c't 22/2018
S. 30
News
Vernetzte Offline-Werbung
Aufmacherbild

Wenn das Plakat zurückguckt

Online-Werbung erobert die Offline-Welt

Techniken der Internet-Werbung erreichen nun auch die Straßenreklame. Manch ein Plakat weiß heute schon, welche Zielgruppe an ihm vorbeiläuft.

Anfang August sorgte die Wirtschaftswoche mit einer Exklusiv-Schlagzeile für Aufsehen in der Werbebranche: „Google steigt in Deutschland in die Außenwerbung ein.“ Auf den ersten Blick überraschte die Meldung: So erscheint das Geschäft mit Plakatwänden und Litfaßsäulen so ziemlich wie das das Gegenteil von Googles Werbegeschäft, das ganz auf Personalisierung und Technik basiert.

Doch die Außenwerbung hat sich gewandelt: Statt ständig neue Plakate auf Stellwände zu kleistern, stellen Branchenriesen wie Ströer inzwischen riesige Bildschirmleinwände im öffentlichen Raum auf. An immer mehr Bahnhöfen, in immer mehr Schaufenstern und Geschäften sind Screens aufgebaut, die Kunden und Passanten einen Mix aus Nachrichten, Unterhaltung und Werbung vorspielen.

Insofern ist es klar, dass sich Google als größter digitaler Werbekonzern der Welt auch für diesen Markt interessiert – so hat das Unternehmen erst im August einen Vertrag abgeschlossen, um digitalen Werbeflächen des chinesischen Anbieters Asiaray mit Werbung aus dem eigenen Werbemarktplatz zu bestücken. Zu den Spekulationen um den Einstieg in die Außenwerbung in Deutschland will sich der Konzern jedoch nicht äußern.

Bei DOOH bucht man Offline-Werbefläche nach Zielgruppen. Bild: Heinekingmedia

Wettrüsten um Standorte

Auch jenseits der Google-Gerüchte ist die Branche in Bewegung. So sorgte Netflix im Frühjahr für Aufsehen, weil der Streaming-Anbieter für den kalifornischen Plakatwerbungs-Anbieter Regency Outdoor Advertising 300 Millionen Dollar geboten haben soll.

In Deutschland werden noch kleinere Brötchen gebacken. So präsentierte der Hannoveraner Anbieter Heinekingmedia, ein Teil der Madsack Mediengruppe, auf der Digital-Marketing-Messe Dmexco seine neue Plattform DOOH.de, mit der Interessenten Werbung auf 4500 digitalen Bildschirmen in Deutschland buchen können.

Statt wie der Konkurrent Ströer riesige Werbeflächen in Eigenregie zu betreiben, setzt Heinekingmedia auf die Zusammenarbeit mit lokalen Geschäften. Dazu vertreibt der Anbieter in Zusammenarbeit mit Regionalzeitungen eine Mediabox, die Käufer im eigenen Geschäft oder im Schaufenster aufstellen können. Auf dem angeschlossenen Monitor werden in ständigem Wechsel Informationen zum Geschäft, Regionalnachrichten und Werbung angezeigt.

Für Geschäftsführer Andreas Noack ist dies ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: „Insbesondere lokale Nachrichten sind ein Aufmerksamkeitstreiber“, erklärt er im Gespräch mit der c’t. Wenn Kunden an der Kasse warten müssten, seien sie ohnehin für etwas Ablenkung dankbar. Für die Werbetreibenden wiederum seien die Geschäfte ein denkbar gutes Reklameumfeld.

Passanten analysiert

Um die Digitale Außenwerbung für den Online-Markt vorzubereiten, enthält DOOH.de ein neues Planungstool. Wie bei programmatischen Plattformen für Online-Werbung (siehe c’t 21/18, S. 40) funktioniert sie nach dem Prinzip, dass der Werbekunde nicht mehr feste Werbeflächen bucht, sondern im Online-Tool seine Zielgruppe aussucht.

So legt ein Werbetreibender fest, dass ein Spot nur in Fitness-Studios rund um Hannover angezeigt wird. Er kann aber auch direkt Zielgruppen wie „Trendsetter“, „Junge Wilde“ oder „Bürgerliche Mitte“ buchen, die durch Merkmale wie Alter, Einkommen und Konsumverhalten charakterisiert werden. Obendrein lassen sich externe Faktoren wie das Wetter einplanen: Ein Schirmhersteller kann nur an regnerischen Tagen werben, ein Eissalon bei Sonnenschein. Die Entscheidung, wann eine Werbung läuft, trifft DOOH.de.

Um solche zielgruppenspezifische Werbung zu ermöglichen, nimmt Heinekingmedia die Standorte genau unter die Lupe. Um welche Art von Ladenlokal oder anderen Standort handelt es sich? Wie viele und welche Kunden kommen an dem Bildschirm vorbei? Wie ist die Lage des Geschäfts? Dazu kauft das Unternehmen auch Daten zu, die zum Beispiel von Mobilfunkanbietern erhoben werden. Diese Daten schlüsseln die Bewegungsmuster bestimmter Zielgruppen haarklein auf. So kann ein Werbeanbieter feststellen, dass sich eine Reklamefläche vielleicht nicht in der lukrativsten Nachbarschaft befindet, aber von zahlungskräftigen Kunden auf dem Weg zur Arbeit betrachtet wird.

Bisher ist diese digitale Außenwerbung vor allem für kleinere, lokale Anbieter interessant – die großen Anbieter wie die Hersteller von Autos oder Erfrischungsgetränken setzen noch auf andere Medien. Ein wesentlicher Grund: Derzeit sind elektronische Plakate wie die von DOOH.de Insel-Lösungen.

Demnächst soll die vernetzte Werbung in Berliner Taxis zum Einsatz kommen. Bild: Heinekingmedia

Dies entspricht aber immer weniger den Gepflogenheiten der Werbebranche, die ihre Kampagnen zentral plant und Werbeplätze über Online-Auktionen in Echtzeit versteigert. „Um tatsächlich interessant für den nationalen Werbemarkt zu sein, bräuchte man 40.000 Standorte, die man nach einem Standard bespielen kann“, sagt Noack im Gespräch mit der c’t. Als nächstes möchte Heinekingmedia seine Bildschirme in Berliner Taxis einbauen – hier könnte die Werbung standortabhängig abgespielt werden. Gleichzeitig sucht das Unternehmen den Anschluss an große Werbenetzwerke.

Ein Hindernis dabei: „Nicht alles, was in der Online-Welt geht, lässt sich auch auf Außenwerbung transportieren“, sagt Noack. So ist Online-Marketing zunehmend auf eine Eins-zu-Eins-Beziehung zum Endkunden aufgebaut. Bevor eine Werbung ausgespielt wird, wollen die Werbetreibenden möglichst genau wissen, auf wessen Bildschirm ein Spot erscheint: Alter, Geschlecht, Hobbies, Einkommen und Kaufhistorie gehören dabei zu den wichtigsten Profilinformationen. Bei Angeboten wie dem von Heinekingmedia muss der Werbetreibende darauf vertrauen, dass die Werbung zumindest von einem Teil der versprochenen Kundschaft betrachtet wird.

Andere Unternehmen experimentieren bereits mit der Personalisierung der Außenwerbung, wie sie bei Online-Werbung üblich ist. So sorgte die Deutsche Post im vergangenen Jahr mit einem Experiment für Aufsehen. In 100 Filialen hatte der Logistik-Konzern Werbebildschirme aufgestellt, die obendrein mit einer Kamera ausgestattet sind. Dank Gesichtserkennung versucht das System dabei zu bestimmen, welche Personen vor dem Bildschirm stehen, um die Werbeausspielung anzupassen.

Beschwerden von Datenschutz-Aktivisten wie dem Verein Digitalcourage weist das Unternehmen dabei zurück. „Kunden werden im Rahmen des Tests zu keinem Zeitpunkt im eigentlichen Sinne gefilmt“, erklärt ein Sprecher des Unternehmens auf Anfrage der c’t – lediglich Alter und Geschlecht würden von den Geräten eingeschätzt, die Bilder aber nicht gespeichert. Die Nutzer werden also einer Zielgruppe zugeordnet, dabei werden aber keine persönlichen Profile angelegt. Ob das System in den Masseneinsatz kommen soll, steht auch nach über einem Jahr Experimentierdauer nicht fest.

Ein ähnliches Experiment hatte die Einzelhandelskette Real im vergangenen Jahr abgebrochen. „Im Hinblick auf die im Mai in Kraft getretene Datenschutz-Grundverordnung halten wir derzeit eine Entwicklung des Eye-Tracking-Systems in Richtung einer juristischen Konformität für schlichtweg nicht praktikabel, weder für uns als Betreiber, noch für unseren Handelspartner“, erklärt der Werbedienstleister Echion, der das System implementiert hatte.

Lampen mit Bluetooth

Auch die Smartphones der (potenziellen) Kunden können helfen, einen direkten Kontakt zu diesen herzustellen. So zeigte der Leuchtenhersteller Osram auf der Dmexco in Köln seine Beacon-Technologie „Einstone“. Hierfür hat Osram in Leuchten Bluetooth-Sender eingebaut, die mit den Smartphones und Smartwatches der Kundschaft kommunizieren. So übermittelte Osram in Köln kurzerhand eine URL an alle Messebesucher im unmittelbaren Umkreis. Eine besondere App war dazu nicht erforderlich, lediglich aktiviertes Bluetooth.

Neben diesem „Proximity Marketing“ soll das System die volle Personalisierung des Online-Einkaufs schaffen. Falls Kunden eine entsprechende App installiert haben, können die Shopping-Systeme ihnen sogar ein konkretes Kundenprofil zuordnen und ihren Weg vom Eingang bis zum Bezahlvorgang verfolgen.

Wo es lohnend erscheint, versendet Einstone personalisierte Gutscheine, um die Kunden ins Geschäft oder in bestimmte Abteilungen zu locken.

Was möglich ist, wenn Datenschutz allenfalls eine untergeordnete Rolle spielt, zeigen US-Anbieter. So wertet Google dort bereits routinemäßig die Zahlungsdaten von Kreditkartennutzern aus und erhält damit wertvolle Informationen, die auch bei der gezielten Platzierung und Ausspielung von Außenwerbung helfen.

Andere Anbieter machen keinen Hehl daraus, dass sie die potenziellen Kunden genau beobachten. So startete der Modehändler „New Balance“ zur New Yorker Fashion Week eine Kampagne, bei der Passanten auf der Straße von einer Kamera erfasst wurden. Erkannte das System ein besonders stylishes Outfit – laut Agentur kam hier eine künstliche Intelligenz zum Einsatz – wurde das Bild der Person eingefroren und mit einer Botschaft versehen: „Exception detected“. Zur Belohnung erhielten die Ausnahmeerscheinungen auf der Straße ein Paar Schuhe geschenkt. (jo@ct.de)