c't 16/2019
S. 80
Know-how
Smartphone vs. Kamera
Aufmacherbild

Sehduell

Argumente im Streit Kamera vs. Smartphone

Kaufe ich für 1000 Euro lieber ein Spitzen-Smartphone, ein neues Objektiv für die Systemkamera, oder ein Mittelklasse-Handy samt Mittelklasse-Kamera? Zu den klassischen Pro- und Contra-Argumenten – Blitz, Sensor, Haptik, Stativ, Auffälligkeit – kommen interessante neue hinzu, die vor allem mit der Überlegenheit der Smartphone-Prozessoren zu tun haben.

Während in Kameras der quasi billigstmögliche Prozessor steckt, der die Anforderungen zum Fotografieren (oder Filmen) erfüllt, wächst die Leistungsfähigkeit der Smartphones weit über diese Bedürfnisse heraus. Sie eignen sich für 3D-Spiele in höchster Displayauflösung, komprimieren 4K/60Hz-Aufnahmen in Echtzeit, haben acht Kerne, sechs Gigabyte Arbeitsspeicher oder sogar KI-Coprozessoren. Das allein macht die Fotos nicht besser, doch seit einiger Zeit bringen die Hersteller den vorinstallierten Foto-Apps beeindruckende Tricks bei: künstliche Unschärfe, Nachtmodus, bessere Automatiken, dutzende Filter, Digitalzoom, naja und auch sowas wie Micky-Maus-Ohren in Echtzeit.

Einige dieser Tricks gleichen optische Nachteile der Smartphone-Kameras aus, andere greifen kreativ (oder auch albern) ins Foto ein. Allen Tricks ist gemeinsam, dass sie anders als Kameras gerade nicht versuchen, ein Motiv so natürlich und präzise wie möglich einzufangen. Tatsächlich bleiben die Fähigkeiten zur natürlichen Wiedergabe gering: Der manuelle Modus der Handys bietet eingeschränkte Möglichkeiten, Fotos im Raw-Format – also ohne Manipulationen durch die Software – gehen nur bei wenigen Modellen und fangen noch seltener die Fotos der Weitwinkel- und Tele-Sensoren ein. Zudem zeigen manueller Modus und Raw entweder, wie schlecht die Optiken sind – oder sie sind vielleicht gar nicht so roh wie versprochen, sondern zumindest entzerrt und farblich aufgehübscht.

Das hat nicht geklappt: Smartphones mit größeren Sensoren wie das Panasonic DMC-CM1 oder gar mit Zoom wie das Samsung Galaxy Zoom verkaufen sich nicht.

Ob dieser Trend die Grenzen der Smartphone-Technik und Physik aufzeigt oder ob die Hersteller wirklich absichtlich in diese Richtung gehen wollen, sei dahingestellt – der Unterschied scheint größer zu werden. Frei nach John Irving, wonach sich Romanautoren nicht als Chronisten eignen, weil sie sich an Geschichten nicht so erinnern, wie sie waren, sondern wie sie hätten sein sollen, bilden Smartphones die Wirklichkeit so ab, wie sie laut Automatik sein soll. Diskussionswürdig ist dabei natürlich auch, ob die klassische Fotografie dem Authentizitätsanspruch gerecht wird: Wie natürlich ist Blitzlicht? Gibt es Tiefenunschärfe in der Realität überhaupt? Ist nicht schon die Wahl eines Aufnahmestandpunkts und -zeitpunkts eine Interpretation? Doch klassische Kameras geben dem Fotografen zumindest das Gefühl, objektives Rohmaterial aufgenommen zu haben – das dann der Photoshop-Exzesse harrt.

In zwei Aspekten mag das Smartphone sogar authentischer sein als die Kamera: Es ist unauffälliger, sodass manches Motiv natürlicher reagiert – für Street-Fotos von Vorteil. Und es bringt die Aufnahmen mit weniger Aufwand blitzschnell zum Betrachter als das per Kamera möglich ist – gut für Nachrichten, schlecht bei Gaffern. Das gilt übrigens fürs Fotografieren, weniger fürs Filmen: Wer anspruchsvolle Videos mit dem Handy drehen möchte, landet schnell bei einem Gestell mit angeschraubten Mikros oder Leuchten – unauffällig ist das nicht mehr.

Ein um Mikrofon, Leuchte und Linse aufgewertetes Smartphone im Rig filmt gut, ist aber alles andere als praktisch und unauffällig.

Evolution der Argumente

Wie der vorige Artikel zeigt, nimmt die Bildqualität der Smartphones weiter zu; die Spitzenmodelle haben größere Sensoren als manche Kompaktkamera und leisten in puncto Dynamikumfang, Auflösung und Rauschen prima Arbeit. Beim Zoom rücken die Smartphones zwar ebenfalls heran, liefern dann aber eine schlechtere Bildqualität, weil ihr Zoom-Sensor kleiner als der Hauptsensor ist. Viel mehr werden die Handy-Sensoren nicht wachsen, und andere bildverbessernde Techniken werden auch bei Kameras Einzug halten.

Demnach liefern Kameras ab Edelkompakter und Superzoom aufwärts weiterhin die bessere Qualität. Micro-Four-Thirds, APS-C und größer werden immer haushoch überlegen bleiben. Auch lässt sich die Qualität und Flexibilität von Wechselobjektiven nicht per Smartphone-Hardware oder noch so guter Software nachahmen.

Die meisten Kameras haben eine bessere und durch Wechselakkus beliebig verlängerbare Akkulaufzeit. Auch kann man die Kamera bedenkenlos über den Tag leerknipsen und hat noch Saft im Handy, um beispielsweise im Urlaub abends ein Restaurant und danach zurück zur Unterkunft zu finden. Dieses Argument fällt durch die externen Akkupacks mit USB-Anschluss nicht mehr so eindeutig aus, denn damit lässt sich auch die Handy-Laufzeit beliebig verlängern. Oder man steckt einfach ein Handy-Ladegerät ein. Nun sind sogar diejenigen Kameras mit separatem Ladegerät im Nachteil, die sich nicht per USB oder aus so einem Akku speisen lassen.

Auch beim Licht muss man neu denken. Bisher galt, dass Smartphones, Kompaktkameras und sogar der Großteil der Superzooms bei schlechtem Licht rauschen und ihre eingebauten Blitze die Situation eher verschlimmern als verbessern – ein Blitzschuh samt Aufsteckblitz muss es schon sein. Letzteres gilt noch immer; externe Leuchten pulverisieren die Vorteile der Smartphones. Doch die Notwendigkeit für Zusatzlicht schrumpft bei denjenigen Smartphones mit exorbitant gutem Nachtmodus.

Handling

Ab Superzoom aufwärts liegen die Kameras besser in der Hand, auch vereinfacht ihre Masse das Ruhighalten bei längeren Belichtungszeiten. Gerade wenn man manuell mit Zoom, Blende, Belichtung und weiteren Rädchen und Knöpfen arbeitet, kommt ein Smartphone nicht in Frage. Anders herum sind Kompakte für touch-affine Nutzer vielleicht sogar unpraktischer zu bedienen als das Smartphone. Will man aus ungewohnten Perspektiven fotografieren, ist das Handy zwar leichter etwa über Kopf oder nah am Boden zu halten, aber schwerer auszurichten und auszulösen als eine Kamera – die dafür aber ein Klappdisplay benötigt.

Alternativ lässt sich das Smartphone-Handling per Zubehör verbessern, etwa mit kleinen Griffen, mit denen sich das Handy dann auch an Stative schrauben lässt. Einige haben einen Bluetooth-Auslöseknopf und sind ausziehbar – die Grenze zu den unsäglichen Selfie-Sticks ist fließend; sie kann man übrigens auch kreativer einsetzen als nur für Selfies. Gimbals sind die Luxus-Variante mit Stabilisator und vielseitigen Bedienelementen – eigentlich zum Filmen gedacht, aber auch für Fotografen nützlich. Der Immer-dabei-Vorteil geht allerdings flöten, das Zeugs ist eher was für den Rucksack.

Aufstecklinsen fürs Smartphone sind unnötig, denn sie liefern keine gute Qualität, machen aber vielleicht Spaß beim Experimentieren.

Manchmal sind weder das Smartphone noch die teure Edelkamera der ideale Begleiter. In ruppigen Umgebungen – Sand, Staub, extreme Hitze oder Luftfeuchtigkeit – leiden sie enorm. Spätestens für Unterwasserfotos gehören sie in wasserdichte Schutzhüllen, drohen dann aber immer noch in der Tiefe zu versinken; bei Smartphones funktioniert zudem der Touchscreen bestenfalls eingeschränkt. Darüber hinaus gibt es Situationen, in denen einem die Kamera aus der Hand geschlagen, geklaut oder beschlagnahmt werden könnte. In solchen Fällen sind Kompaktkameras praktischer – sei es eine besonders billige, eine robuste oder eine wasserdichte —, selbst wenn sie schlechtere Fotos aufnehmen.

Fazit

Die alten Fotografensprüche gelten beim Vergleich von Smartphone und Kamera weiter: Gute Fotografen können auch mit Smartphones tolle Fotos schießen, unerfahrenen Fotografen hilft auch die teuerste Ausrüstung nicht. Je mehr Erfahrung Sie haben, je mehr Kontrolle, Flexibilität und Qualität Sie benötigen, desto eher passt Superzoom oder Systemkamera – desto mehr Zeit, Geld und Schleppwille fordert Ihr Hobby dann aber auch. Je mehr Sie sich auf Motiv und Situation konzentrieren möchten und den Automatiken vertrauen, desto eher kommt das Smartphone ins Spiel. Oder Sie entscheiden sich nicht, sondern nutzen einfach Systemkamera und Smartphone im Team. Nur die Kompaktkameras dazwischen werden für immer weniger Einsatzgebiete interessant. Wenn eine schon vorhandene Kompakte langsam ihren Geist aufgibt, wäre es statt eines Neukaufs konsequenter, entweder zur Systemkamera oder zum High-End-Handy zu wechseln.

Um auf die Anfangsfrage mit den 1000 Euro zurück zu kommen, denken Sie auch an zwei weitere Optionen statt des Kamerakaufs: Kaufen Sie sich eine Drohe, denn die ermöglicht ganz neue Perspektiven. Oder noch besser, ermöglichen Sie sich Erlebnisse, die es zu fotografieren lohnt, geben Sie das Geld für Reisen, Ausflüge, Eintrittskarten, Models oder Requisiten aus. (jow@ct.de)