c't 3/2018
S. 16
News
NetzDG
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Maas-Regelung

Heftige Kritik am neuen NetzDG

Seit dem 1. Januar müssen soziale Netzwerke gemeldete Inhalte umgehend prüfen und gegebenenfalls sperren. Sofort wurde deutlich, dass „Overblocking“ zum Problem werden könnte.

Eines der Lieblingsprojekte von Bundesjustizminister Heiko Maas erwischte einen denkbar schlechten Start ins Jahr 2018: Kaum war das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) am 1. Januar vollständig in Kraft getreten, war von verfassungswidriger Rechtsdurchsetzung die Rede, Verbände geißeln das Werk als „Gaga-Gesetz“ und sogar der toxische Begriff „Zensur“ ist derzeit oft zu lesen.

Was war passiert? Am Neujahrsmorgen hatte die AfD-Politikerin Beatrix von Storch einen wohlkalkuliert provokativen Text auf Twitter gepostet. Der Kurznachrichtendienst sperrte den Tweet und schloss die Politikerin für einige Stunden aus. Das Satire-Magazin Titanic griff diesen Fall auf und postete unter seinem Account absurde Tweets seiner angeblichen „Gasttwitterin“ von Storch – und wurde ebenfalls für 48 Stunden gesperrt. Offensichtlich erkannte Twitter die Ironie nicht.

Für die Kritiker am NetzDG trat damit ein, wovor sie immer wieder gewarnt hatten: Aus Furcht vor den nun drohenden Bußgeldern sperren die sozialen Netzwerke Twitter, Facebook und YouTube vorsorglich wesentlich mehr, als sie müssten: Im Zweifel gegen den Angeklagten?

Furcht vor Millionenstrafen

Das NetzDG schreibt unter anderem vor, dass soziale Plattformen ein funktionierendes Beschwerdemanagement haben müssen. Sie sollen von Nutzern als potenziell rechtswidrig gemeldete Beiträge innerhalb von 24 Stunden prüfen. „Offensichtlich rechtswidrige“ Beiträge müssen in diesem Zeitraum verschwunden sein, Zweifelsfälle dürfen bis zu sieben Tage geprüft werden. Fällt auf, dass die Unternehmen dem wiederholt nicht nachkommen („systemisches Versagen“ im Beschwerdemanagement), drohen Bußgelder. Aus einem geleakten Entwurf für den Bußgeldkatalog geht hervor, dass das Justizministerium recht drakonische Strafen vorsieht. Bei einem „leichten Verstoß“ muss demnach etwa ein Netzwerk der Größe A (über 20 Millionen Nutzer) schon ein Bußgeld von zweieinhalb Millionen Euro zahlen.

Zum Kasten: Ihnen, liebe Computerfuzzis, hört keine Sau zu!

Zuständig für die Bußgeldverfahren ist das in Bonn ansässige Bundesamt für Justiz (BfJ). Die Behörde stellt ein Formular für Beschwerden über Nicht-Löschungen bereit. Nach Angabe des BfJ sind bereits in den ersten sieben Tagen des Jahres 52 Beschwerden eingegangen – und das, obwohl dieses Formular sehr aufwendig auszufüllen ist. Liegt eine „überschaubare Zahl von falschen Einzelfallentscheidungen“ vor, kommen diese Fälle laut BfJ zum Amtsgericht Bonn. Auf dieses Gericht dürfte folglich viel Arbeit zukommen: Es soll all die Zweifelsfälle prüfen und verbindlich entscheiden, „ob die nicht entfernten Inhalte in den benannten Einzelfällen rechtswidrig sind oder nicht“.

Kritiker wie den Verfassungsrechtler Dr. Mathias Hong bringt das auf die Palme: „Nur das ‚Zuwenig-Löschen’ (von rechtswidrigen Beiträgen) wird mit Sanktionen bedroht, das ‚Zuviel-Löschen’ (von rechtmäßigen Beiträgen) bleibt dagegen sanktionslos“, moniert er im Verfassungsblog. Das NetzDG laufe auf eine Aufforderung zum massiven „Overblocking“ hinaus. Diese rechtliche Einseitigkeit des Regulierungsmodells sei „eklatant verfassungswidrig“. Ebenso nicht vorgesehen ist, dass die Verfasser von mutmaßlich rechtswidrigen Inhalten strafrechtlich verfolgt oder dass ihre Beiträge gerichtlich geprüft werden. Seine zahlreichen Kritiker halten Heiko Maas deshalb vor, mit dem NetzDG dem Denunziantentum und der privatisierten Rechtsdurchsetzung im Internet Vorschub zu leisten.

Die echten Täter können sich sicherer fühlen. Umgekehrt dürfte das NetzDG der Meinungsfreiheit einen Bärendienst erweisen – Stichwort „Chilling Effect“: Wer stets im Hinterkopf hat, dass grimmige Meinungsäußerungen im Zweifel von der Plattform fliegen, wird sich über Gebühr zurückhalten – oder sich im schlimmsten Fall lieber gar nicht äußern. (hob@ct.de)