c't Retro 2018
S. 134
Szene
Flippern in Deutschland
Aufmacherbild

Jurassic Pinball

Auf Entdeckungsreise in die Welt der Flipper

Wer heute Sehnsucht nach den Automaten seiner Jugend verspürt, wird in Flippermuseen mit dem Motto „Anfassen erwünscht“ fündig. Wir sind quer durch Deutschland gereist und haben Probe gespielt.

Die meisten Pinball-Automaten stehen heutzutage in Privathaushalten – selbst in „Flippothek“ getauften Spielhallen steht nicht mal mehr ein Alibi-Flipper. Bevor man zwecks Eigenerfahrung die Urlaubskasse plündert und blind irgendeinen halbtoten Schnapper bei eBay schießt, sollte man erst einmal bei einem der diversen Flippermuseen in Deutschland vorbeisehen.

Video: Flipperfieber: Ripley's Believe It or Not! in Aktion

Flippermuseum Schwerin

Das Flippermuseum in Schwerin existiert seit 2007 und ist somit das zweitälteste Flippermuseum in Deutschland. Wieso ausgerechnet Schwerin? Mitgründer Arne Hennes ist ganz offen: „Wir wussten, es gibt im Osten viel Leerstand.“ Derzeit kommt das Museum im ehemaligen Wohnheim einer längst geschlossenen Berufsschule unter, das schon bessere Tage gesehen hat. Anders das Innere: Die Räumlichkeiten machen einen anheimelnden Eindruck.

Das Flippermuseum sortiert seine Exponate teils chronologisch, teils thematisch in überschaubaren Räumen. So gibt es ein Zimmer für die allerersten Flipper und eines für Modelle mit Science-Fiction-Motiv. Schilder an den Wänden erklären die Flippergeschichte; offene Backboxes legen die Innereien typischer Automaten offen.

Der Grundstock stammt aus Gaststätten, deren Wirte ungenutzte Geräte spendeten. Viele Exponate sind Leihgaben, über 100 Geräte stehen bereit. Neben Flippern sind auch Musikboxen und ein paar Videospiele aufgestellt. Alle spielbaren Automaten stehen auf Freispiel.

Die über 100 Flipper im Flippermuseum Schwerin sind teils thematisch, teils nach Zeitalter sortiert.

Betreiber des Museums ist der gleichnamige Verein, der 15 Mitglieder zählt – die meisten davon versierte Bastler. Das Museum öffnet jeden Samstag und Sonntag und zählt jährlich 6000 Besucher. Jeden Dienstagabend treffen sich die Vereinsmitglieder, um die Exponate zu säubern und defekte Maschinen zu reparieren. Um gespendete Flipper präsentabel zu machen, ist oft viel Aufwand nötig: Bei einem Devil’s Dare (1982) dauerte die Aufbereitung sechs Monate.

Gelegentlich kommen auch Flipperbegeisterte von außen zu Besuch und legen Hand an. In den meisten Gottlieb-Geräten stecken mittlerweile Ersatz-Boards, die mehr aushalten als die Originale. Ein Vereinsmitglied hat sogar ein eigenes Driverboard für System-80-Geräte gebaut.

Trotz der sichtbaren Anstrengungen bleiben Ausfälle nicht aus: In jedem Raum ist mindestens ein Flipper außer Betrieb. Die Verfügbarkeit ändert sich von Stunde zu Stunde, wenn die in die Jahrzehnte gekommenen Maschinen von den Besuchern kaputt gespielt werden. Macht nichts – es stehen ja genügend Alternativen da.

Kleine Kinder begeistern sich besonders für die Flipper, erzählen die Vereinsmitglieder. Vor dem im Flur aufgestellten Flipperungetüm Hercules (1979) steht ein kleines Mädchen, dessen Schultern gerade mal so eben über den Rand des Playfields ragen. Um an die Flipperknöpfe zu kommen, muss das Kind das Gerät förmlich umarmen. Mit der Pubertät lege sich das Interesse für die Automaten wieder, dann fesseln Smartphones die Aufmerksamkeit.

Aber irgendwann kommen sie wieder: Jüngst besuchte ein Hamburger Motorradfahrer das Schweriner Museum, dem beim Anblick der funkelnden Pracht plötzlich die Tränen in den Augen standen – 40 Jahre war es her, dass er zum letzten Mal vor einem Flipper gestanden hatte. Das führt den Betreibern des Flippermuseums wieder vor Augen, warum sich ihre Arbeit lohnt: damit die Flipperkultur nicht ins Vergessen gerät.

Flipper- und Arcademuseum in Seligenstadt

Im Flippermuseum Schwerin steht der weltgrößte Flipper, Hercules von Atari.

Das Flipper- und Arcade-Museum in Seligenstadt, Hessen, befindet sich in einem ehemaligen Möbelgeschäft mit 700 Quadratmeter Standfläche, die sich in zwei Bereiche aufteilt: Abgesehen von einer Reihe Flipper stehen im Erdgeschoss vor allem Arcade-Automaten, das Untergeschoss ist das reine Flipperparadies. Zusätzlich gibt es einen Wartebereich, in dem ein Bistro, ein kleines Retro-Museum und Home-Entertainment-Systeme die Zeit vertreiben.

Das „FAMS“ öffnet nur einmal im Monat seine Pforten. Aus Feuerschutzgründen dürfen maximal 190 Besucher gleichzeitig in die Hallen; oft ist dieses Limit schon kurz nach Öffnung erreicht. Dann gibt die Kasse erst mal nur noch Wartenummern aus. Erst wenn die ersten von dannen gezogen sind, dürfen Besucher nachrücken. Im Winter zählt das Museum monatlich durchschnittlich 280 Besucher, im Sommer drücken die Ferien die Publikumszahlen auf 150 bis 200. Die meisten Besucher kommen aus der Region, Stammgäste kommen aber auch aus Bochum und Bremen angereist.

Um die Lage zu entzerren, wurden die Öffnungszeiten im April um drei Stunden verlängert. Dennoch waren die Sitzecken im Foyer eine Stunde nach der Öffnung weiterhin gut gefüllt. Kindergeburtstage dürfen vorreservieren, ansonsten gilt: Wer zuerst kommt, spielt zuerst. Wie in Schwerin stehen auch hier alle Automaten auf Freispiel, sodass man sich an einer Maschine bis zum Exzess austoben kann.

114 Flipper und 109 Arcade-Automaten aus allen Altersklassen sind im FAMS – an einem gut besuchten Tag piepen, rattern und plappern die Automaten derart um die Wette, dass man das eigene Spiel nicht mehr hört. Die Automaten stehen dicht aneinander gedrängt. Im Sommer wird das Erdgeschoss schnell drückend heiß; unten kann man beim Flippern einen relativ kühlen Kopf behalten. Alle Exponate sind grundsätzlich spielbar, Ausfälle kommen auch hier immer wieder vor. In den meisten Gehäusen stecken Original-Boards, in anderen werkelt unsichtbar ein MAME-Emulator.

Den Eingangsbereich dominieren acht zusammengeschaltete Daytona-USA-Automaten. Das Multiplayer-Rennspiel ist von früh bis spät voll ausgelastet; wer auch mal spielen will, wartet auf einem Sofa an der Wand. Fällt ein Automat aus, sind alle acht Stationen außer Gefecht – deshalb setzt das Museum auch hier auf Emulation; die anfälligen Original-Boards lagern im Keller. Ein Vereinskamerad hat Technik nachgerüstet, die das gesamte Renngeschehen auf zwei darüber angebrachte Bildschirme bringt.

Auch in Seligenstadt geht das Flipper-Spektrum von EM-Flippern mit ratternden Drehrädern bis hin zu Solid-State-Geräten mit mehrzeiligen Dot-Matrix-Displays. Neben Dauerbrennern wie Terminator 2 (1991) und The Addams Family (1992) stehen Exoten wie Jolly Park (1996) des spanischen Herstellers Spinball, der nach nur drei Flipperautomaten wieder von der Bildfläche verschwand. Moderne Geräte, etwa von Stern, fehlen allerdings. Die museale Aufarbeitung beschränkt sich weitgehend auf Schilder, die auf einigen Flipper-Backboxes wissenswerte Eckdaten liefern: Hersteller, Datum, Designer und Alleinstellungsmerkmale.

Hinter dem Museum steckt viel Power: Der Verein „For Amusement Only“ zählt 158 Mitglieder. Fast alle Geräte sind Leihstellungen: Wer seine Flipper ins Museum stellt, zahlt einen erhöhten Mitgliedsbeitrag; im Gegenzug kümmert sich der Verein kollektiv darum, dass sie sauber und spielbar bleiben. Um die Maschinen am Leben zu halten, treffen sich die Vereinsmitglieder jeden Freitagabend ab 18 Uhr im Museum. Das ist keine Pflichtveranstaltung, an Freiwilligen gibt es keinen Mangel. Engagierte Bastler kommen schon am Donnerstag an, ackern drei Tage lang bis spät in die Nacht und reisen erst am Samstagabend wieder ab.

Extraball, Deutsches Flippermuseum Neuwied

Im Erdgeschoss des Flipper- und Arcade-Museums in Seligenstadt (FAMS) dominieren acht Daytona-USA-Automaten den Raum. Die Arcade-Maschinen sind den ganzen Tag in Betrieb.

Der erste Eindruck des ersten deutschen Flippermuseums in Neuwied, Rheinland-Pfalz: Also wirklich, das hatten wir uns größer vorgestellt. Das schmale Haus liegt nur wenige Schritte von der städtischen Fußgängerzone entfernt. Doch der Eindruck trügt: Das Museum belegt nicht nur das beschilderte Erdgeschoss, sondern zwei komplette Stockwerke, das Pendant zu vier Wohnungen.

Wie das Flippermuseum Schwerin öffnet auch das Extraball jeden Samstag und Sonntag für je vier Stunden. 150 Flipper sind hier versammelt, 100 davon spielbar. Auch hier stehen artverwandte Flipper nebeneinander, etwa Star Wars von Data East (1992) neben Star Wars Trilogy von Sega (1997). Episode I (1999) findet sich einen Raum weiter neben Revenge from Mars; die beiden Pinball-2000-Flipper gehören eben zusammen. Ein Raum im ersten Stock steht voller Gottlieb-Flipper; ein Exponat im Flur zeigt am Beispiel von Sharpshooter (1979), wie ein- und dasselbe Playfield von oben und unten aussieht.

In einem großen Raum voller Kuriositäten steht ein elektromechanischer Jungle (1972) mit großem Guckloch in der Seitenwand – so kann einer die Mechanik im Inneren bestaunen, während der andere spielt. Weiter hinten findet sich ein deutschstämmiger „Assomat“ aus den 60er Jahren, der leider nicht spielbar ist. Zu den moderneren Seltenheiten gehören zwei zusammengeschaltete NBA Fastbreak (1997), auf denen Spieler simultan gegeneinander spielen können.

Darüber hinaus findet sich in Neuwied viel Flipperprominenz: ein Attack from Mars (1995), gleich zwei Medieval Madness (1997) und ein prunkvoll restaurierter Safe Cracker (1996). Im Eingangsraum stehen zwei aktuelle Stern-Geräte, Star Trek (2013) und Iron Maiden (2018). Einen Hercules haben die Neuwieder auch – der lagert allerdings nach einer missratenen Reparatur der eigenwilligen Atari-Technik hinter den Kulissen.

Bockiges Mistding … Ein Vereinsmitglied überprüft im Untergeschoss des FAMS mit Oszilloskop und viel Geduld, woran es diesmal krankt. Der Patient ist ein Middle Earth (1978) von Atari.

Im Unterschied zum Getümmel von Seligenstadt ist die Atmosphäre im Extraball entspannt. Die Verteilung auf unterschiedliche Räume hat den Vorteil, dass man seinen eigenen Flipper fast immer noch gut hören kann. Die meisten Flipper laufen tadellos, manche machen im Laufe des Tages schlapp und werden dann abgeschaltet. Das tut dem Spaß aber auch hier keinen Abbruch.

Der Verein „Deutsches Flippermuseum e. V.“ besteht aus gerade mal neun Personen. Den Grundstock für das Museum legte die Privatsammlung des Vorsitzenden. Die Wartung der Geräte stemmen zwei weitere Mitglieder. Zur Reparatur stehen dem Museum keine Prüfstände für bestimmte Flippergenerationen zur Verfügung, wie sie einst Aufsteller hatten, sondern es zählt vor allem Intuition und Improvisation: Ein Mitglied hat zum Testen eigenen Code zur Board-Diagnose für die alten CPUs entwickelt.

Wie die Kollegen in Schwerin und Seligenstadt rüstet auch das Flippermuseum die Exponate schrittweise auf LEDs um. Davon abgesehen, dass die Maßnahme die Kabel, Stecker und Lampenfassungen schont, weil die Flipper danach unter weniger Strom stehen, schonen LEDs auch den Geldbeutel: Vor der Umstellung verbrauchte das Museum monatlich 500 Euro an Stromkosten, jetzt sind es „nur“ noch 400 Euro.

Im Extraball-Flippermuseum in Neuwied stehen die Flipper nicht auf Freispiel – da ist die Freude über einen Extraball umso größer.

Anders als in Schwerin und Seligenstadt stehen die Automaten in Neuwied nicht auf Freispiel. Besucher erhalten mit ihrem Ticket einen kleinen Stapel Markstücke, die sie an die Automaten verfüttern können. Ist der Vorrat aufgebraucht, kann man an der Kasse weitere Münzen tauschen, Wechselkurs 50 Cent zu einer Mark. Die Begründung klingt stimmig: Das Museum will keine Spielhalle sein, sondern möglichst authentisches Flipper-Feeling bieten. Und dazu gehört halt sowohl der Frust, wenn ein Spiel schnell mit drei Bällen im Aus endet, wie auch die unbändige Freude, wenn der Automat zur Belohnung ein Freispiel ausspuckt.

Echte Flipper-Fans quartieren sich für eine Nacht im Flipperhotel ein, das im oberen Stockwerk des Gebäudes liegt. Zur Auswahl stehen eine Suite im Hippie-Stil des Flippers „Capt. Fantastic“, ein Doppelzimmer im Mittelalterlook und ein High-Speed-Zimmer mit Rennwagenbett. Hier ist jeweils ein Flipper auf Freispiel inklusive.

Weitere Spielchancen

Tabelle
Tabelle: Flippern zum Flatratetarif

Abgesehen von den Museen in Schwerin, Seligenstadt und Neuwied sind diverse Flippertempel über ganz Deutschland verstreut. Die Tabelle nennt die uns bekannten, für jedermann zugänglichen. Zwei weitere Hallen kennen wir aus persönlicher Anschauung von früheren Besuchen aus den letzten Jahren.

Freddy’s Pinball Paradise in Echzell ist ein ehemaliger Supermarkt. Den hat der namensgebende Alfred Pika mit 160 Flippern vollgestellt, seiner Privatsammlung. Die Geräte sind zumeist in tadellosem Neuzustand und nahezu alle bespielbar. Da Pika mit Ersatzteilen und neuen Flippern handelt, kann man auch diverse Neuerscheinungen ausprobieren. Aufgrund des Füllgrads der Halle ist im Klangteppich der bespielte Flipper kaum zu hören, sodass Besucher schon Pläne schmiedeten, mit Mikrofon und Kopfhörer anzureisen.

Die Flipperhalle Electric Friends steht im Industriegebiet von Lemgo. Der Verein hat die Halle 2014 eröffnet. Sie fasst rund 50 Automaten, die von den Vereinsmitgliedern gepflegt werden. Ein Teil der Geräte steht in kleineren angeschlossenen Räumen und der Kellerbar eines der Gründungsmitglieder des Vereins. Die Besucher verteilen sich in der Halle, wodurch der Spieler auch die Geräusche des eigenen Geräts mitbekommt. (ps@ct.de)

Autor und Redakteur sind auf eigene Kosten gereist, haben aber das eine oder andere Freispiel genossen – sofern es die interessanten Gespräche mit den Vereinsmitgliedern überhaupt zuließen.