c't 20/2017
S. 3
Editorial
Detlef Grell

Digitaler Ehrgeiz

Ich brauche eine Briefmarke für 3,70 Euro. Draußen regnet es in Strömen, also online kaufen. Für einen eBay-Verkäufer ist das ein Klacks, egal ob bei DHL oder Post. Einen Postpay-Account hab ich ja außerdem.

Doch leider lässt sich Postpay erst ab 3,89 Euro nutzen. Echt jetzt? Ab in die e-Filiale der Post. Und wieder mal vollständige Registrierung, gerade noch so ohne Postident. Gab es wirklich schon mal einen Postraub via Online-Briefmarken? Das Passwort wird mir bei beiden Eingaben als sicher bescheinigt, nach dem Absenden als unsicher moniert.

Bei DHL kann ich mit Paypal zahlen, hier muss es aber Giropay sein. Schick ist, dass man bei Giropay nur die BIC alias Bankleitzahl an den Verkäufer übermittelt. Der erkennt daran, ob die Käuferbank Giropay unterstützt. Sein Shop schickt mich zu meiner Bank, dort mache ich gewöhnliches Online-Banking, ohne bei einer Fremdfirma meine PIN einzutippen - und Bingo, ich habe bezahlt. Die e-Filiale aber verlangt völlig sinnwidrig meine IBAN. Um dann IBANs in der gut lesbaren 4-Zeichen-Sperrung abzulehnen. Bis ich schließlich am Ziel bin, hat der Shop das von mir gewählte Briefmarkenmotiv vergessen.

Szenenwechsel: In meinem Auto erlischt das Live-Traffic-Abo. Damit kann das Navi zum Beispiel Staus umfahren. Beim Vorgänger poppte eine Telefonnummer ins Display, über die man erfuhr, wie man das Abo verlängert. Heute weiß in der Niederlassung immerhin schon der vierte befragte Meister, dass das nur noch online über Me Connect geht.

Registrieren, einloggen. Über 20 für mich nutzlose und auch eher bedenkliche Dienste (öffnen Sie Ihr Auto mit dem Smartphone, Fahrzeug-Ortung ...) warten auf mich. Um Live-Traffic wieder freizuschalten, muss ich zwei Hollywood-Verträge (wir haben alle Rechte, Sie sind in jedem Fall der Gekniffene) abnicken.

Wer nicht abnickt, kriegt nicht. Vorher lesen? Wenn das Leben vielen schon zu kurz ist, um USB-Sticks sicher zu entfernen - mal im Ernst, wer liest den Quatsch?

Geschafft? Nein. Der Customer Assistance Service möchte mich persönlich sprechen, und dazu muss ich in meinem Auto sitzen. Postident à la Mercedes. Eigentlich eine gute Idee, aber nur, wenn man tatsächlich heikle Dienste freischalten will. Also zur Garage gepilgert, einen Kilometer mit dem Auto gefahren, damit ich drei Balken für eine verlässliche Mobilfunk-Verbindung habe, persönlich vorgesprochen.

Soll unsere digitale Zukunft wirklich darin bestehen, alles noch umständlicher als zuvor zu gestalten? Wie cool wäre eine Lösung gewesen, in der ich "Abo verlängern" anklicke und dann bezahle. Und wer bitte braucht User-Daten beim Briefmarkenkauf?

Unterschrift Detlef Grell Detlef Grell

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