarbeiten. Außerdem müssen bis Ende September 2020 alle Apotheken an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sein – sie müssen also wie die Ärzte spezielle Router für die sichere Datenübertragung installieren.

Im Anschluss soll das E-Rezept starten, als freiwillige Option neben der Papierlösung. Patienten können dann zum Beispiel vom Krankenbett aus mit Ärzten videochatten und Rezepte sofort digital an die Apotheke ihrer Wahl weiterleiten. In einigen Städten und Landkreisen funktioniert das im Rahmen von Pilotprojekten bereits jetzt.

Angst vor DocMorris

In der traditionell gut organisierten deutschen Apothekerschaft sorgt Spahns Vorpreschen allerdings für Unruhe. Die Pharmazeuten fürchten, dass der Minister ihre bislang treue Kundschaft in die Arme ausländischer Versandapotheken wie DocMorris treibt. Schließlich sind solche Konkurrenten, wenn das Rezept erst einmal digitalisiert ist, nur noch ein paar Klicks entfernt. Und sie liefern schneller, wenn man ihnen Rezepte nicht mehr per Post schicken muss.

DocMorris wittert tatsächlich große Chancen. Durch das E-Rezept könne der Versandanteil bei verschreibungspflichtigen Medikamenten von aktuell gut einem auf zehn Prozent steigen, prophezeite der Chef der Muttergesellschaft Zur Rose, Walter Oberhänsli, im Frühjahr. „Das E-Rezept kommt“, frohlockte das Unternehmen in einer bundesweiten Werbekampagne.

Viele Vor-Ort-Apotheker fürchten nun, dass DocMorris ihnen mit einer eigenen E-Rezept-App Kunden abjagt. Die Verwaltung der Rezepte durch den Patienten dürfe nicht beeinflusst oder manipuliert werden, „schon gar nicht durch rein monetäre Interessen“, warnt der Deutsche Apothekerverband (DAV), der bundesweit 19.000 Vor-Ort-Apotheken vertritt.

Eine App für alle?

Der DAV arbeitet an einem Gegenmittel gegen DocMorris: an einer eigenen E-Rezept-App. Die Hoffnung des Verbands lautet, „dass die offizielle App der deutschen Apothekerschaft zukünftig exklusiv die staatliche Aufgabe übertragen bekommt, für alle Patienten zur Entgegennahme, Ansicht und Übergabe von E-Rezepten zu fungieren“. Die Apotheken fordern also ein Monopol für ihre Anwendung.

Dass sie damit durchdringen, ist unwahrscheinlich. Laut Gesundheitsministerium soll die Gematik Spezifikationen erstellen und Zulassungsverfahren etablieren, „damit auf dieser Grundlage Industriefirmen entsprechende Produkte entwickeln“. Spahns Beamte sprechen hier wohl absichtlich von einer Mehrzahl von Lösungen.

Außer den Apotheken sieht auch die Ärzteschaft eigene Interessen gefährdet. Grundsätzlich könne das E-Rezept zwar Abläufe vereinfachen, erklärt ein Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gegenüber c’t. Doch die Gefahr bestehe, dass die Neuerung in der Realität mehr Zeit koste als spare. Ärzte müssten nämlich jedes einzelne Rezept digital signieren. Beim aktuellen Stand der Technik dauere das bis zu 20 Sekunden.

Auf vergleichsweise kleiner Flamme köchelt noch die Diskussion um den Datenschutz. Aber das dürfte sich ändern. Rezepte enthalten schließlich sensible Gesundheitsdaten, etwa Informationen über Psychopharmaka. Die Gematik muss also durch ihre Vorarbeit sicherstellen, dass App-Anbieter diese Daten wirksam und dauerhaft schützen – eine sportliche Aufgabe bis Ende Juni. (cwo@ct.de)