c't 23/2018
S. 3
Editorial
Merlin Schumacher

Schrott gegen Aufpreis

Als Stadtbewohner habe ich kein Auto mehr. Infolgedessen nehme ich mir für längere Fahrten einen Mietwagen. Jedes Mal freue ich mich darüber, dass ich unterschiedliche Fabrikate ausprobieren kann. Und so viel Variation die moderne Autoindustrie auch bietet, eins haben alle Wagen gemeinsam: grauenvolle In-Car-Entertainment-Systeme.

Die Hardware, für die man als Käufer mehrere hundert bis tausend Euro hinblättern darf, ist schon gut abgehangen, wenn sie beim Kunden landet. Prozessoren, die es kaum schaffen, eine Uhrenanimation flüssig darzustellen (Toyota Aygo x-touch), entschleunigen den Start in den Tag. Stotternde Benutzeroberflächen (Volkswagen Arteon mit Discover Pro), ruckelnde Navi-Darstellung (Volkswagen Beetle mit RNS315) und unzuverlässige Spracheingabe (Volkswagen Golf Cabrio mit Discover Media) erinnern einen an das erste Handy. Das i-Tüpfelchen ist das flaue, pixelige LCD mit dem trantütigen resistiven Touchscreen. Würde ich ein billiges Android-Tablet an die Mittelkonsole schrauben, hätte ich bessere Hardware und Software für ein Zehntel des Geldes.

Ich kenne Pfandautomaten (Sielaff/Tomra), die gestalterisch besser und logischer aufgebaut sind, als alles, was man heute in Autos findet. Hinterm Lenkrad ist das Design der 2000er noch im Trend und es gilt die alte Designer-Weisheit: "Hat der Grafiker nichts drauf, macht er einen Farbverlauf." Gute Interfaces mit anständigem Design machen Arbeit, keine Frage, aber genau das erwarte ich bei einer Investition wie einem Auto.

In Wolfsburg hat man sich in den letzten zwanzig Jahren lieber mit hochkomplizierten Automatikgetrieben und der Feinjustage von "umweltfreundlichen" Dieselmotoren beschäftigt. In Stuttgart tüftelt man intensiv daran, wie man das Interieur eines Fahrzeugs noch näher an die Ästhetik von Alien-Sexspielzeug bringen kann. Die Japaner träumen sich Wasserstoffautos für den Massenmarkt zusammen und in den USA schielt man auf mehr PS für die 120 km/h auf dem Highway. Zum Glück gibt es Google und Apple: Die machen sich scheinbar als einzige ernsthaft Gedanken darüber, wie man das Smartphone als Dreh- und Angelpunkt des modernen Lebens mit dem Auto verheiratet. Es scheint mir fast, als warteten die Autofirmen darauf, dass sie jemand überflüssig macht.

Gute Fahrt!

Unterschrift Merlin Schumacher Merlin Schumacher

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