c't 8/2016
S. 64
Hintergrund
Cybergrooming
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Außer Kontrolle

Warum die Anmache von Kindern im Internet zunimmt

Viele verstehen unter Jugendmedienschutz vor allem, Kinder von belastenden Inhalten im Web fernzuhalten. Die größere Gefahr lauert aber derzeit in Chats und Messengern: Statistiken belegen, dass Cybergrooming – also die Anbahnung sexueller Kontakte mit Kindern – seit Jahren ansteigt. Dies hat mehrere Gründe. Wenn Eltern sie kennen, eröffnen sich Möglichkeiten zum Schutz der Minderjährigen. Doch auch die Politik ist gefragt.

Es ist ein belastender Auftrag, dem sich die achtköpfige Ermittlergruppe „Internetrecherche“ im Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg seit Jahren stellt: Die Polizisten suchen verdeckt nach Erwachsenen, die in Chats Kontakte mit Kindern anbahnen. Mit Account-Namen wie „Pauline2002“ geben sich die Fahnder als 12-Jährige aus. Taten provozieren dürfen sie selbstredend nicht, aber sogar ein „Hallo“ als Lockruf reicht bereits oft aus.

„Es ist, wie wenn Sie ein Stück Fleisch in ein Gewässer voller Piranhas werfen“, berichtet Kriminalhauptkommissar Thomas Raml von der LKA-Fachinspektion „Internetrecherche“. „Da kommen sofort einschlägige Anmerkungen und Aufforderungen.“ Oft versuchen die potenziellen Täter nach einer kurzen Aufwärmphase, Kinder auf privatere Kommunikationskanäle zu ziehen, um dort die Webcam zu aktivieren.

Bemerkenswert findet Raml, wie routiniert die Täter mittlerweile vorgehen. Nicht selten findet die Polizei später bei Hausdurchsuchungen spezielle Halterungen für Webcams unterhalb der Computertische. Für den LKA-Fahnder deutet das darauf hin, „dass solche Täter häufig sexuelle Handlungen vor der Webcam vornehmen und auch keine Scheu haben, dies vor Kindern zu tun.“

Der juristisch relevante Tathergang läuft unter dem Begriff „Cybergrooming“. Er umfasst die Anbahnung sexueller Kontakte mit Minderjährigen. Strafbar ist Cybergrooming von Erwachsenen mit unter 14-Jährigen, und das bereits seit 2004 nach Paragraf 176 Strafgesetzbuch (StGB). Danach steht es unter Strafe, etwas zu unternehmen, was später einen Missbrauch an Kindern ermöglicht oder vereinfacht. Das heißt in der Praxis: Ein Täter muss keineswegs einschlägige Begriffe oder Redewendungen benutzen, um sich strafbar zu machen.

Kriminalhauptkommissar Raml hat in Chat-Räumen unterschiedliche Verhaltensmuster beobachtet: „Die einen versuchen, das Vertrauen des Opfers zu gewinnen und gehen eher subtil vor, indem sie nach Hobbys fragen oder wie es in der Schule war. Andere hingegen scheuen nicht davor zurück, konkrete Fragen darüber zu stellen, wie man aussieht und was man anhat.“ Auch die Täter geben sich oft als Kind aus und betreiben mitunter großen Aufwand. So füllen sie etwa Bildergalerien mit Fotos von fremden Kindern und Jugendlichen und geben sie als Selbstporträts aus. Ziel ist stets, noch schneller Kontakt zum Opfer aufnehmen zu können.