c't 26/2018
S. 22
News
CeBIT-Aus

Fairwell: Abschied von der CeBIT

Wie die weltgrößte IT-Messe an die Wand gefahren wurde

Computer bestimmen zunehmend unser Leben und es wird immer klarer, dass die Digitalisierung erst am Anfang steht. Am Ende ist hingegen die CeBIT, ehemals Leitmesse eben dieser Digitalisierung. Ihre Reste kehren dahin zurück, woher sie einst kam: in den Schoß der Hannover Messe. Ist das logisch oder dumm?

Die Nachricht, dass es keine CeBIT mehr geben wird, kam überraschend. Viele hatten ihr Ende prophezeit, doch kaum jemand glaubte, dass es so schnell käme. Das neue Konzept, die Fachmesse mit einem Freizeitpark zu kreuzen, hatte 2018 zu einem drastischen Einbruch der Besucherzahlen geführt. Dennoch hätte man der Deutschen Messe AG genug Atem für einen zweiten Versuch zugetraut. Aber ihr ging die Puste aus.

Dabei sind Besucherzahlen ein relatives Maß für den Erfolg einer Messe. Immerhin meldete die Messe AG für die CeBIT 2018 rund 10 Prozent mehr Besucher und 20 Prozent mehr Aussteller, als der Mobile World Congress im Frühjahr nach Barcelona gelockt hatte. Dennoch gilt der MWC im Unterschied zur CeBIT als Erfolg – und als einer ihrer Sargnägel. Er hat davon profitiert, dass das Herumeiern der Messe AG zwischen Fach- und Publikumsmesse die Kommunikationsbranche zum Abwandern bewegte.

An diesem Punkt kann man der Messe AG am ehesten Dummheit vorwerfen. Einerseits warb sie mit hohen Besucherzahlen, zu denen das interessierte Privatpublikum beitrug, andererseits versuchte sie dieses auszugrenzen, um auf B2B-Abschlüsse schielende Aussteller bei der Stange zu halten. In den Jahren dramatisch rückläufiger Besucherzahlen sorgten dann im Gießkannenprinzip verteilte Freikarten dafür, dass die Kugelschreiber- und Süßigkeiten-Vorräte an manchen Ständen schon am zweiten Messetag zur Neige gingen.

Wachstum und erste Teilung

Tod auf Raten: Seit zehn Jahren geht es mit der CeBIT bergab. Die Messe AG fand kein Gegenmittel und der Versuch eines Neuanfangs 2018 floppte. Bild: Statista

Anfangs war das Konzept hingegen klar gewesen: Wer Interesse hatte und es sich leisten konnte, kam nach Hannover. Alles begann mit der „Exportmesse 1947 Hannover“, auf der deutsche Firmen wieder Geschäftskontakte zum internationalen Markt knüpfen konnten. Unter den rund 1300 Ausstellern waren etwa 100 Bürotechnik-Firmen. Dieser Bereich wuchs schnell an und in den 50er-Jahren stellten Firmen wie IBM und Siemens in Hannover ihre Digitalrechner vor.

Ab 1957 wurde die Bürotechnik in der zweistöckigen Halle 17 zusammengefasst, der „Hölle 17“. Laute Lochkartenleser, rasselnde Kettenraddrucker und der Lärm von Postbearbeitungsstraßen bestimmten die Atmosphäre in der Halle. 1969 riss man die zu klein gewordene Halle 17 ab und erbaute die damals weltgrößte Messehalle 1 mit 52.000 m2 Ausstellungsfläche, das Centrum der Büro- und Informationstechnik (CeBIT). 1984 schaffte es das Monstrum ins Guinnessbuch der Rekorde, doch die CeBIT platzte da schon wieder aus allen Nähten.

In dieser Situation beschloss die Deutsche Messe AG, Industrie- und Büromesse zu trennen, wobei der CeBIT der gesamte Bereich der Kommunikationstechnik zugeschlagen wurde. Da Computer, Drucker und Faxgeräte nicht unter freiem Himmeln arbeiten, wurde die CeBIT ins Frühjahr gelegt, während die Industriemesse etwas später im Jahr zur Leistungsschau von Kran und Bagger einlud. 1986 startete die CeBIT mit 2142 Ausstellern, 334.400 Besuchern und – ganz wichtig – mit einem sehr moderaten Eintrittspreis von 8 DM. Neben den Bürorechnern von IBM, Nixdorf und Olivetti stellte Commodore seinen Amiga dem begeisterten (Nicht-nur-Fach-)Publikum vor.

1987 wuchs die CeBIT weiter und beherbergte erstmals viele amerikanische Firmen und Zulieferer. In den Folgejahren veränderten unzählige asiatische Aussteller mit Komponenten aller Art das Bild der Messe. Der Kommunikationsbereich setzte die Highlights: Blühende ISDN-Landschaften mit Telefon und integriertem Teletext sowie Bildschirmschreibmaschinen standen im Wettbewerb zu den immer zahlreicher werdenden PCs. Zwar nannte sich die Messe immer noch CeBIT, doch man gab sich international. Als Bill Gates in seiner Eröffnungs-Keynote 1995 Windows 95 ankündigte, hieß die Messe World Center Office-Information-Telecommunications.

Zweite Teilung und Zenit

In jenem Jahr gab es erstmals Kritik an der Massen-Messe, denn man zählte 218.000 Privatpersonen unter den 755.000 Besuchern und entschloss sich zur Teilung. Die staunenden, Tüten und Kugelschreiber sammelnden Spaßbesucher sollten 1996 zur CeBIT Home, einer Internet-Messe mit dem Untertitel „Deutschland sagt Ja zur Informationsgesellschaft“. Doch die CeBIT Home hielt sich nur bis 1998, denn die „echte“ CeBIT zeigte die interessantere Technik. Eine Flut von Handys war dort zu bestaunen, Bluetooth und GPS, während auf der Home-Edition über die Rolle von Avataren in der Familie diskutiert wurde.

Als IT-Entscheider und private Besucher dann wieder gemeinsam anreisten, gab sich die Messe einen schlichten Untertitel: „No. 1 worldwide“. Das war man denn auch im Jahre 2000 mit der größten CeBIT aller Zeiten: 7800 Aussteller und 700.000 Fachbesucher wurden gezählt, die „anderen“ wurden einfach subsummiert.

2001 brachen erstmals in der Geschichte des PCs die Verkäufe ein. Nominell war die CeBIT davon nicht betroffen, denn nach offiziellen Angaben kamen 830.000 Besucher nach Hannover. Allerdings wurden Dauerkartenbesitzer nicht mehr nur einmal, sondern an jedem Besuchstag gezählt, was den CeBIT-Rekord ermöglichte.

Von nun an ging es bergab: Trotz Zähltrick und einem zusätzlichen Kongresstag kam die CeBIT 2003 nur noch auf 530.000 Besucher. Microsoft stellte die Windows XP Media Edition vor und viele Aussteller zeigten „Media-Center-PCs“. Doch die damals noch sehr klobigen Geräte interessierten weder die Fachbesucher noch die Schaulustigen. 2004 waren dann erstmals HDTV, HD-DVD und Blu-ray ein Messethema, was die schrumpfende CeBIT weiter in Richtung „Consumer Electronics“ drängte.

Absterben

Zeichen des Niedergangs: Ein Besuch auf der CeBIT gehörte zum Standardprogramm von Angela Merkel. Doch 2018 blieb sie der Messe fern.

Einschneidend war das Jahr 2006, als Sony an seinem Stand die neue Playstation zeigen wollte und Microsoft dagegen protestierte. Zur „Herstellung des Messefriedens“ gab die Messeleitung nach. Sony musste einen Teil des Standes schließen und kam nie wieder. Von diesem Schnitt zwischen den staunenden Nerds und den vergötterten Fachbesuchern sollte sich die Messe nicht mehr erholen. Die zuvor nur alle zwei Jahre stattfindende Internationale Funkausstellung (IFA) in Berlin stellte auf jährlichen Turnus um und übernahm dankbar das Schaupublikum.

Hinzu kam 2006 der erwähnte Sargnagel: die Verlegung des GSM World Congresses vom kleinen Kongresscentrum in Cannes als MWC auf das große Messegelände von Barcelona. Der CeBIT brachen dadurch die Fachbesucher aus der Kommunikationsbranche weg. Überhaupt wurde es immer schwieriger, Fachbesucher nach Hannover zu locken. Das Leben war zu schnell geworden, als dass IT-Entscheider bis zur nächsten CeBIT warten wollten. Die globale Vernetzung hatte viel schnellere Kommunikationsmittel erschaffen.

Unter dem Ausbleiben der Fachbesucher litt auch der Fun-Faktor: Standpartys, bei denen Coverbands auftraten und das Barpersonal tausend Liter Bier zapfte, wurden immer seltener. Zwar wuchs das Kongressprogramm, es erzeugte aber keine Gemeinschaft, weil sich niemand mit dem Thema dauerhaft identifizieren konnte. Der CeBIT hat am Ende das gefehlt, was ständig wachsende Rede-Veranstaltungen wie die re:publica ausmacht.

2013 sank die Besucherzahl erstmals unter die der ersten CeBIT und 2017 lockte die Messe nur noch 200.000 Besucher an. 2018 versuchte man es mit viel Fun und verlegte die Messe in den Frühsommer, um mit Riesenrad (SAP), Cloud-Uplifting am Kran (IBM), Food-Trucks und Konzerten am Abend die Messe zum modernen Community-Event umzubauen. Der lockte jedoch nur noch 120.000 Besucher an, was die Aussteller vergrämte, die immer noch Scharen von Fachpublikum erwartet hatten.

Transplantation

Als Grund für die Absage der CeBIT gibt die Messe AG denn auch „rückläufige Flächenbuchungen“ an. Offenbar haben große Aussteller das Interesse an der Messe verloren. Auf der Webseite „Back for CEBIT 2019 …“ hatte die Messe AG über hundert Firmen aufgezählt, darunter IBM, Intel, Software AG und LG, andere wie Telekom, Microsoft und SAP fehlten jedoch. Sie tauchen aber im Ausstellerverzeichnis der Hannover Messe 2019 auf.

Die Messe AG verweist darauf, dass die deutsche Wirtschaft in den vergangenen Jahren immer wieder über die thematische Überschneidung zwischen Industriemesse und der CeBIT diskutiert habe. Man werde daher Themen überführen, die zur inhaltlichen Ausrichtung der Hannover Messe passen.

Das klingt durchaus logisch. Die Hannover Messe hat ihre Besucherzahlen nach einem Einbruch 2014 (175.000) wieder bei deutlich über 200.000 stabilisieren können. Ein Zuwachs durch implantierte CeBIT-Themen würde ihr gewiss nicht schaden. Dennoch muss sich die Messe AG vorwerfen lassen, das Potenzial der privaten Besucher nicht genutzt zu haben. Wie groß dieses ist, zeigt ein Blick auf die IFA, die 2018 etwa doppelt so viele Besucher verzeichnet hat wie die CeBIT.

Mit einem Konzept, das alle an Digitaltechnik Interessierten bedient und alle relevanten Produkte zulässt, hätte die größte Messe zu einem der wichtigsten Themen unserer Zeit sicherlich überleben können. Stattdessen hat man hilflos zugesehen, wie sich Aussteller- und Besucherzahlen in den letzten zehn Jahren mehr als halbierten. Die Veranstalter erfolgreicher Events wie der CES, des MWC oder der Computex haben sich da klüger angestellt. (ad@ct.de)