c't 24/2018
S. 42
News
SI-Einheiten

Kilo und Meter fit für die Zukunft

Wissenschaftskonferenz definiert physikalische Basiseinheiten neu

In diesem Monat werden alle physikalischen Basiseinheiten an unveränderliche Naturkonstanten gekoppelt. Das vermeidet Schwankungen und macht sie im gesamten Universum nachprüfbar.

Eine ideal runde 1-Kilogramm-Siliziumkugel des Avogadro-Projektes der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig: Die Herstellung zweier solcher Kugeln dauerte mehrere Jahre und kostete über eine Million Euro. Bild: PTB

Sobald man eine physikalische Größe misst, muss man sie auf eine Einheit beziehen. Die Geschwindigkeit kann in Meter pro Sekunde oder in Lichtjahren pro Legislaturperiode gemessen werden, man muss sich nur darauf einigen. Das SI-System (Système international d’unités, internationales Einheitensystem) leistet genau das: Es legt international akzeptierte Einheiten für sieben physikalische Größen, die Basiseinheiten, fest. Bei der Internationalen Generalkonferenz für Maß und Gewicht (CPGM) treffen sich die Bevollmächtigten der Mitgliedsstaaten der sogenannten Meterkonvention in Versailles. Am 16. November 2018 wird dort über die Neudefinition abgestimmt, mit der die Basiseinheiten erstmals komplett an die Werte unverrückbarer Naturkonstanten gekoppelt werden.

Wirrwarr zerstört Satelliten

Ein einheitliches Maßsystem hat evidente Vorteile und vermeidet Konfusion. Ein bitteres Negativbeispiel: Der Mars Climate Orbiter ist 1999 abgestürzt, weil die Software für die Drallstabilisierung in britischen Einheiten programmiert wurde, während die NASA für die Steuersignale das metrische System verwendete.

Verständigungsprobleme dieser Art werden durch das SI-System ausgeschlossen. Man verwendet sieben Basiseinheiten, deren bekannteste Meter (m) für die Länge, Kilogramm (kg) für die Masse und Sekunde (s) für die Zeit sind. Daneben definieren Ampere (A) die Stromstärke, Kelvin (K) die Temperatur, das Mol (mol) die Stoffmenge und Candela (cd) die Lichtmenge. Alle anderen physikalischen Einheiten können aus den sieben Basiseinheiten abgeleitet werden.

Was bei der Konferenz in Versailles geschehen soll, ist nur auf den ersten Blick eine geringfügige Präzisierung der bisherigen Definitionen. Der Anlassfall für die zu erwartende Resolution ist ein Problem mit dem Ur-Kilogramm, einem seit 1889 in Sévres bei Paris aufbewahrten Zylinder aus einer Platin-Iridium-Legierung. Alle Waagen weltweit werden mit diesem Prototyp kalibriert. Das soll nicht heißen, dass jede Badezimmerwaage zum Eichen nach Sévres gekarrt werden muss. Es gibt weltweit 84 weitere Kilogramm-Prototypen, die alle vom Urtyp abstammen und von denen wieder je nach Bedarf Kopien als Eichstandard gezogen werden.

Es ist unvermeidbar, dass bei der Herstellung der Kopien Ungenauigkeiten entstehen. Alle Fehlerquellen zusammen ergeben rechnerisch eine maximale Ungenauigkeit von eins zu hundert Millionen zwischen den Prototypen. Zur Kontrolle werden alle 84 Kopien gelegentlich mit dem Ur-Kilogramm verglichen. Bei diesen Messungen stellte sich zuletzt heraus, dass der Urtyp an Schwindsucht leidet, er hat im Vergleich zu seinen Klonen circa 50 Mikrogramm verloren; der Grund dafür ist nicht bekannt. Da das Kilogramm aber über den französischen Urtyp definiert ist, dieser also per Dekret immer noch 1 Kilogramm hat, bedeutet das paradoxerweise, dass alle Klone nominell 50 Mikrogramm an Masse gewonnen haben.

Für Physiker ist das ein unzumutbarer Buchhaltertrick, und deshalb ist man seit einigen Jahren auf der Suche nach einer Neudefinition auf der Grundlage einer unverrückbaren Naturkonstante. Künftig wird das Kilogramm mittels Wattwaage über ein elektromagnetisches Verfahren auf das Planck’sche Wirkungsquantum (h) und auf die Sekunde zurückgeführt. Dazu wird eine Testmasse von M kg mittels Elektromagnet gegen die Schwerkraft bewegt. Die dazu erforderliche Leistung wird durch das Produkt von Spulenstrom des Elektromagneten und induzierter Spannung bestimmt. Dank zweier Quanteneffekte kann die Leistung in Vielfachen von h/s2 abgezählt werden. Diese ist gleich der mechanischen Leistung an der Testmasse L = M g v. Da die Schwerebeschleunigung g und die Geschwindigkeit v der bewegten Masse im Experiment ebenfalls gemessen werden, kann die Zahl M aus dieser Gleichung berechnet werden.

Das durchgängige Konzept der neuen Einheitendefinitionen würde für das Kilogramm auch eine andere Herleitung erlauben: Die Masse eines Siliziumatoms ist, soweit bekannt, immer und überall gleich. Silizium ist billig und weltweit verfügbar – ein perfekter Massestandard. Nun ist ein Atom sehr leicht, und es ist schwierig, ein einzelnes auf die Waage zu bringen. Aber wenn man weiß, wie viele Siliziumatome ein Kilogramm ausmachen, lässt sich die entsprechende Menge an Atomen abzählen, zu einem Kristall formen und fertig ist die Referenz. Mit der Avogadrozahl gelingt das. Sie sagt aus, dass 28 Gramm Silizium (ein Mol) aus 6,022140857 × 1023 Atomen bestehen. Also besteht ein Kilogramm Silizium aus 2,150764592 × 1025 Atomen. Man kennt den Atomabstand in einem Siliziumkristall so genau, dass daraus der Durchmesser einer Siliziumkugel, die exakt so viele Atome hat, berechnet werden kann. Damit ist das Kilogramm auf eine Naturkonstante zurückgeführt, die Avogadrozahl. Im Rahmen des Avogadro-Projekts der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig wurde eine solche fast perfekte Einkristallkugel mit Abweichungen von wenigen Nanometern produziert.

Vom Platinstab zur Lichtsekunde

Analog zum Kilogramm kann man alle sieben Basiseinheiten des internationalen Maßsystems über Naturkonstanten definieren. Bis ins Jahr 1960 war noch das unzuverlässige Ur-Meter (ein Platinstab) in Kraft. Künftig wird das Meter über die Lichtgeschwindigkeit, c=299.792.458 Meter pro Sekunde, definiert. Es ist die Länge jener Strecke, die Licht im Vakuum während der Dauer einer 1/299.792.458 Sekunde durchläuft. Der Unterschied zur alten Definition ist fundamental: Bisher war es so, dass man die Naturkonstanten mit immer genaueren Messverfahren besser bestimmt und somit korrigiert hat. So lag 1890 der beste Zahlenwert für die Lichtgeschwindigkeit bei 299.853.000, im Jahr 1924 bei 299.796.000, wobei zunächst nur die ersten vier, später die ersten fünf Ziffern als sicher galten. Das heißt, eine Konstante hatte sich im Lauf der Zeit paradoxerweise verändert. Im neuen System ist der Zahlenwert der Lichtgeschwindigkeit für alle Zukunft mit 299.792.458 fixiert.

Für die Neudefinition der sieben Basiseinheiten werden sieben Naturkonstanten gebraucht, deren numerische Werte in der November-Resolution der Generalkonferenz festgeschrieben werden sollen. Ein Infoblatt der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) schlüsselt ihre Bedeutung für die Neudefinition des SI-Einheitensystem exakt auf (Download siehe ct.de/y5q6). Neben den berühmten Familienmitgliedern Lichtgeschwindigkeit (c = 299.792.458 m/s), Planck’sches Wirkungsquantum (h = 6,62607015 × 10–34 J s), Elementarladung (e = 1,602176634 × 10–19 C) und Avogadrokonstante (NA = 6,02214076 × 1023/mol) sind das noch die Strahlungsfrequenz des Isotops 133Cs, das in Cäsium-Atomuhren verwendet wird (ΔνCs = 9.192.631.770 Hz), die Boltzmannkonstante (kB = 1,380649 × 10–23 J/K) und die Strahlungsausbeute monochromatischer Strahlung der Frequenz 540 × 1012 Hz (Km = 683 lm/W). Sie gelten ab Mai 2019 als exakt. Was sich mit genaueren Messmethoden in Zukunft möglicherweise ändern wird, sind die Basiseinheiten relativ zu früheren Werten. (agr@ct.de)