c't 6/2017
S. 42
News
Gesetzentwurf autonomes Fahren
Aufmacherbild
Im hochautomatisiert fahrenden Konzeptfahrzeug A7 Jack hat man 10 Sekunden Zeit, um die Kontrolle über das Fahrzeug vom Autopiloten zu übernehmen.

Freihändige Fahrt voraus

Automatisiertes Fahren mit erhöhtem Risiko

Die Bundesregierung will mit einer Gesetzesänderung die rechtlichen Hürden für autonomes Fahren in Deutschland zu Fall bringen. Während Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sich über „das modernste Straßenverkehrsrecht der Welt“ freut, vermissen Kritiker klare Regeln zu Haftung und Datenschutz.

Laut dem Ende Januar verabschiedeten Kabinettsentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (siehe c’t-Link) dürfen hoch- und vollautomatisierte Fahrsysteme künftig die Fahraufgabe übernehmen. Unter anderem muss der Autopilot die Straßenverkehrsregeln einhalten und Geschwindigkeitsbeschränkungen erkennen. Das Gesetz soll noch vor der Bundestagswahl im September verabschiedet werden.

Der Fahrer darf erstmals die Hände vom Lenkrad nehmen und muss die Steuerung nur dann wieder übernehmen, wenn das System ihn dazu auffordert. Ein Eingriff des Fahrers ist auch dann gefragt, wenn das System nicht störungsfrei funktioniert, etwa wenn ein Reifen platzt. Der Fahrer muss gemäß dem Entwurf dann „unverzüglich“ die vollständige Kontrolle über das System übernehmen können. Eine maximale Zeitspanne, in der der Fahrer das Fahrzeug übernehmen muss, enthält der Entwurf nicht.

Der Gesetzgeber versucht mit dieser Regelung vor allem die Haftungsfrage bei Unfällen zu regeln, wobei er dies nach Ansicht von Kritikern nicht eindeutig genug tut. Mit der Vorgabe der „unverzüglichen“ Kontrollübernahme werde nicht der Hersteller, sondern der Fahrer für Unfälle haftbar gemacht, meint beispielsweise der grüne Verkehrsexperte Stephan Kühn. Er kritisiert, dass das Gesetz die Gefährdungshaftung bei den Autofahrern ablade, während es keine Produkthaftung der Hersteller für das Funktionieren der Systeme gebe. Verbraucherpolitikerin Barbara Klepsch (CDU) kündigte an, die Produkthaftung auf der Verbraucherschutzministerkonferenz im April auf den Tisch zu bringen.

Auch die Versicherungswirtschaft zeigt sich über den Gesetzesentwurf wenig zufrieden, da der Maßstab für die Fahrlässigkeit unklar bleibe. Eine Studie der Unfallforscher der Versicherer zeigte nämlich, dass eine vollständige Übernahme durch den Fahrer bis zu 15 Sekunden dauern kann. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) glaubt deshalb, dass die vorgesehene Warnfunktion bei unübersichtlichen Verkehrssituationen nicht genügt. Deshalb müsse der Fahrer nicht nur optisch, sondern gleichzeitig auch akustisch und fühlbar gewarnt werden.

Die Versicherungswirtschaft fordert zudem, dass die automatische Fahrfunktion abgeschaltet werden müsse, wenn die technischen Sensoren feststellen, dass der Fahrer fahrfremde Tätigkeiten übernimmt. Das wäre etwa der Fall, wenn der Fahrer seinen Autositz verlässt, sein Smartphone nutzt oder ein Nickerchen macht. Denn in diesen Fällen sei die im Entwurf geforderte unverzügliche Reaktion nicht möglich. Der GDV betont zudem, dass sich ein nur für die Autobahn zugelassenes automatisiertes Fahrsystem automatisch abschalten muss, sobald das Fahrzeug nicht mehr auf einer Autobahn fährt.

Im derzeitigen Entwurf ist zudem vorgeschrieben, dass die Fahrzeuge alle Vorgänge während der automatisierten Fahrt in einem Datenspeicher dokumentieren, ähnlich einer Blackbox bei Flugzeugen. Damit soll sichergestellt werden, dass sich Fahrzeugführer „nicht pauschal auf ein Versagen des automatisierten Systems berufen“ können, heißt es in der Gesetzesbegründung. Die ID des Speichermediums soll im zentralen Fahrzeugregister des Kraftfahrt-Bundesamtes geführt werden. Die Kontroll- und Straßenverkehrsbehörden werden spezielle, etwa 10 000 Euro teure Lesegeräte erhalten, um die Blackbox auslesen zu können.

Wie dieser gesonderte Speicher technisch beschaffen sein muss, soll separat in einer kommenden internationalen Regelung festgelegt werden. Nach einem Unfall müssen die Daten unter bestimmten Bedingungen an Dritte übermittelt werden können. Außerdem müssen ausgewählte Daten „bei Erforderlichkeit den zuständigen Behörden zugänglich gemacht“ werden. Das Datenmanagement des Speichers müsste daher auch das Auslesen der Daten auf unterschiedliche Datenarten beschränken können.

Klepsch weist darauf hin, dass aus dem Datenspeicher nicht nur Haftungsfragen abgeleitet werden können, sondern die Inhalte auch die Datenschutzinteressen der Fahrer berührten. Das könne daher „nicht so stehen bleiben“. Laut einer Umfrage von TNS Emnid im Auftrag der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) sorgen sich zwei Drittel der Verbraucher um ihre Privatsphäre beim automatisierten Fahren. Klaus Müller vom VZBV schlägt vor, ein „Trust Center“ einzurichten, das bei der Datenspeicherung und -weitergabe vermitteln soll. Die Versicherungswirtschaft fordert, dass ein „diskriminierungsfreier“ Zugang zu den Daten technisch wie organisatorisch gewährleistet werden müsse. Der vorliegende Gesetzesentwurf wird Mitte März die erste Lesung im Bundestag durchlaufen. (sha@ct.de)