c't 11/2018
S. 32
News
Elektronisches Anwaltspostfach

Anwaltspostgeheimnis

Geheimniskrämerei um Sicherheitspannen beim elektronischen Anwaltspostfach

Wann das seit Jahresbeginn vorgeschriebene elektronische Anwaltspostfach in Betrieb geht, ist weiterhin nicht absehbar. Inzwischen streitet die Justiz über die Folgen, die der Totalausfall für den angestrebten elektronischen Rechtsverkehr hat.

Bundesjustizministerin Katarina Barley will keine Auskünfte zum elektronischen Anwaltspostfach erteilen. Bild: Kay Nietfeld, dpa

Ende März informierte die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) in einem Rundschreiben die Präsidenten der 28 Rechtsanwaltskammern über erste vorläufige Ergebnisse der Sicherheitsanalyse zum „besonderen elektronischen Anwaltspostfach“ (beA). Wichtigstes Ergebnis der von der Secunet AG im Auftrag der BRAK durchgeführten Sicherheitstest sei, dass das beA Schwachstellen habe, die vor der Wiederaufnahme des Online-Betriebs beseitigt werden sollen.

Ab Mitte Mai werde Secunet die Prüfung abschließen und dann auch das vollständige Sicherheitsgutachten vorlegen, heißt es in dem Schreiben weiter, das von der BRAK unter Verschluss gehalten wird. Wann das beA in Betrieb gehen kann, ist also noch offen.

Das Bundesministerium der Justiz (BMJV), das die Aufsicht über die BRAK führt, wird angeblich umfassend auf dem Laufenden gehalten. Überprüfen lässt sich das nicht, denn sowohl BRAK als auch BMJV verweigern dazu jede Auskunft.

Unter den Juristen ist derweil ein Meinungsstreit entbrannt, welche Konsequenzen sich aus dem Ausfall des beA ergeben. Schließlich ist ihnen vom Gesetz auferlegt, in Gerichtsverfahren einen sicheren Zugang für die Zustellung elektronischer Dokumente zu eröffnen (§ 174 Abs. 3 Satz 4 ZPO). Das muss nicht zwingend das Anwaltspostfach sein. Denkbar ist auch ein De-Mail-Postfach.

In einigen Justizverwaltungen ist man deshalb der Auffassung, dass die Pflicht der Anwälte unabhängig davon bestehe, ob das beA nun in Betrieb ist oder nicht. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) bietet hingegen alle juristische Finesse auf, um zum gegenteiligen Ergebnis zu kommen. In einer fast 20-seitigen Stellungnahme (ct.de/y5rc) legen die Anwaltsvertreter dar, dass sich die Zugangspflicht entgegen dem Wortlaut des Gesetzes auf den Zugang per beA beschränke, folglich bis zur tatsächlichen Inbetriebnahme entfalle. Zum Beleg dienen zahlreiche Passagen aus der Gesetzesbegründung, wonach der Gesetzgeber vom Funktionieren des beA ausgegangen sei.

Dass er sich dabei geirrt hat, ist erwiesen. Aber daraus folgt keineswegs zwingend, dass die Anwälte damit aus der Pflicht wären. Denn die Frage, die das DAV-Gutachten übergeht, lautet nun: Was hätte der Gesetzgeber denn gewollt, wenn er diesen Irrtum gekannt hätte? Auch darüber gibt ein Blick in die Gesetzesmaterialien Aufschluss: Er wollte den elektronischen Rechtsverkehr in Gang bringen. Und zwar vor allem, um in der Justiz weiter sparen zu können. Schließlich verursacht das Versenden von Schriftsätzen mit der klassischen Post immense Kosten. Es spricht also einiges dafür, dass der Gesetzgeber den Anwälten durchaus die Wahl lassen wollte, auf welche Weise sie ihrer Pflicht zur Zugangseröffnung nachkommen, nicht aber, ob sie dies tun oder lassen.

Bislang kommen die wenigstens Anwälte dieser Pflicht nach. Konsequenzen hat das in der Praxis aber für sie nicht. Denn die Gerichte sind selbst derzeit meist nicht in der Lage, Schriftsätze elektronisch per De-Mail zu verschicken, und zeigen wenig Neigung, Anwälte wegen fehlenden Zugangs zu ermahnen. Auch von ihren Berufskammern droht den Elektronikmuffeln in der Anwaltschaft kein Ärger. Beschwerden über Mitglieder, die ohne elektronischen Zugang vor Gericht tätig werden, weist etwa die Hanseatische Rechtsanwaltskammer Hamburg zurück. In einem Schreiben, das c’t vorliegt, heißt es, die Pflicht aus der ZPO finde keine Entsprechung in der Berufsordnung der Anwälte (BRAO), deshalb sei die Kammer für Verstöße auch nicht zuständig.

Sehr interessiert an den Möglichkeiten des elektronischen Rechtsverkehrs zeigt sich indessen die Gruppe der vor den Gerichten tätigen Sachverständigen. So waren mehrere Vorträge auf dem Thüringer Sachverständigentag am 12. April dem Thema elektronischer Rechtsverkehr gewidmet. Schließlich stellt das Ausdrucken ihrer oft umfangreichen Gutachten einen nicht unerheblichen Kostenfaktor dar.

Wenn Anwälte ihre Schriftsätze elektronisch einreichen, dürften die Kosten bei den Gerichten aber erst einmal steigen. Denn die sonst bestehende Pflicht, von allen eingereichten Schriftsätzen Vervielfältigungen für die anderen Beteiligten mitzuliefern, entfällt hierbei. Mangels eigener digitaler Infrastruktur müssen die Gerichte nicht nur für die eigenen Akten drucken, sondern auch für alle Beteiligten. Und zwar auf eigene Kosten. Die Hersteller von Druckern und Verbrauchsmaterial wirds freuen. (tig@ct.de)