c't 25/2018
S. 18
News
EU-Quantencomputer
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Bild: Quantum Flagship/H. Ritsch

Europa entfesselt Quanten-Power

Milliarden-Euro-Initiative startet mit Bau eines Quantencomputers

Eine Milliarde Euro Förderung über zehn Jahre, 5000 Forscher und bereits 20 Projekte in der Startphase: Mit einem Kraftakt will die EU die Spitze der Quantentechnik erobern. Der europäische Quantencomputer OpenSuperQ mit 100 Qubits soll bereits 2021 laufen.

Gigantische Zahlen beschreiben die Quantentechnik-Flaggschiff-Initiative der Europäischen Union: Fördergelder von zusammen einer Milliarde Euro unterstützen in den kommenden zehn Jahren ein Heer von 5000 Köpfen in europäischen Forschungsinstituten. Diese schließen sich in internationalen Projekten zusammen und bauen unter anderem einen Quantencomputer mit 100 Qubits – eine bisher nicht erreichte Größenordnung. Dieser Quantencomputer soll bereits 2021 laufen und sowohl Forschern als auch Privatpersonen über die Cloud zur Verfügung stehen.

Mit ihrer Förderoffensive reagiert die Europäische Kommission sowohl auf die chinesischen Erfolge in der satellitengestützten Quantenkryptografie (siehe c’t 17/2018, S. 66) als auch auf große US-Firmen wie Google, Intel, IBM und Microsoft, die in den vergangenen zwei Jahren stetig größere Qubit-Systeme meldeten.

Ein Qubit oder Quantenbit kann im Unterschied zu einem Bit nicht nur die beiden Zustände 0 und 1 annehmen, sondern einen Superposition genannten Zwischenzustand, jedenfalls für kurze Zeit. Mehrere Qubits bilden ein Quantengatter, wobei die Qubits miteinander quantenmechanisch verschränkt sind. Eine Änderung eines Qubits wirkt sich deshalb auf alle anderen aus. Quantenoperatoren manipulieren dieses Register und am Ende steht das Ergebnis: Eine Messung zwingt jedes Qubit in einen der beiden Zustände 0 oder 1.

Das Rechnen mit Superposition und Verschränkung erfordert neue Algorithmen, doch die haben es in sich: Da eine Operation auf alle Qubits zugleich wirkt, kann sie gleichzeitig viele Lösungsmöglichkeiten absolvieren. Probleme bereiten derzeit noch die physikalisch-technische Umsetzung, die Stabilität von Qubits in Quantencomputern und die Fehlerrate. Die bisherigen Ansätze erfordern zumeist Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt.

Quantencomputer entsteht in Jülich

Zehn Partner aus Deutschland, Schweiz, Schweden, Finnland und Spanien sind beteiligt. Der Standort des ersten europäischen Quantencomputers wird das Forschungszentrum Jülich sein. „Drei Jahre bis zur Fertigstellung eines funktionierenden Quantencomputers dieser Größenordnung, das ist ambitioniert, aber realistisch“, sagt Prof. Frank Wilhelm-Mauch, Universität des Saarlandes, der das Projekt OpenSuperQ koordiniert.

Die Entwicklung der benötigten Komponenten habe man im kleinen Maßstab bereits gemeistert. So hat die ETH Zürich bereits vor Jahren Qubits realisiert, mit supraleitenden Schaltkreisen haben die Forscher der Chalmers University of Technology in Göteborg Erfahrungen gesammelt und Mikrowellentechnik für Rechenoperationen an Qubits sind ein Fachgebiet des Technischen Forschungszentrums Finnland VTT in Espoo. Nun geht es im OpenSuperQ-Projekt darum, die bestehenden Komponenten fortzuentwickeln und ein funktionierendes System aufzubauen, das dann allerdings „wesentlich größer sein wird als alles, was wir bisher hatten“, betont Wilhelm-Mauch.

Am Ende soll der Quantencomputer ein Open-Source-Betriebssystem erhalten und seine Rechenkraft mittels eines offenen Zugangs über die Cloud zur Verfügung stellen. Auf diese Weise will man ab 2021 Early Adopter in das Projekt hineinziehen – Wissenschaftler, Unternehmen und sogar Privatleute. Denn die Suche nach passenden Problemen für die kommenden Quantencomputer ist selbst auch ein Forschungsgegenstand, man kennt bislang nur eine begrenzte Anzahl von Anwendungsfällen, für die bereits Algorithmen entwickelt worden sind, die die Leistungsvorteile der neuen Technik ausreizen.

OpenSuperQ soll nach heutiger Annahme vor allem chemische Abläufe simulieren. Außerdem erwarten die Forscher, dass der Quantencomputer das maschinelle Lernen deutlich beschleunigen kann und damit die Nutzung künstlicher Intelligenz voranbringen wird.

Auf Augenhöhe mit den USA

Und der Vorsprung der Amerikaner? „Die US-Forscher haben einen starken Zwischensprint vorgelegt und drei Jahre früher als wir Europäer von der Grundlagenforschung auf angewandte Forschung umgeschaltet“, sagt Wilhelm-Mauch. Die Dominanz der USA erinnere ihn an den „Sputnik-Schock“, der 1957 den Westen angesichts des ersten künstlichen Satelliten der Russen lähmte. Am Ende hatte aber die NASA mit ihrem Mondlandeprogramm die Nase vorn. Entsprechend gebe es auch für die EU keinen Grund, sich angesichts der US-Qubit-Erfolge ins Bockshorn jagen zu lassen. Dazu bemerkt Wilhelm-Mauch: „Wir haben von den angekündigten großen Quantenprozessoren aus den USA noch keine Leistungsdaten gesehen.“ Letztlich komme es auf die Zuverlässigkeit der Operationen und die Fehlerraten an. Wenn OpenSuperQ mit 100 Qubits akzeptable Fehlerraten erreiche, dann bewege sich die europäische Forschung mindestens auf Augenhöhe mit den US-Firmen.

Die Stärke der europäischen Forschungslandschaft sieht Wilhelm-Mauch in ihrer Vielfalt. Hochschulen, Mittelständler und Großforschungszentren wie etwa in Jülich kooperieren und erarbeiten ein festes Fundament in der Grundlagenforschung. „Damit können wir wirklich dicke Bretter bohren.“ In den USA hingegen dominieren gerade in der Quantentechnik firmeneigene Großforschungszentren und setzen naturgemäß auf eine starke Geheimhaltung; die Anzahl der jeweils beteiligten Forscher ist begrenzt.

Kommunikation ohne Mithörer

Die Entwicklung eines Quantencomputers erscheint vielen als die Königsdisziplin der Quantentechnologie, bildet allerdings nur eine von vier Säulen der EU-Flaggschiff-Initiative, die am 29. Oktober in der Wiener Hofburg ihren Auftakt hatte. Weitere Forschungsschwerpunkte bilden die sichere Quantenkommunikation, Quantensimulatoren und Quantensensorik. Insgesamt wurden in Wien bereits 20 multinationale Forschungsprojekte vorgestellt und gestartet.

Während die meisten Quantensysteme heute extrem gekühlt werden müssen, funktioniert die abhörsichere Quantenkommunikation bereits bei Raumtemperatur. Die Technik gilt als physikalisch abhörsicher, weil sie Datenbits in einzelnen Photonen kodiert; quantenmechanische Effekte entlarven dann mitgeschnittene oder kopierte Übertragungen sofort. In diesem Bereich soll beispielsweise das Forschungsprojekt Quantum Internet Alliance ein europaweites Quantenprozessor-Netzwerk erschaffen, die Quanten-Repeater-Technik weiterentwickeln und so die Grundlagen für ein abhörsicheres Quanteninternet schaffen. Dazu passend arbeitet ein weiteres Forschungsprojekt unter der Abkürzung UNIQORN daran, Systeme für die photonische Quantenkommunikation zu miniaturisieren. Ziel ist es hier, Komponenten für die Massenfertigung zu entwickeln, die kostengünstige Quantenkommunikation für jedermann ermöglichen. (agr@ct.de)