c't 21/2018
S. 152
Recht
Virtuelles Hausrecht

Hausmacht

Gerichte uneins: Wann darf Facebook Beiträge löschen?

Die Lösch- und Sperrpraxis von Facebook beschäftigt Öffentlichkeit und Politik – und jetzt auch die Gerichte. Drei neue Urteile zeigen, wie verschieden die Instanzgerichte zwischen Meinungsfreiheit und Hausrecht des Plattformbetreibers abwägen.

Ständig testen Facebook-Nutzer die Grenzen des Sagbaren aus. Der Konzern reitet auf der Rasierklinge: Löscht er zu viele Postings, verprellt er seine Mitglieder, lässt er lange Leine, bekommt er es mit den deutschen Gerichten zu tun. Spätestens, seit das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) Anfang des Jahres in Kraft trat, zog Facebook die Schraube an und löscht deutlich mehr.

Doch was ist mit Beiträgen, deren Inhalt nicht in den Anwendungsbereich des NetzDG fällt? Bislang beruft sich Facebook auf die eigenen inhaltlichen Regeln („Gemeinschaftstandards“) sowie die Nutzungsbedingungen („Richtlinien“), die dem Konzern weitgehende Freiheiten bei dem Umgang mit Nutzer-Postings auf der Plattform gewähren sollen.

Gemeinschaftsstandards: Unter facebook.com/communitystandards erfahren die Nutzer in einlullenden Texten, welche Inhalte zur Kontensperrung führen.

In diesen Nutzungsbedingungen ermächtigt sich Facebook selbst, sämtliche Inhalte, die ein Nutzer veröffentlicht, entfernen zu dürfen. Diese sehr weite Auslegung der eigenen Rechte und des sogenannten virtuellen Hausrechts ging dem Oberlandesgericht (OLG) München viel zu weit. Es entschied mit Beschluss vom 24.8.2018 (Az. 18 W 1294/18) gegen den Konzern und verurteilte ihn, es zu unterlassen, einen von einer Nutzerin eingestellten Kommentar zu entfernen und diese temporär vom Zugang zur Plattform auszuschließen.

Die Klägerin im Verfahren hatte auf der Facebook-Seite von Spiegel Online einen Artikel mit der Überschrift „Österreich kündigt Grenzkontrollen an“ mit den Worten kommentiert: „Ich kann mich argumentativ leider nicht mehr mit Ihnen messen, Sie sind unbewaffnet und das wäre nicht besonders fair von mir.“ Facebook hatte das Posting daraufhin gelöscht und die Nutzerin für 30 Tage gesperrt.

Anders als das Landgericht (LG) München in der ersten Instanz hielt das OLG die von Facebook herangezogene Bestimmung in den – als Allgemeine Geschäftsbedingungen einzustufenden – „Richtlinien“ für unwirksam. Laut OLG liegt eine unangemessene Benachteiligung der Nutzerin vor, die durch ihre Anmeldung Vertragspartnerin des Konzerns geworden ist. In der Löschung der umstrittenen Äußerung sei eine Verletzung der Vertragspflicht zu sehen: Facebook müsse auf die Rechte der Nutzerin, insbesondere deren Grundrecht auf Meinungsfreiheit nach Art. 5 des Grundgesetzes, Rücksicht nehmen.

„Mittelbare Drittwirkung“

Zwar regeln die Grundrechte in erster Linie das Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Ihnen kommt aber auch eine sogenannte „mittelbare Drittwirkung“ zu, da sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch als „verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung haben“. Im Hinblick auf diese Drittwirkung muss auch ein privater Anbieter gewährleisten, dass eine zulässige Meinungsäußerung nicht von der Plattform entfernt werden darf. Der Inhalt des in Frage stehenden Postings ist laut OLG München zwar pointiert, überschreitet jedoch nicht die rechtlich zulässigen Grenzen. Daher sei sowohl das Löschen des Inhalts als auch die auf dem Beitrag beruhende Sperre der Nutzerin rechtswidrig.

Das OLG Karlsruhe kam allerdings in einem ähnlichen Verfahren mit Beschluss von Ende Juni 2018 (Az. 15 W 86/18) zu einem völlig anderen Ergebnis. Dort ging es um immer gleiche Kommentare, die ein Rechtsanwalt in mindestens hundert Fällen unter Beiträgen von Politikern und Medien hinterlassen hatte: „Flüchtlinge: So lange internieren, bis sie freiwillig das Land verlassen!“ Bis Mai 2018 ließ Facebook diesen Satz unbeanstandet, dann wurde er gelöscht, weil er gegen die Gemeinschaftsstandards verstoße und als „Hassrede“ zu qualifizieren sei. Darüber hinaus wurde der Jurist für 30 Tage gesperrt.

Es ist laut Facebook unter anderem verboten, auf der Plattform „zum Ausschluss oder der Isolation einer Person oder Personengruppe aufgrund der aufgeführten Eigenschaften“ aufzurufen. Das OLG Karlsruhe bestätigte diese Einstufung. Das Posting gehe inhaltlich über eine bloße Kritik und Diskussion der Einwanderungsgesetze hinaus. Daher lägen keine Anhaltspunkte vor, dass die Plattform bei der konkreten Anwendung und Auslegung ihrer Nutzungsbedingungen die Wirkung von Art. 5 des Grundgesetzes verkannt hat.

Ähnlich entschied nun jüngst auch das LG Frankfurt in einem Beschluss von 10.9.2018 (Az. 2-03 O 310/18). Auch in diesem Fall ging ein Facebook-Nutzer gegen die Plattform vor und beantragte, eine Sperre rückgängig zu machen. Gepostet hatte er Folgendes: „Wasser marsch, Knüppel frei und dann eine Einheit Militärpolizisten! Dann ist schnell Ruhe! Und jeden ermittelten Gast Merkels ab in die Heimat schicken.“ Nach Ansicht der Frankfurter Richter ist eine Beitrags- und Nutzersperre in diesem Fall nicht zu beanstanden. (hob@ct.de)