c't 9/2017
S. 49
Test
Kopfhörer mit Videobrille
Aufmacherbild

Kopfhörer zum Kucken

Kopfhörer-Videobrille Avegant Glyph im Test

Auf den ersten Blick sieht Avegant Glyph aus wie ein ohrumschließender Kopfhörer. Schiebt man den Kopfbügel nach vorne, projiziert er Videos in die Augen.

Avegant Glyph projiziert das Videobild direkt in Augen – das sieht von außen ein wenig gruselig aus.

Kopfhörer, gerade die geschlossenen Varianten, werden gerne genutzt, um ein kleines bisschen Privatsphäre in hektischen Umgebungen zu erzeugen. Der Video-Kopfhörer Avegant Glyph treibt die Abkapslung auf die Spitze: Man kann ihn so vor die Augen schieben, dass er die Umgebung nicht nur akustisch, sondern auch visuell ausblendet. In den Bügel sind zwei kleine Projektoren eingebaut, die ein Bild direkt auf der Netzhaut erzeugen. Das klingt bedrohlicher, als es ist: als Lichtquelle dienen leistungsschwache LEDs. Einzelheiten verrät das vom deutschen Informatiker Jörg Tewes geführte US-Startup allerdings nicht.

Streamingfunktionen bietet Glyph keine, man muss zwingend ein HDMI-Gerät (für Video und Audio) oder eine Audio-Quelle über Klinkenkabel anschließen. Im Test spielte Glyph mit einem iOS-Gerät plus Digital-AV-Lightning-Adapter einwandfrei, die meisten Android-Nutzer schauen allerdings in die Röhre: Ein Großteil aktueller Geräte unterstützt den HDMI-über-USB-Standard MHL nicht (mehr).

Für die Anpassung muss man die vier mitgelieferten Nasenbügel durchprobieren.

Der Glyph-Kopfhörer erzeugt das Bild mithilfe eines von Texas Instruments hergestellten DLP-Mikrospiegel-Arrays. DLP heißt „Digital Light Processing“ und wird schon seit Jahrzehnten für Projektoren verwendet. Tatsächlich sieht die Glyph-Projektion auch so ähnlich aus wie die von einem günstigen DLP-Beamer im Dynamik-Modus erzeugte: Viel Kontrast, knallige und leicht von der Norm abweichende Farbdarstellung, etwas kühle Bildwirkung. Sensiblen Menschen fallen manchmal Farbblitzer auf – dieser sogenannte Regenbogeneffekt tritt auch bei DLP-Projektoren auf, weil hier die Farben nicht gleichzeitig, sondern nacheinander erzeugt werden.

Die Kopfhörer-Videobrille erfordert Selbstbewusstsein: Für die Mitmenschen sieht es aus, als würde man nicht wissen, wie man einen Kopfhörer aufsetzt.

In Sachen Schärfe gibt es nichts zu meckern: Beide Miniprojektoren (einer für jedes Auge) schaffen eine Auflösung von 1280 × 720 Pixeln. Das reicht vollkommen aus, alle Testpersonen empfanden das Bild als knackig scharf – allerdings auch ein wenig klein. Statt (wie VR-Brillen) einen Großteil des Blickfelds auszufüllen, nimmt man das Bild der Glyph in etwa so groß wahr wie einen zwei Meter entfernten 50-Zoll-Fernseher (entspricht 127 Zentimetern Diagonale). Richtiges Kinofeeling kommt so zwar nicht auf, aber zumindest kann man deutlich besser in den Film eintauchen als etwa auf einem Vordersitz-Display im Flugzeug oder auf einem Handy im Bett. Die Tonqualität ist ordentlich, wenn auch ein bisschen bassbetont. Augenabstand und Dioptrien (für jedes Auge einzeln) lassen sich einstellen. Der Akku hält rund drei Stunden lang durch.

Kabel-Gestöpsel

Man muss sich ein wenig Zeit nehmen, um die Glyph auf Augen, Nase und Gesicht anzupassen. Neben einer stabilen Aufbewahrungsbox werden vier unterschiedliche Nasenbügel mitgeliefert, die man unbedingt alle durchprobieren sollte: Der Video-Kopfhörer bringt stolze 437 Gramm auf die Waage, drückt also kräftig auf die Nase. Im Test konnten wir uns alles einigermaßen zurechtruckeln, über längere Zeit fühlte sich Glyph aber nur im Liegen angenehm an. Will man das Gerät nur als Kopfhörer verwenden, muss man die Nasenbügel-Öffnung durch eine Blindklappe verschließen und die Linsen hereindrücken – sonst schmerzts auf dem Kopf.

Tabelle
Tabelle: Avegant Glyph

Wer mit den Ergonomie-Kompromissen leben kann, bekommt mit Avegant Glyph eine ziemlich innovative (mobile) Video-Kuckstation. Ärgerlich sind allerdings die fehlenden Streaming-Funktionen; das HDMI-Kabel-Gestöpsel ist nicht mehr zeitgemäß. Außerdem schade: Der Kuck-Kopfhörer ist bislang ausschließlich in den USA für 500 US-Dollar erhältlich. Laut Hersteller soll er aber demnächst auch in Deutschland für 550 Euro in den Handel kommen. (jkj@ct.de)