c't 24/2018
S. 16
News
Brasilien
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Bild: Diego Herculano/dpa

Bei Anruf Rufmord

Wie Brasiliens neuer Präsident Bolsonaro WhatsApp im Wahlkampf missbrauchte

Brasilien hat einen rechtsextremen Präsidenten gewählt. In seiner Wahlkampagne setzte er auf Fake News, die er per WhatsApp massenhaft verteilen ließ und damit den politischen Diskurs in der Öffentlichkeit unterwanderte.

Das ist jenseits von Fake News, hier wurde eine Parallelrealität erzeugt“, sagt der brasilianische Soziologieprofessor Sergio Amadeu. Er lehrt an einer Universität in São Paulo und beriet als Spezialist für digitale Themen und Netzneutralität die dortige Stadtregierung. Und die Macht dieser Parallelrealität hat offenbar einem Rechtsextremen zum Präsidialamt verholfen. Am 28. Oktober gewann der höchst umstrittene ehemalige Fallschirmjäger Jair Bolsonaro von der rechtsgerichteten Sozial-Liberalen Partei PSL die Wahlen mit einer Mehrheit von gut 55 Prozent.

Eine entscheidende Rolle spielten in diesem Wahlkampf die sozialen Medien; WhatsApp war vielleicht sogar wahlentscheidend und Auslöser für einen Skandal. Das klassische Format des TV-Kandidaten-Duells spielte hingegen keine Rolle mehr. Denn nachdem er nach einer Messerattacke wieder genesen war, schätzte Favorit Bolsonaro realistisch ein, dass er gegen seinen intellektuell begabten und erfahrenen Kontrahenten, den moderaten Sozialdemokraten Fernando Haddad von der linksgerichteten Arbeiterpartei PT, keine gute Figur machen würde und sagte einfach alle Termine ab. Die Fernsehsender nahmen das lakonisch hin und luden auch gleich Herrn Haddad aus. Ein Novum: Seit der Rückkehr der Demokratie 1986 gab es keine Stichwahl ohne ein TV-Duell.

Lula hinter Gittern  

Dabei sollte es doch dieses Mal geordneter als sonst zugehen. Nie zuvor waren die Regeln für den Wahlkampf in Brasilien so streng wie bei der Präsidentschaftswahl 2018. Private Spenden für die Wahlkampfkassen wurden verboten und neue Regeln für TV-Debatten etabliert. So versuchten die öffentlichen Institutionen, ihr nach zahlreichen Korruptionsskandalen ramponiertes Image wieder herzurichten. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen, wenn man bedenkt, dass die bisherige Präsidentin Dilma Rousseff von der PT bereits nach zwei Jahren ihres Amtes enthoben wurde. Ihr Vorgänger Luiz Inácio „Lula“ da Silva (PT) wurde als beliebtester Politiker Brasiliens vor den vorzeitigen Neuwahlen inhaftiert. In den Umfragen blieb der Mann hinter schwedischen Gardinen trotzdem Favorit, bis das Wahlgericht TSE ihm die Kandidatur endgültig versagte – nur einen Monat vor der Wahl. An seine Stelle trat der bis dato unbekannte Vizekandidat Fernando Haddad.   Doch während sich die PT vor allem auf die Auseinandersetzung mit der wirtschaftsliberalen und moderat konservativen Partei der Sozialdemokratie Brasiliens PSDB konzentrierte, stieg der rechtsextreme Apologet der Militärdiktatur Bolsonaro mit seinen markigen Sprüchen gegen Frauen, Homosexuelle, Schwarze und Andersdenkende in den sozialen Medien zu einem „Mythos“ auf. Die etablierten Parteien schenkten ihm lange Zeit wenig Aufmerksamkeit, denn der ehemalige Hauptmann hatte als Abgeordneter der Splitterpartei PSL kaum Zugang zu TV-Werbezeiten. Im 20-minütigen Block der Parteienwerbung standen ihm nur 8 Sekunden zur Verfügung.

Keine Netzneutralität

In Brasilien werben Agenturen für die automatische Versendung massenhafter Meldungen per WhatsApp. Rund Zweidrittel aller Brasilianer nutzen den Messaging-Dienst.

Obwohl für WhatsApp in Brasilien klare Restriktionen gelten – zum Beispiel eine Obergrenze von 279 Mitgliedern pro Gruppe – wurde der Messaging-Dienst zum entscheidenden Faktor im Wahlkampf. Im Unterschied zu Facebook oder YouTube lassen sich die Inhalte hier viel schwieriger kontrollieren oder blockieren. Es ist für andere Nutzer nicht ersichtlich, welche und wie viele Nachrichten gesendet werden.   Es gibt 147 Millionen Wahlberechtigte in Brasilien und 120 Millionen WhatsApp-Nutzer. Für etwa ein Drittel ist dieser Dienst der einzige Zugang zum Internet, denn gerade finanzschwache Kunden nutzen die Günstigtarife, die nur Datenvolumen für WhatsApp vorsehen und für keine anderen Onlinedienste. Eine wenige Tage vor der Stichwahl veröffentlichte journalistische Recherche deckte auf, dass knallharte Unternehmer mit politischem Interesse hinter einer Flut von WhatsApp-Nachrichten steckten und damit illegale Wahlkampfhilfe für Bolsonaro leisteten. Das zeigt, wie das Ende der Netzneutralität zu einem Albtraum für die Demokratie werden kann.

Aufgedeckt hat das die Journalistin Patrícia Campos Mello von der liberalen Tageszeitung „Folha de São Paulo“. Ihre Recherchen ergaben, dass mehrere Digitalmarketing-Agenturen mit Aufträgen von umgerechnet jeweils etwa 2,8 Millionen Euro bedacht wurden, um massenhaft Fakenews über WhatsApp zu verbreiten. Inhaltlich waren diese Nachrichten ausschließlich gegen den PT-Kandidaten Haddad gerichtet. Unklar ist, woher die Nutzerdaten für diesen massiven Versand kamen. Die Absenderadressen befänden sich Campos Mello zufolge vor allem in den USA und in Angola. Die Journalistin wurde danach selbst zur Zielscheibe von Fake-Nachrichten: Man unterstellte ihr ein Verhältnis zu Haddad. Zudem kursierten Lynch-Aufrufe gegen sie und andere kritische Journalisten.

Phallische Nuckel  

Die per Massenversand via WhatsApp verschickten Nachrichten können in drei Gruppen geteilt werden. Die erste appellierte aufgrund der Korruptionsskandale an die Wut der Wähler und kanalisierte sie auf die PT. Deren Politik wurde stark verzerrt und – gemeinsam mit der UNO und Menschenrechts-Charta – in den Kontext einer „kommunistischen Weltverschwörung“ gestellt. Dazu gehörte eine angebliche Allianz mit Fidel Castro und Hugo Chávez. Tatsächlich hielt die brasilianische Regierung jedoch Distanz zu Havanna und Caracas und wurde für seine Sozialprogramme sogar von der Weltbank gelobt.

Zweitens wurde behauptet, die PT mache gemeinsame Sache mit Kriminellen und sei Schuld an der zunehmenden Gewalt in Brasilien. Dagegen würden nur mehr Militärinterventionen und privater Waffenbesitz helfen. Hinzu kamen drittens Nachrichten mit religiösem und moralisierendem Inhalt. Der PT wurde vorgeworfen, brasilianische Kinder zur Homosexualität erziehen zu wollen, indem sie angeblich Jungs in Röcken zur Schule schicke. Zudem habe Haddad als Bürgermeister von São Paulo Babyflaschen mit Nuckeln in phallischer Form verteilen lassen. Die Faktencheck-Organisation „Agencia Lupa“ hat diese Memes analysiert und nicht einmal zehn Prozent als „komplett wahr“ bestätigt.

„Das Problem ist, dass sich die Hälfte der Brasilianer fast ausschließlich über WhatsApp informieren. Der Bildungsstand bei uns im Land ist schlecht und so bleibt kritische Reflexion aus“, sagt der Digitalisierungsexperte Sergio Amadeu. Ihm zufolge trage das Ausbleiben politischer Debatten – etwa der TV-Kandidatenduelle – dazu bei, dass sich die Kultur des demokratischen Diskurses auflöse.

Militärischer Ausnahmezustand

Ist Bolsonaro nun ein Rechtspopulist, Extremist oder gar Faschist? Am ehesten passt wohl die Einstufung als Rechtsextremist, denn er lehnt die freiheitlich-demokratische Grundordnung ab und will mit Gewalt ein autoritäres System errichten. In seinen 27 Jahren als Abgeordneter forderte Bolsonaro unter anderem, man müsse die Arbeit der Militärgeneräle fortführen und 30.000 Korrupte wie auch den Ex-Präsidenten Fernando Enrique Cardoso umbringen. Damit spielte er auf die Zeit der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 an. Kurz vor der Wahl drohte er öffentlich, er werde das Land von „Roten“ säubern. Diese könnten entweder ins Exil gehen oder sie würden inhaftiert. Von Wahlen hielt Bolsonaro bis dato wenig. Nun will er die Hälfte der Kabinettsposten wieder mit Militärs besetzen.

So stehen Brasilien schwierige Zeiten bevor. Schon im Wahlkampf und noch in der Wahlnacht kam es zu gewalttätigen Übergriffen auf Bolsonaro-Gegner. Mindestens ein Haddad-Anhänger wurde nach einer Wahlveranstaltung von Bolsonaro-Parteigängern erstochen. Der Sohn eines Gewerkschaftsführers wurde am Rande einer friedlichen Demonstration erschossen. Dieses Klima der Gewalt dürfte sich verschärfen, wenn Bolsonaro sein erstes wichtiges Vorhaben durchsetzt: Die Legalisierung der Abgabe von Feuerwaffen an die Bevölkerung. Kritiker befürchten, dass die neue Regierung die zu erwartende Eskalation der Gewalt dazu nutzen wird, den seit Frühjahr in einigen Favelas von Rio geltenden militärischen Ausnahmezustand auszuweiten. (hag@ct.de)