c't 21/2017
S. 3
Editorial
Dorothee Wiegand

Reizüberflutung

Bei mir ist gerade eine langjährige Beziehung in die Brüche gegangen: die zu meinem Windows Phone. Ich hatte mich gleich in die erste Version verliebt. Leider gab es dann für meine Hardware kein Update. Beim zweiten Gerät lief es genauso. Trotzdem bin ich treu geblieben, denn meine Ansprüche sind nicht hoch: Das Handy nutze ich fast nur zum Kommunizieren. Manchmal möchte ich wissen, wie das Wetter wird oder wo ich bin. Und anfangs liefen ja auch noch Fahrplan-Apps unter Windows Phone, aber dann hat sogar die Deutsche Bahn das Interesse an diesem System verloren. Als ich das erste Mal einen Zug verpasste, weil die DB-App zur Unzeit einfror, war klar: Ich will die Trennung.

Die Kollegen versuchen zu vermitteln. Einer schwärmt von der Fingerabdruck-Erkennung. Stimmt, die funktioniert wirklich präzise: Nach 45 Minuten im Schwimmbad lässt mich mein Smartphone nicht mehr rein. Ein anderer lobt die Rechtschreibkorrektur. Stimmt, da muss ich eigentlich gar nichts mehr selbst schreiben. Das übereifrige Handy schreibt sowieso, was es will. "Jaaa!" habe ich neulich eingetippt, aber auf dem Display stand "Kasachstan!"

Von Google fühle ich mich jetzt massiv beobachtet. Natürlich steht jeder IT-Nutzer ständig unter Beobachtung von Amazon, Apple, Google, Microsoft, Facebook und so weiter. Aber bisher hatten sie mich alle nur so ein bisschen im Blick. Windows-PC und -Phone, Google Mail, iPad - das war eine prima Mischung, weil die Geräte nicht miteinander sprachen. Wenn ich jetzt nach Feierabend am Handy etwas suche, konfrontiert mich Google mit dienstlichen Recherche-Begriffen - nett gemeint, hilft aber nicht beim Abschalten von der Arbeit.

Aber, naja. Das Wichtigste sind die regelmäßigen Updates! Und die funktionieren ganz hervorragend. Immerzu aktualisiert sich irgendeine der rund 60 vorinstallierten Apps und meldet anschließend stolz Vollzug. Ah, da wurde gerade wieder was aufgespielt. "Tüdeldüdeldü!" macht das Handy und fragt: "Möchtest Du Antworten, ohne fragen zu müssen?" Nein, nein, nein. Möchte ich nicht!

Vielleicht sollte Microsoft sein totes Windows Phone ja als Spezialsystem für perfekte Fokussierung und innere Balance vermarkten.

Unterschrift Dorothee Wiegand Dorothee Wiegand

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