c't 12/2019
S. 78
Test
Autarkes VR-Headset Oculus Quest
Aufmacherbild

Komplettpaket

Oculus Quest: High-End-VR ohne PC oder Konsole

Überzeugende Virtual Reality war bislang teuer und umständlich, da man einen Gaming-PC und Tracking-Kameras brauchte. Ohne PC waren nur Einfachst-Brillen ohne Hand- und Raumerkennung drin. Mit Oculus Quest gibt es nun erstmals ein Rundum-Sorglospaket – mit Abstrichen bei der Grafik.

In zeitgemäßer Virtual Reality kann man nicht nur frei herumlaufen, sondern auch mit der Hand ganz natürlich virtuelle Gegenstände anfassen. Technisch möglich ist das mit HTC Vive, Oculus Rift & Co. seit Jahren, aber die Einstiegshürden sind hoch: Man benötigt nämlich nicht nur einen leistungsstarken Gaming-PC, sondern auch Platz für mindestens zwei externe Kameras oder Sensoren, die man im eigenen VR-Raum anbringen muss. VR-Raum? Genau – das ist das Problem: Einen festen Platz für VR mit möglichst viel Bewegungsfreiheit haben Gelegenheits-Virtual-Realisten in den seltensten Fällen.

Hier setzt Oculus mit seinem autarken Quest-Headset an. Es funktioniert nicht nur komplett selbstständig, also ohne angeschlossenen PC oder Smartphone. Sondern es braucht auch keine externen Trackingsensoren und kommt prinzipbedingt ohne störende Kabel aus. Das führt zu einem bislang nicht – beziehungsweise nur mit teuren Funkadaptern – möglichen Freiheitsgefühl. Besonders bewegungsintensive Titel wie das Zeichenprogramm Tilt Brush oder das Rhythmus-Spiel Beat Saber gewinnen deutlich, wenn man sich nicht mehr im Kabel verheddern kann. Übrigens: Mit bisherigen autarken Headsets wie der Oculus Go oder Smartphone-Brillen wie GearVR und Google Daydream funktioniert solche Software nicht; die Geräte erkennen nämlich lediglich Kopfdrehung und -neigung, aber nicht die Position im Raum. Außerdem unterstützen sie keine vollständig getrackten Hand-Controller.

Grafik abgespeckt

Die Grafikdarstellung der Quest ist gegenüber PCs sichtbar vereinfacht. Kein Wunder, drin steckt lediglich ein schon etwas angestaubtes Snapdragon-835-SoC mit 4 GByte RAM. Aktuell ist die Smartphone-Welt mit dem Snapdragon 855 bereits zwei Generationen weiter. Für den Chip von 2017 hat sich Oculus offenbar entschieden, um die Kosten niedrig zu halten: Mit 64 GByte Flash kostet die Quest 450 Euro, mit 128 GB 550 Euro.

Aus der ziemlich lahmen Hardware holt die Software viel raus: Beat Saber bietet zwar keine Transparenzeffekte und kein Anti-Aliasing, bringt das Spielgefühl aber exakt so rüber wie am PC – dank der größeren Bewegungsfreiheit ohne Kabelsalat macht es unserer Meinung nach sogar mehr Spaß. Der VR-Klassiker Superhot ist auf der Quest fast nicht von der PC-Version zu unterscheiden. Bei dem Robotergeballer Robo Recall sieht man den Unterschied allerdings deutlich; das Spielgefühl bleibt glücklicherweise erhalten.

Auf unserem Testgerät ließen sich 26 VR-Apps installieren, zum offiziellen Starttermin am 21. Mai sollen mehr als 50 Titel im Oculus-App-Store erhältlich sein, darunter weitere VR-Klassiker wie Space Pirate Trainer, Moss, Job Simulator und Rec Room. Viele Spiele sind „cross-buy“-kompatibel: Hat man sie schon für die Oculus Rift gekauft, muss man sie für die Quest nicht noch einmal bezahlen.

Für die erste Inbetriebnahme benötigt man ein Mobilgerät mit iOS oder Android, danach läuft die Quest auch ohne. Ein Account des Oculus-Mutterkonzerns Facebook ist nicht notwendig, ein Oculus-Account schon. Schaltet man diesen als Entwickler frei, kann man Android-APKs sideloaden. Als PC-Headset lässt sich die Quest nicht benutzen, sie nimmt keine Videosignale von außen entgegen.

Tracking und Display

Im Headset sind vier Kameras eingebaut, über die sich das System im Raum orientiert und die Handcontroller erfasst. Das funktioniert beeindruckend gut – deutlich besser als beispielsweise bei Playstation VR oder Windows Mixed Reality. Mit dem Tracking der PC-VR-Systeme Oculus Rift und HTC Vive hält die Quest gut mit: Es verliert zwar bei einigen – hauptsächlich unnatürlichen – Handbewegungen kurzzeitig die Erfassung der Controller, beispielsweise wenn man das Handgelenk um 180 Grad zu drehen versucht. Aber es kommt besser mit Situationen zurecht, in denen man sich beispielsweise unter den Schreibtisch bewegt. Hier versagen erfahrungsgemäß die mit externen Trackern arbeitenden Systeme manchmal.

Dass man in VR nicht gegen eine Wand läuft, verhindert das sogenannte Guardian-System. Dies ist besser umgesetzt als bei allen anderen VR-Headsets: Setzt man die Quest in einem dem Gerät unbekannten Raum auf, zeigt sie die Umgebung als Schwarz-Weiß-Kamerabild an. Mit den Controllern als „Laserpointer“ kann man dann bequem den Spielbereich einzeichnen. Kommt man dessen Grenzen in VR nahe, wird eine virtuelle Wand eingeblendet. Berührt man diese, schaltet das Headset blitzschnell auf Umgebungssicht („Pass-Through“) um und verhindert so Unfälle. Bis zu fünf Räume kann sich das Quest-System merken.

Ganz schön anstrengend: Im Boxspiel Creed kämpft man mit echten Fäusten gegen virtuelle Gegner.

Als Displays kommen zwei OLEDs mit jeweils 1600 × 1440 Pixeln zum Einsatz. Das ist deutlich mehr als bei der Oculus Rift, allerdings wurde die Bildwiederholfrequenz von 90 auf 72 Hertz gesenkt. Negativ aufgefallen ist das keinem der c’t-Tester. Das Sichtfeld ist ähnlich groß wie bei Oculus Rift, Oculus Go und HTC Vive. Brillenträger können ihre Sehhilfe problemlos unter der Quest tragen. Um ein Verkratzen der Linsen zu verhindern, liegt ein Abstandhalter in der Packung. Sehr schön: Anders als bei der neuen Oculus Rift S können die Displays mechanisch an die eigenen Pupillendistanz angepasst werden. Wegen des ungleichmäßigen OLED-Pixelrasters („Pen-Tile“) wirken Schriften etwas ausgefranster als bei LCD-Headsets, dafür ist der Schwarzwert deutlich besser.

Sobald man den vorher festgelegten Spielbereich verlässt, blendet die Quest ein Schwarzweiß-Videobild der realen Umgebung ein.

Über das Soundsystem der Quest scheiden sich die Geister: Die eingebauten Lautsprecher beschallen nicht nur das eigene Ohr, sondern die ganze Umgebung. Außerdem klingen sie blecherner als die Kopfhörer der Rift. Einigen Tester gefiel das Quest-Soundkonzept dennoch besser, denn sie fühlten sich nicht mehr so von der Außenwelt abgekapselt. Auf Wunsch kann man eigene Kopfhörer verwenden, eine 3,5-mm-Klinkenbuchse ist eingebaut.

Fazit

Tabelle
Tabelle: Oculus Quest

Die Oculus Quest ist das spannendste VR-Headset seit Erscheinen von HTC Vive und Oculus Rift. Während in den Jahren danach lediglich technische Details wie Auflösung und Sichtfeld verbessert wurden, denkt Quest das ganze Konzept neu: High-End-VR ohne PC und externe Tracker – quasi eine All-in-One-VR-Spielkonsole für weniger Geld als ein PC-Headset allein. „High-End“ bezieht sich dabei auf das Mittendrin-Gefühl und das exakte Tracking – hingegen muss man bei der Grafikqualität wegen des Smartphone-SoCs Kompromisse eingehen. Für riesige Open-World-Spiele wie Fallout VR oder Simulationen wie Elite: Dangerous benötigt man auch in Zukunft noch einen Gaming-PC mit Headset. Für viele VR-Nutzer und -Interessierte sollte das jedoch kein Problem sein, denn die bislang erfolgreichsten VR-Titel setzen auf innovative Konzepte und einfache Grafik – und die stemmt die Quest problemlos. (jkj@ct.de)