c't Retro 2018
S. 156
Praxis & Wissen
Diskettenkopierer Kryoflux

„Retter des digitalen Erbes“

Interview zum legendären Diskettenkopierer Kryoflux

Der USB-Adapter Kryoflux rettet mit seiner Software wertvolle Schätze von klassischen Disketten. c’t sprach mit dem Initiator Christian Bartsch.

c’t: Wie ist die Idee zu Kryoflux entstanden?

Christian Bartsch hatte Mitte 2000 die Idee zu einer universellen Disketten-Kopierlösung.

Christian Bartsch: Ich habe in den frühen 1990er-Jahren für die Firma Cachet gearbeitet, die auf dem Amiga das Kopierprogramm „X-Copy“ gemacht hat. Dazu gab es ein Kopiermodul namens Cyclone. Der Inhalt eines Datenträgers im internen Laufwerk ließ sich damit inklusive Kopierschutz auf das externe Laufwerk schreiben, ohne die Daten überhaupt anzufassen.

Irgendwann Mitte der 2000er-Jahre habe ich mal wieder meinen Amiga aus dem Keller geholt. Da kam natürlich gleich die Frage auf, wie ich die Datenträger sichern kann, die sich noch in einem guten Zustand befanden. Als ich dann den Programmierer Richard Aplin von Cyclone in einem englischen Amiga-Board wiedertraf, habe ihm einfach eine Mail geschrieben – nach dem Motto „Eigentlich müsste man mit der Technik von heute einen richtigen Floppy-Controller entwickeln. Die Bauteile kosten nichts mehr, das Know-how haben wir – also warum machen wir nicht eine Cyclone 2000?“. Das war der ursprüngliche Arbeitstitel.

c’t: Kryoflux – oder damals Cyclone 2000 – sollte aber nicht dazu dienen, Retro-Laufwerke an modernen Rechnern zu nutzen.

Vorbild für Kryoflux: Mit dem „Cyclone“-Modul ließen sich Amiga-Disketten kopieren.

Christian Bartsch: Der Grund, warum wir uns für einen eigenen Controller entschieden haben, ist der, dass jeder der klassischen Controller da draußen seine Eigenarten hatte. Bei Commodores Diskettenlaufwerk 1541 für den C64 bekommst du beispielsweise nur vorgekochte Daten, wie wir das nennen. PC-Controller werfen 50 Prozent der Daten gleich weg. Die Amigas gehen im Laufe der Zeit kaputt und können natürlich keine HD-Disketten lesen. Wir wollten aber ein Gerät, das die Daten unangetastet vom Diskettenlaufwerk an den Rechner liefert. Erst der fängt dann an, die Daten zu interpretieren.

c’t: Zu zweit seid ihr im Laufe der Entwicklung nicht geblieben.

Christian Bartsch: Richard ist ein sehr guter Ingenieur, hatte aber an der Serienfertigung kein Interesse. Das heißt, er hat das Produkt praktisch bis zum Proof-of-Concept entwickelt. Dann hat ein Kompagnon von mir aus England übernommen, István Fábián, der bei Sony arbeitet und auch einer der Entwickler der PlayStation 4 ist. István ist einerseits ein sehr guter Entwickler und hatte andererseits 2001 die Software Preservation Society gegründet. Das ist eine Gruppe von Leuten, die sich online damit auseinandersetzt, wie sich digitale Kunstwerke von gestern für morgen erhalten lassen.

c’t: Ihr unterstützt eine ganze Reihe von Laufwerken für unterschiedlichste Systeme. Sind die sich tatsächlich alle so ähnlich?

Christian Bartsch: Teilweise sind sie sich ähnlich, aber gerade da, wo es spannend wird, ist Ingenieursleistung gefragt. Da reden wir dann über so was wie das Laufwerk des „Emulator 2“, einen externen Synthesizer, in den man über Floppies Samples reinladen konnte. Das haben wir komplett reverse engineered. Wie der Controller dort Daten liest und schreibt, haben wir so komplett selbst rausgefunden. Da ist István einfach der richtige Mann. Ich würde daher auch behaupten: 95 Prozent des Produkts ist Software, fünf Prozent Hardware.

c’t: Nun stand irgendwann die Technik also bereit. Aber damit hattet ihr ja noch kein Produkt.

Christian Bartsch: Als wir 2008 diesen Prototyp von „Cyclone 2000“ hatten, habe ich mir gedacht, dass auch jede Menge anderer Leute dieses Problem haben müssten. Denn der Amiga wurde ja auch nicht mehr produziert und die ursprüngliche Lese-Hardware, mit der wir bis dahin die Datensicherung betrieben haben, ist ja auch dem Alterungsprozess unterworfen. So haben wir dann Kryoflux entworfen und einfach aus Spaß als Gruppe aus drei Briten und zwei Deutschen eine Firma als Limited in Großbritannien gegründet.

Nun wollten wir 100 Exemplare herstellen lassen, doch kein Auftragsfertiger in Europa wollte uns die Dinger bauen. Zu dieser Zeit waren diese Kleinserien noch überhaupt nicht en vogue. Letztlich haben wir in Bulgarien einen Prototypen-Entwickler gefunden, der das gemacht hat. Das war natürlich teurer, als wenn wir zehntausend genommen hätten.

Die 100 Stück haben wir dann in den Online-Shop gepackt und das Bestellfenster eingerichtet – und die waren über Nacht ausverkauft. Da haben wir uns gedacht: „Okay, da müssen wir noch weitere 100 machen“. Und so ging das seither immer weiter. Mittlerweile sind wir bei 5000 Einheiten.

c’t: Aber gibt es da keine Sättigung?

Christian Bartsch: Das haben wir auch gedacht, deshalb haben wir immer nur 100 Stück gemacht. Und jedes Mal habe ich gesagt, dass ich die nächsten Hundert nicht mehr los werde. Tatsächlich habe ich gerade wieder etwas Rückstand und musste das Bestellfenster schließen. Ich kriege sofort Mails – „Das Produkt ist nicht mehr verfügbar. War ist denn da los? Gibt es das noch?“ Also, es hört nicht auf.

c’t: Aber nicht nur die Stückzahlen sind interessant, sondern auch die Käufer von Kryoflux.

Christian Bartsch: Mittlerweile haben wir Referenzkunden von der Library Of Congress über Harvard, Stanford und Yale bis hin zu Apple und der Bill Gates Foundation. Du kannst irgendeine große Bibliothek nennen – und es ist sicher, dass die Kryoflux benutzt. Weil die alle das gleiche Problem haben: Sie müssen Daten einlesen, haben aber die nötige Technik nicht.

c’t: Vor einiger Zeit ging doch sogar eine Geschichte mit Fundstücken des Avantgarde-Künstlers Andy Warhol durch die Presse. Was hatte es damit auf sich?

Christian Bartsch: Commodore hat seinerzeit die Präsentation des Amiga im Lincoln Center in New York abgehalten und dafür war Andy Warhol da, der Debbie Harry von Blondie in ein digitales Kunstwerk verwandeln sollte. Um sich auf den Rechner einzugrooven, hatte Commodore schon Wochen oder Monate Warhol einen Rechner hingestellt. Und er hat mit der Pre-Production-Software bereits gearbeitet und Zeichnungen gemacht – wobei nicht ganz sicher ist, ob er alles selbst produziert hat oder ein Teil seiner Studiokollegen.

Die Disketten, die dabei entstanden, sind jedenfalls in irgendeinem Archiv in New York eingelagert worden. Und irgendwann hat man sie dann wiedergefunden. Die Frage war nun, was man nimmt, um herauszufinden, was sich darauf befindet. Einige Studenten, die man um Hilfe gebeten hat, hatten ein Kryoflux. Und so wurde Kryoflux zum Retter des digitalen Erbes von Andy Warhol.

c’t: Du dürftest schon mal die Frage gehört haben, weshalb eure Software nicht Open Source ist, oder?

Christian Bartsch: Ja, das höre ich immer wieder. Aber wenn du auf dem Niveau Ingenieursleistung erbringen willst, dann musst du Leute bezahlen. Auch hinter Projekten wie Open Office stehen große Firmen, die diese fördern und Geld darein pushen, damit Entwickler sich hauptberuflich damit beschäftigen können. Sonst kriegt du Kraut-und-Rüben-Code. Das kann keiner mehr warten, der ist nicht verständlich und funktioniert vielleicht auch nicht zuverlässig.

Wenn du auf dem Niveau wie Kryoflux spielen willst, musst du auch einen gewissen Level halten. Theoretisch benötigst du zum Kopieren von Disketten nur Register, bei denen du ein paar Bits hin und her schiebst. Wenn du aber gerade Datenrettung machen willst und die Wahrscheinlichkeit bestimmen willst, ob eine Null oder eine Eins vorliegt, dann brauchst du mehr. Dann rechnest du nicht mit Integern, sondern quasi mit Nachkommastellen.

Der Code hinter Kryoflux ist sehr aufwendig, aber wartbar. Deswegen haben wir auch eine Code-Basis, von der sich momentan automatisch Builds für Windows, macOS und Linux erzeugen lassen. Wir könnten auch andere Plattformen unterstützen. Es gibt beispielsweise eine nicht öffentliche Android-Version, die ich auf einem Tablet benutzen kann. Wir haben uns gegen die Veröffentlichung dieser Version entschieden, da man dort nur eine grafische Oberfläche hat und die eventuell wichtigen Log-Dateien bei Android irgendwo im Nirwana verschwinden.

c’t: Aber die großen Bibliotheken zahlen nicht den gleichen Preis wie Privatkunden?

Christian Bartsch: Nein, wir haben ein geteiltes Lizenzmodell. Für den Endanwender liegt das Board bei 99 Euro plus Versand, für 130 Euro gibt es ein Kit mit allem außer dem Laufwerk. Das ist für eine private, nicht kommerzielle Nutzung. Für Universitäten und ähnliche Institutionen liegt der Preis hingehen bei 3600 Euro. Das klingt erst einmal teuer. Aber es sind eben diese Institutionskunden von Rang und Namen, die die Weiterentwicklung finanzieren. Denn wir merken auch nach fast zehn Jahren, dass es immer noch Dinge gibt, die man besser machen kann – und die man noch einbauen kann. (nij@ct.de)