c't 21/2018
S. 26
News
Urheberrecht

Glaubenskrieg

EU-Verbrauchern drohen Upload-Filter

Vertreter der Zivilgesellschaft winken resigniert ab, die Medienbranche jubiliert: Die neue EU-Copyright-Richtlinie wird kommen, und mit ihr höchstwahrscheinlich das umkämpfte Leistungsschutzrecht und die Filterpflicht für große Online-Plattformen.

Nun also doch: Am 12. September hat das EU-Parlament den Weg frei gemacht für eine Reform des europäischen Urheberrechts. 438 Abgeordnete stimmten einer in 166 Punkten geänderten, überarbeiteten Verhandlungsposition bei 226 Gegenstimmen zu, nachdem der erste Wurf Anfang Juli noch gescheitert war. Damit dürfte die größte Hürde für die neue EU-Copyright-Richtlinie genommen sein.

Der abgesegnete Entwurf dient nun als Grundlage der sogenannten Trilog-Verhandlungen: Die Verhandlungsleiter des Parlaments unter der Führung von Berichterstatter Axel Voss (CDU) werden sich bald mit ihren Gegenparts aus dem Ministerrat und der EU-Kommission zu nicht öffentlichen Gesprächen treffen. Hier soll ein endgültiger Kompromiss erarbeitet werden, der dann von Rat und Parlament nur noch formal abgenickt oder vollständig abgelehnt werden könnte. All das soll noch vor der Europawahl im Mai 2019 geschehen, weshalb derzeit großer Druck auf dem Brüsseler Kessel ist.

Leistungsschutzrecht

Umkämpfte Reform: Berichterstatter Axel Voss (CDU) jubelt, nachdem das EU-Parlament seinen Vorschlägen zugestimmt hat. Bild: EU/EP

Das aktuell gültige EU-Urheberrecht stammt aus dem Jahr 2001 (Richtlinie 2001/29/EG) und bildet die aktuellen Publikationsformen im Internet völlig unzureichend ab. Seit 2014 arbeitet die EU bereits an seiner Reform. Dass diese dringend nötig ist, bezweifelt niemand. Zu den meisten geplanten Regeln herrscht auch im Parlament Einigkeit. Lediglich um zwei Bestandteile des Pakets war ein regelrechter Glaubenskrieg entstanden: um das Leistungsschutzrecht für Verleger (Art. 11) und um die Verantwortlichkeit von Online-Plattformen für Urheberrechtsverletzungen, die dort stattfinden (Art. 13).

Um die mögliche Einführung eines europäischen Leistungsschutzrechts tobte eine kräftige Lobbyschlacht. In Deutschland drängelten der Axel-Springer- und der Burda-Verlag besonders intensiv. Der nun abgenickte Artikel 11 sieht vor, dass nahezu jede verlegerische Textpublikation geschützt ist. Unternehmen sollen dafür zahlen müssen, wenn sie Textanrisse oder auch nur wenige Worte aus Online-Artikeln auf ihre eigene Website übernehmen – dies träfe in erster Linie die Google-Suchmaschine sowie Google News, weshalb oft von der „Google-Steuer“ die Rede ist.

Das Leistungsschutzrecht soll sich nicht „auf das Verknüpfen mit Hyperlinks“ beziehen. Reine Verlinkungen sollen erlaubt bleiben, wenn sie nur „einzelne Wörter“ mit einschließen. Diese Grenze dürfte aber bereits überschritten sein, wenn die bei Online-Artikeln üblichen „sprechenden Links“, also URLs, die komplette Überschriften enthalten, übernommen werden – bereits deren Nutzung könnte bald verboten sein. Ausgenommen vom Leistungsschutzrecht ist die rein private Anwendung. Völlig unklar ist nach wie vor, ob darunter etwa werbefinanzierte Blogs fallen.

Kritiker monieren, dass ein Recht in der EU etabliert werden soll, das bereits in zwei Mitgliedsstaaten eingeführt wurde und dort jeweils überhaupt nicht funktioniert. In Deutschland war das Leistungsschutzrecht im August 2013 in Kraft getreten. Ein Jahr später erteilten etliche Verlage eine „Gratiseinwilligung“ an Google, weil sie sonst nicht mehr mit Snippets dargestellt worden wären und Website-Traffic verloren hätten. Die Verlage verlangen von Google eine Pauschale vom Gesamtumsatz in Deutschland und gründeten dafür die Verwertungsgesellschaft VG Media, deren Forderungen aber von einer neutralen Schiedsstelle bislang als „überhöht“ abgelehnt werden. Eine Reihe von juristischen Verfahren laufen noch immer, bislang hat kein Verlag Geld von Google gesehen.

Für Webseiten wie Wikipedia „wäre das EU-Leistungsschutzrecht eine Katastrophe“, befürchtet Julia Reda, zuständige Europaabgeordnete der Piratenpartei. „Sogar ein bloßes Zitat könnte eine Urheberrechtsverletzung sein.“ Reda glaubt, dass Google, Facebook und andere reichweitenstarke Aggregatoren nur noch bestimmte Artikel großer Medienhäuser lizenzieren würden, von denen sie sich Profit versprechen. Damit werde die Medienvielfalt zulasten kleiner Verlage und Mindermeinungen beschnitten.

Ganz anders sieht das der Burda-Konzern, dessen Vorstand das Abstimmungsergebnis euphorisch kommentierte: „Seit vielen Jahren hatte Verleger Hubert Burda gemeinsam mit zahlreichen Unterstützern leidenschaftlich darum gekämpft, nun rückt ein eigenes Leistungsschutzrecht für die Verlage auf europäischer Ebene in greifbare Nähe.“ Das „gegnerische Lager“ habe „auch nicht vor großangelegten und von U.S.-Plattformen finanzierten Desinformationskampagnen Halt gemacht“. Burda spielte hier auf Gerüchte an, nach denen Google im Hintergrund eine riesige Lobby-Kampagne finanzierte und koordiniert haben könnte.

Upload-Filterung

Der nicht minder umstrittene Artikel 13 im Richtlinienentwurf beschäftigt sich mit Anbietern, die Inhalte „durch Wiedergabe, Verschlagwortung, Verwahrung und Sequenzierung der hochgeladenen Werke“ oder auf andere Weise „optimieren und zum Zwecke der Gewinnerzielung bewerben und folglich aktiv handeln“. Darunter fallen zunächst alle Plattformen, die nutzergenerierte Inhalte mit Werbung vermischen sowie Inhalte kuratieren und damit in die Wiedergabe involviert sind – also beispielsweise YouTube und Facebook, aber auch viele kleinere Dienste.

Die Plattformbetreiber geben geschützte Werke laut dem überarbeiteten Entwurf öffentlich wieder, „sind deshalb für deren Inhalt verantwortlich und sollten infolgedessen faire und angemessene Lizenzvereinbarungen mit den Rechteinhabern schließen“. Veröffentlichen sie von Nutzern hochgeladene Inhalte ohne Lizenzprüfung, haften sie für jede damit begangene Urheberrechtsverletzung. De facto soll also die in der E-Commerce-Richtline vorgegebene Haftungsprivilegierung für Plattformen nicht mehr gelten: Die Betreiber würden vom Durchleiter zum Täter.

Der Begriff Upload-Filter taucht im Text des Parlaments nicht auf. In der Praxis dürfte es aber kein Betreiber schaffen, sämtliche von Nutzern hochgeladene Inhalte manuell zu sichten und eine korrekte Recherche der urheberrechtlichen Lage in jedem Einzelfall zu gewährleisten. Bei YouTube etwa landen zurzeit durchschnittlich rund 450 Stunden Videomaterial pro Minute.

Für Kritiker des Entwurfs steht außer Zweifel, dass die Plattformen auf Upload-Filter setzen müssen, um sich angesichts des neuen strengen Haftungsregimes vor Klagen etwa aus der Musik- oder Filmindustrie zu schützen. Als Musterbeispiel gilt das bislang recht fehleranfällige System ContentID von Google/YouTube. Google taxiert die Entwicklungskosten auf 60 Millionen Euro – was sich ein kleinerer Betreiber kaum leisten könnte.

Die schlimmste Befürchtung von Kritikern ist deshalb, dass Google ContentID öffnet und auch Inhalte anderer Plattformen von dem Filter geprüft werden. Denn das würde bedeuten, dass der Datenkrake Google auch nutzergenerierte Inhalte von anderen Plattformen in die Datenbanken spülen würde.

Einige Plattformen, beispielsweise die Wikipedia, GitHub, Dropbox und eBay, haben Protest in Brüssel angemeldet. Genau für jene Plattformgruppen enthält der Entwurf nun Ausnahmen, etwa für „Online-Enzyklopädien“, „Cloud-Dienste“ oder „Entwicklungsplattformen für freie Software“. Wer nicht gemeckert hat, ist weiter drin im geplanten Haftungsregime, etwa Dating-Plattformen wie Tinder.

Die EU-Parlamentarierin Julia Reda erläuterte nach der Abstimmung in der heise-Show, mit welch harten Bandagen in Brüssel und Straßburg um die Urheberrechtsreform gerungen wird (youtu.be/HoakydEDpVg).

Große Kritik hatte sich im Vorfeld an der Tatsache entzündet, dass Content-Filter beispielsweise Meme, Zitate und Parodien nicht erkennen und sie deshalb von der Veröffentlichung ausschließen. Dieser Einwand wird in den Änderungsverschlägen zwar erwähnt, aber Rechnung trugen ihm die zustimmenden Abgeordneten nicht.

Das EU-Parlament teilte im Nachgang mit, dass „jegliche Maßnahmen, die von Plattformen ergriffen werden, um zu überprüfen, ob Uploads nicht gegen Urheberrechtsbestimmungen verstoßen“, keinesfalls zu unberechtigten Sperren führen sollen: „Die Plattformen werden verpflichtet sein, zügige Beschwerde- und Rechtsbehelfsmechanismen (die von den Mitarbeitern der Plattform betrieben werden, nicht von Algorithmen) einzurichten, über die Beschwerden eingereicht werden können, wenn ein Upload zu Unrecht gelöscht wurde.“

Axel Voss zeigt sich als Leiter der Verhandlungen im Parlament begeistert vom Ergebnis: „Ich bin sehr froh, dass es trotz der sehr starken Lobbykampagne der Internet-Giganten nun eine Mehrheit im gesamten Haus gibt, die sich für den Schutz des Grundsatzes des gerechten Entgelts für kreativ Tätige in Europa einsetzt.“ Er sei überzeugt, „dass das Internet, wenn sich der Staub gelegt hat, so kostenlos sein wird wie heute, dass Schöpfer und Journalisten einen gerechteren Anteil an den Einnahmen ihrer Werke verdienen werden und dass wir uns fragen werden, ob das die ganze Aufregung wert war.“ (hob@ct.de)