c't 7/2018
S. 30
News
Elektronischer Rechtsverkehr

Unerreichbar

Wie die Justiz den elektronischen Rechtsverkehr behindert

Seit Jahresbeginn können auch Bürger, kleine Betriebe und Unternehmen per De-Mail am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmen. Doch die Gerichte rücken ihre Adressen nicht heraus.

Die De-Mail ist viel gescholten worden und führt ein eher kümmerliches Dasein. Bis vor Kurzem hatte sie kaum einen praktischen Nutzen für die Anwender. Verpflichtet, einen De-Mail-Zugang zu eröffnen, waren bislang nur Behörden des Bundes. Aber welcher Bürger hat schon Rechtsverkehr mit dem Bundeskanzleramt?

Seit Jahresbeginn sehen aber auch nahezu alle Verfahrensordnungen De-Mail als sicheren Übertragungsweg für die rechtswirksame Übermittlung von Dokumenten vor, gleichberechtigt mit hergebrachten Techniken wie dem Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) oder dem missratenen „besonderen elektronischen Anwaltspostfach“ (beA). Der elektronische Rechtsverkehr ist damit für jedermann eröffnet.

Obwohl maßgebliche Vorschriften es ausdrücklich vorsehen, kann man in der Praxis Schriftsätze bei Gericht kaum per De-Mail einreichen.

Der entscheidende Unterschied der De-Mail zu den anderen sicheren Übertragungswegen besteht darin, dass man die Dokumente dafür nicht selbst mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen muss. Das erledigt der De-Mail-Dienstleister automatisch, wenn man die passende Versandart auswählt. Wie man das richtig macht, erklärt ein Artikel auf der Webseite der c’t (siehe ct.de/yfhm).

Doch obwohl maßgebliche Vorschriften wie die Zivilprozessordnung (§ 130a Abs. 4 Nr. 1 ZPO) ausdrücklich vorsehen, dass man bei Gericht Schriftsätze wirksam per De-Mail einreichen kann, ist das in der Praxis kaum möglich. Schließlich benötigt man dazu die De-Mail-Adresse des jeweiligen Gerichts – und die werden geheim gehalten.

Auf ihren Webseiten geben die Gerichte ihre De-Mail-Adressen nicht an. Anfragen danach beantworten sie erfahrungsgemäß mit nichtssagenden Verweisen auf Webseiten mit allgemeinen Erläuterungen zum elektronischen Rechtsverkehr. Dass solche Verweise verwirrend sind, hatte der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim kürzlich in einer oberrichterlichen Entscheidung gerügt und den Rechtsbehelf eines Verwaltungsgerichts, der mit solchen Verweisen versehen war, deshalb als unwirksam erklärt (siehe ct.de/yfhm).

Mitunter kennen die Gerichte ihre eigene De-Mail-Adresse selbst nicht, wie etwa das Amtsgericht Bonn, in dessen Zuständigkeitsbereich Unternehmen wie die Deutsche Post und die Deutsche Telekom ihren Sitz haben. c’t hat deshalb sämtliche Ministerien und Senatsverwaltungen der zuständigen Länder zu der Sache befragt und um Auskunft über die De-Mail-Adressen der Gerichte gebeten. Erteilt hat uns diese Auskunft nur der Justizsenator Hamburgs. Ansonsten hieß es unisono, die Adressen würden nicht veröffentlicht, weil dies zu verwirrend für die Nutzer sei. Tatsächlich haben die Gerichte keine sinnvollen Adressen wie AG_Aachen@egvp.de-mail.de, wie man es etwa für das Amtsgericht Aachen erwarten würde. Der erste Teil ihrer Adressen besteht vielmehr aus der sogenannten Safe-ID für das elektronische Gerichtspostfach, das schon seit einigen Jahren in Betrieb ist, der zweite besteht wie üblich aus der Domain des Providers. Die Adresse des AG Aachen lautet also govello-1153299851790-000001289@egvp.de-mail.de.

Von Justizseite heißt es stereotyp, der Zugang sei trotzdem möglich, da die Gerichte über das gemeinsame Verzeichnis zu finden seien, das die De-Mail-Provider ihren Nutzern zur Verfügung stellen. Dort könnten De-Mail-Nutzer die Adressen der Gerichte finden. In der Praxis stimmt das aber nicht. Zunächst stellte sich heraus, dass die Adresssuche bei den Marken der United Internet (1&1, GMX, Web.de) unter technischen Problemen litt, die ein Auffinden der Gerichte hinderte. Als dies durch die Anfragen der c’t bekannt wurde, gab es hektische Gespräche zwischen dem Anbieter und verschiedenen Ministerien, die zu raschen Updates führten, sodass die Suche auch dort inzwischen leidlich funktioniert.

Darüber ein Gericht ausfindig zu machen, ist nach wie vor bei allen Providern schwierig. Ursache dafür sind die unvollständigen Datensätze, welche die Justizverwaltungen der Länder über die Procilon IT-Solutions GmbH in das gemeinsame Verzeichnis haben eintragen lassen. Der „Vorname“ jedes Gerichts lautet „Postfach“, als Nachname trägt es seine volle Bezeichnung ein, zu der auch der Ortsname gehört, im Beispiel also „Amtsgericht Aachen“. Die Felder „Firma/Institution“ und „Ort“ sind in den Datensätzen der Gerichte hingegen leer. Wer also ein Gericht über das Feld „Institution“ sucht, wird nicht fündig. Ebenso wenig wer etwa als Namen „Amtsgericht“ und als Ort „Aachen“ eingibt. Denn ein Amtsgericht an diesem Ort kennt die Datenbank nicht. Beim Namen kann man sich mit Wildcards helfen. Gibt man „Amtsgericht*“ ein, dann wäre das AG Aachen zu finden. Allerdings gibt es dafür zu viele Amtsgerichte; die Suchfunktion meldet dann zu viele Treffer. Beim Ort helfen auch Wildcards nicht, da alle Gerichte ohne Ort verzeichnet sind.

Die Reaktionen auf diese Misere aus den zuständigen Ministerien und Senatsverwaltungen fallen höchst unterschiedlich aus. In Nordrhein-Westfalen bemüht man sich immerhin um Abhilfe, will lesbare Adressen beschaffen und diese dann auch im Internet veröffentlichen. „Ich finde den jetzigen Zustand bürgerunfreundlich und deswegen unbefriedigend“, sagte NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) der c’t. Man arbeite deshalb „mit Hochdruck an einer vernünftigen Lösung“.

Das sieht Dirk Behrendt, grüner Justizsenator in Berlin, offenbar anders. Eine weitere Bekanntgabe der De-Mail-Adressen der Berliner Justiz sei derzeit nicht beabsichtigt, teilte sein Sprecher der c’t mit. Aus seiner Sicht stelle sich „die OSCI-Kommunikation mit all ihren Derivaten (EGVP, besonderes elektronisches Notarpostfach, besonderes elektronisches Anwaltspostfach und besonderes elektronisches Behördenpostfach) als strategisches Kommunikationsmittel“ dar. Mit anderen Worten: Elektronischen Rechtsverkehr für jedermann hält Berlins grüner Senator für überflüssig. Da wundert es auch nicht, dass seine Gerichte nicht einmal sämtlich korrekt im Verzeichnis eingetragen sind und dass er seine Hausjuristen prüfen lassen will, ob die c’t einen presserechtlichen Anspruch auf Auskunft über die De-Mail-Adressen hat. (tig@ct.de)

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