Smartphones raus!
Lehrerverband will Handys in der Schule verbieten
Keine individuelle Smartphone-Nutzung während des Unterrichts – an französischen Schulen gilt das schon, an bayerischen auch. Nun hat der Deutsche Lehrerverband eine bundesweite Regelung dieser Art gefordert. Der Vorschlag stößt nicht nur auf Zustimmung.
Früher war alles besser, sagen die einen – da waren die Schüler noch aufmerksam. Früher war es doch ganz genauso, sagen die anderen – da wurden unter der Bank keine WhatsApp-Nachrichten gelesen, aber handgeschriebene Zettelchen. So oder so – die Frage der Handynutzung in der Schule beschäftigt Eltern, Pädagogen und Politiker.
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes Heinz-Peter Meidinger wünscht sich für Schüler bis zum Alter von 14 Jahren ein bundesweit einheitliches Verbot der Handynutzung in der Schule – mit begründeten Ausnahmen (siehe Interview auf S. 72). Für diese Forderung führt Meidinger zwei Dinge an: die Konzentration der Schüler und die Gefahr des Mobbings. Die Aufmerksamkeit, die die Schüler der WhatsApp-Unterhaltung auf dem Handy unter der Schulbank widmen, fehlt für die Unterrichtsinhalte, so Meidinger. Insbesondere auf dem Schulhof droht seiner Ansicht nach zudem die Gefahr von Mobbing durch herabwürdigende Videos oder verletzende Posts in sozialen Netzwerken, weshalb er die Handynutzung auch in den Pausen untersagen möchte.
Die Ergebnisse einer Studie, die 2015 an der London School of Economics vorgelegt wurde, untermauern zumindest die These, dass häufige Handynutzung im Unterricht Aufmerksamkeit und Lernerfolg mindern kann. Die Forscher hatten in vier britischen Großstädten den Schulerfolg von Schülern vor und nach einem Handyverbot an ihrer Schule gemessen.
Als Maß für den Lernerfolg dienten die Ergebnisse aus dem standardisierten „General Certificate of Secondary Education“ (GCSE) aus den Jahren 2001 bis 2011. Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass ein Handyverbot dem Schulerfolg von Schülern zugute kommt: Im Schnitt stiegen die GCSE-Noten einige Zeit nach einem Verbot um gut sechs Prozent an. Besonders brisant: Am stärksten profitierten die leistungsschwachen Schüler.
Frankreich als Vorbild
Am 30. Juli beschloss das französische Parlament ein gesetzliches Handyverbot für alle Schulen mit Ausnahme der „Lycées“, also der französischen Gymnasien; sie können nach eigenem Ermessen eine schulinterne Regelung der Handynutzung beschließen. In Frankreich gilt das Verbot für Kinder und Jugendliche im Alter von 3 bis 15 Jahren. Abgeordnete der Regierungspartei „La République en Marche“ sowie der Liberalen stimmten für das Verbot.
Der Beschluss erfüllt ein Wahlkampfversprechen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, verschärft jedoch lediglich ein Gesetz, das schon seit 2010 gilt. Mit der neuen Regelung sind nun jegliche internetfähigen Mobilgeräte innerhalb und außerhalb der Schule strikt verboten, also auch Tablets und Smartwatches und zwar auch auf dem Pausenhof oder beim Schulausflug.
Individuelle Regeln
So einheitlich wie in Frankreich ist die Lage in Deutschland nicht. Bildungspolitik ist hier Ländersache. Viele Bundesländer haben gar keine entsprechenden Gesetze oder Erlasse, sondern überlassen es der einzelnen Schule, die Handynutzung ihrer Schüler zu regeln. „Die Schulleiterinnen und Schulleiter wissen am besten, wie sie vor Ort an ihrer Schule mit dieser Frage umgehen“, sagte beispielsweise kürzlich die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig in einem dpa-Interview.
In Bayern regelt Artikel 56 (5) des „Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen“, dass Mobilgeräte auf dem gesamten Schulgelände ausgeschaltet sein müssen. Anderenfalls können Lehrer das Gerät vorübergehend einziehen. Allerdings wird auch hier über Alternativen nachgedacht. Anfang September startete im Freistaat ein Schulversuch: 135 weiterführende Schulen erhalten im Schuljahr 2018/2019 die Möglichkeit, eigene Regelungen zu erproben.
Zum Kasten: Ja, aber ... Nein, nix aber.
Zum Kasten: Konzentration aufs Wesentliche
Geht es nach dem derzeitigen Präsidenten der Kultusministerkonferenz (KMK), Thüringens Ressortchef Helmut Holter (Linke), dann werden in Deutschland wohl auch künftig viele unterschiedliche Regelungen nebeneinander existieren. „Ich bin der Überzeugung, dass die Schulen selbst entscheiden sollten, ob es ein partielles oder ein generelles Verbot im eigenen Haus geben soll“, sagte der KMK-Präsident Ende Juli in Erfurt.
Zum Kasten: „Es geht ums Lernen“
Das Thema ist zweifellos kontrovers. Eine kurze Umfrage in der c’t-Redaktion ergab: Jeder hat zur Forderung des Lehrerverbands eine klare Meinung. Dabei sprachen sich Kollegen mit schulpflichtigen Kindern mehrheitlich für, diejenigen ohne Kinder häufig gegen den Vorschlag aus. Einen Einblick in dieses ganz und gar nicht repräsentative Stimmungsbild vermitteln die beiden Kommentare rechts. (dwi@ct.de)
Konzentration aufs Wesentliche
Ingo T. Storm
Der Lehrer fragt: „Was unterscheidet die Generation Z von der Generation Y?“ Eine perfekte Frage, um den Kindern richtiges Recherchieren im Internet beizubringen. Anhand von diesem Beispiel kann man ihnen zeigen, dass Wikipedia nicht alles weiß und wie man verschiedene Quellen findet, wie man sie einschätzt und gewichtet. Also: Handy raus, Browser sta… Pling! 7 neue Nachrichten. Vorschau: Sehen wir uns in der Pause? Basti hat … Selbst wenn der Teenager überdurchschnittlich diszipliniert ist und nicht der Versuchung erliegt, sofort zu antworten – die Konzentration ist jetzt futsch.
Mit der ständigen Ablenkung durch Smartphone und Co. kämpfen nicht nur Minderjährige, sondern auch Erwachsene. Weil viele von ihnen die Finger nicht vom Handy lassen können, bauen Google und Apple Nutzungsbremsen in ihre aktuellen Betriebssysteme ein. Facebook und Instagram ermuntern direkt im Client zum Verzicht.
»Mit der ständigen Ablenkung durch Smartphone und Co. kämpfen nicht nur Minderjährige, sondern auch Erwachsene.«
Wenn selbst Erwachsene solche Maßnahmen zur Disziplinierung brauchen, wie kann man dann freiwilliges SnapChat-Fasten von Kindern und Jugendlichen erwarten?
Schule ist ein ziemlich anstrengender Job, bei dem häufige Aufmerksamkeitswechsel stören. Deshalb: Informatik als Pflichtfach, Unterricht mit moderner Technik – ja, bitte! Medienkompetenz in der Schule üben – na, klar! Aber bitte nicht mit dem eigenen Suchtmittel. (it@ct.de)
„Es geht ums Lernen“
Heinz-Peter Meidinger leitet das Robert-Koch-Gymnasium in Deggendorf. Seit dem 1. Juli 2017 ist er außerdem Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. In dieser Funktion fordert er jetzt ein einheitliches, bundesweites Handyverbot in deutschen Schulen.
c’t: Viele technische Lösungen für Schulen, beispielsweise die HPI-Cloud, setzen auf „Bring your own Device“. Wie passt das mit der Forderung nach einem Handyverbot zusammen?
Heinz-Peter Meidinger: Meine Forderung nach einem Handyverbot bezieht sich auf zwei Bereiche: Erstens muss gewährleistet sein, dass die Handys im Klassenzimmer ausgeschaltet sind – außer sie werden im Unterricht gebraucht. Es ist kein Problem, die Handys am Schulanfang klassenweise einzusammeln und beim ausdrücklichen Unterrichtseinsatz gemäß BYOD wieder auszugeben.
BYOD hat aber mehrere Nachteile: Es ist schwierig, den Jugendschutz so zu gewährleisten, wie das möglich ist, wenn man über die Schulcomputer ins Netz geht. Außerdem gibt es keinen einheitlichen Standard, wenn auf die privaten Endgeräte zurückgegriffen wird. Nicht zuletzt ist BYOD ein Supersparmodell für den Staat und entlässt diesen aus der Verantwortung. Das sollte man nicht tolerieren.
Zweitens sollte ein Handyverbot für Schüler unter 15 während der Pausen gelten, und zwar um einerseits echte Kommunikation und Spiele zwischen Schülern zu ermöglichen und andererseits Handymissbrauch in jeder Form – nicht nur Mobbing, Happy Slapping, Filmen von Mitschülern und Lehrkräften et cetera – während der Schulzeit zu unterbinden.
c’t: Ist ein Handyverbot wirklich die richtige Maßnahme gegen Mobbing? Schüler können doch auch von daheim in sozialen Medien mobben? Welche weiteren Maßnahmen gegen Mobbing im Internet müssten ein eventuelles Handyverbot aus Ihrer Sicht begleiten?
Meidinger: Das Bekämpfen von Cybermobbing ist natürlich eine viel umfassendere Aufgabe, als dass es sich allein mit einem Handyverbot regeln ließe. Aber mit derselben Argumentation wie in der Fragestellung können Sie auch gleich auf allen PCs den Jugendschutz ausschalten, weil die Schüler vielleicht zu Hause leichter an Gewalt- und Pornodateien kommen.
»BYOD ist ein Supersparmodell für den Staat.«
Zur Mobbingbekämpfung gehört eine frühzeitige Erkennung von Mobbingfällen, jederzeit verfügbare Ansprechpartner an der Schule und eine ernsthafte Aufarbeitung der einzelnen Fälle. Wichtig ist auch, die Eltern einzubeziehen.
c’t: Ließe sich die Handynutzung in der Schule überhaupt bundesweit regeln – in Deutschland ist doch die Bildungspolitik Ländersache?
Meidinger: Der Bildungsföderalismus spricht aber nicht dagegen, dass sich die Kultusminister auf einheitliche Regeln verständigen. Das Problem ist doch, dass jedes Land, ja teilweise jede Schule etwas anderes macht. In Bremen wird die Regelung hochgelobt, dass die Schulkonferenz darüber entscheidet. Ich kenne da aber Schulen, die je nach Zusammensetzung der Schulkonferenz das eine Jahr dies, das andere Jahr das beschließen. Ich habe den Eindruck, dass dasselbe Wischiwaschi, die gleiche Beliebigkeit, die teilweise Einzug in die Erziehung gehalten hat, auch in der Schule als wünschenswert dargestellt wird.
In der Schule geht es in erster Linie ums Lernen. Wenn wir wissen, dass 90 Prozent der Handys während des Unterrichts nur stummgeschaltet sind (und 30 Prozent der Aufmerksamkeit fressen) und die Mehrzahl der jüngeren Schüler das Handy während der Pausen nicht zur Erweiterung des Weltwissens, sondern für schulfremde Dinge nutzt, dann muss es doch erlaubt sein, dafür klare Regeln aufzustellen.
c’t: Angenommen, das bundesweite Handyverbot für Schüler bis 14 kommt – wie ließe es sich durchsetzen? Denken Sie an Taschenkontrollen oder Ähnliches?
Meidinger: Taschenkontrollen, Leibesvisitationen und übrigens auch Störsender sind im Schulbereich nicht gestattet, außer es ist Gefahr im Verzug – wenn beispielsweise Mitschüler dem Direktorat melden, dass ein Schüler eine Waffe in der Schultasche mitgebracht hat.
Aber es gibt mehrere Lösungen: Das Handy wird, von der Sitzbank entfernt, sichtbar in der Schultasche deponiert. Oder Handys werden zu Unterrichtsbeginn in einer Kiste eingeschlossen und dann wieder ausgegeben. Es gibt auch Magnettaschen, die an einer Schule, die ich kürzlich besuchte, super funktionierten.