c't 26/2016
S. 80
Hintergrund
Satellitentechnik
Aufmacherbild
So wie in diesem Rendering sähe der Satellit Sentinel-2B im Betrieb für einen vorbeifliegenden Beobachter aus.

Ohne Sendepause

Erdbeobachtungssatellit Sentinel-2B aus der Nähe betrachtet

Die European Space Agency will Nutzer künftig ohne regelmäßige Sendepausen und ausfallsicher mit Bildern der Erdoberfläche versorgen. Der jetzt fertiggestellte Satellit Sentinel-2B soll mit ambitionierter Hightech dazu beitragen.

Wenn es um die Beobachtung der Erdoberfläche geht, ist die European Space Agency (ESA) Weltspitze. Sie liefert – vor allem im Rahmen des EU-Programms Copernicus – weit mehr Daten über den Planeten als etwa die NASA. Satelliten in erdnahen Umlaufbahnen funken unterschiedliche Informationen zur Erde herab, darunter Fotos aus dem sichtbaren und infraroten Spektralbereich, Radarbilder und Elevationsdaten für die Höhenprofile von Landkarten.

Video: Rendering des Satelliten mit Einblick ins Innere – ESA/ATG Medialab
Video: Rendering mit Visualisierung der Aufnahme – ESA/ATG Medialab
Video: Copernicus kartiert Flutkatastrophen – ESA/DLR

Ein weiterer Datenlieferant, der im Auftrag der ESA in Friedrichshafen von Airbus Industries zusammengebaute Satellit Sentinel-2B, soll spätestens am 2. März 2017 in den Orbit geschossen werden. Im niederländischen Noordwijk gewährte uns die ESA einen detaillierten Blick auf das etwa eine Tonne schwere Gerät. Am dortigen European Space Research and Technology Center (ESTEC) steht eine von nur drei europäischen Vakuumkammern, in denen man das Gerät unter einsatzähnlichen Bedingungen testen kann.

Nach Funktionskontrollen bei einem Druck von 10–6 mbar und Temperaturen zwischen –150 und +150 °C, Vibrationstests und Prüfungen zur elektromagnetischen Verträglichkeit haben die Entwickler den Satelliten im Reinraum für Journalisten zur Schau gestellt.

Im Reinraum des ESTEC ist Sentinel-2B auf dem Stativ des Transportcontainers aufgerichtet.

Im Januar geht es für den Sentinel im Frachtflugzeug nach Kourou in Französisch-Guayana. Dort wird er auf eine Vega-Rakete montiert, betankt und gestartet.

Zum EU-Programm Copernicus gehören die sechs Missionen Sentinel-1 bis -6. Jede davon umfasst den Betrieb mehrerer Satelliten oder Geräte, die in andere Satelliten eingebaut werden. Jede dieser Missionen hat spezielle Messaufgaben; Sentinel-2 fotografiert Landmassen in 13 Wellenlängenbereichen vom kurzwelligen Infrarot bis zum sichtbaren Spektrum.

Datensammlung mit dem Besen

Sentinel-2A kreist seit Juni 2015 in 800 km Höhe auf einer polaren, sonnensynchronen Umlaufbahn. Etwa alle 100 Minuten passiert er den Nordpol, und da sich die Erde kontinuierlich unter der Bahn hindurchdreht, überfliegt er im Lauf der Zeit die komplette Erdoberfläche, ohne je in den Nachthimmel zu geraten. Er erfasst Daten zwischen 56° südlicher und 84° nördlicher Breite.

Push-Broom-Sensordaten

Als Kamera dient ein sogenannter Push-Broom-Imager, dessen Kameratechnik mit einem riesigen Besen vergleichbar ist. Der Imager hat für 13 Spektralbereiche je ein Array aus zahlreichen parallel montierten Fotosensoren, die einen 290 km breiten Streifen unter der Flugbahn scannen. Die Bildauflösung beträgt je nach Wellenlänge 10 bis 60 m.

Dieselben Angaben gelten auch für die Satelliten Sentinel-2B, -2C und -2D. Das jetzt fertiggestellte Modell 2B soll gleichzeitig mit Sentinel-2A Dienst tun. Dadurch wird jeder Ort doppelt so oft fotografiert und das Ausfallrisiko reduziert. Sentinel-2C und -2D sollen im Jahr 2021 fertiggestellt und eingemottet werden, damit man sie nach dem Einsatzende der beiden ersten Modelle jederzeit in Betrieb nehmen kann.

Hightech von alt bis ultramodern

Jeder Satellit soll sieben Jahre lang funktionieren und danach gezielt abgebremst werden. Beim Eintritt in die Atmosphäre zerlegt er sich und verglüht, ohne dass weiterer Weltraumschrott entsteht.

In den roten Hülsen mit Alu-Folienabdeckungen (1A und 1B) stecken zwei der insgesamt acht Sentinel-Steuerdüsen.

Apropos Weltraumschrott: Die Sentinel-Satelliten tragen acht kleine Raketentriebwerke mit einer Schubkraft von jeweils 10 N. Das würde ausreichen, um auf der Erde eine Masse von etwa 1 kg anzuheben. Sie dienen dem tonnenschweren Satelliten zu autonomen Kurskorrekturen. Diese Steuerdüsen lassen sich aber auch fernsteuern, um Kollisionen mit Schrottpartikeln zu vermeiden. Bei solchen Ausweichmanövern verlassen sich die Missionsbetreuer auf eine ESA-Datenbank mit den Flugbahnen von mehr als 40.000 gefährlichen Partikeln.

Die roten Hülsen schützen die GPS-Antennen beim Transport. Die goldfarbene Folie zur Wärmeisolation wirkt deshalb so zerknittert, weil sie auf zahlreichen Füßchen mit Abstand über dem Satellitengerüst fixiert ist.
Im Betrieb wird der Satellit per Funk ferngesteuert, am Boden über zahlreiche Anschlüsse auf der Interface-Platine.

Um sich im Orbit zurechtzufinden, hat jeder Satellit zwei GPS-Empfänger, ein Magnetometer, ein Trägheits-Navigationssystem und einen sogenannten Star-Tracker an Bord. Der besteht aus drei Teleskopen, deren Sichtfelder ein Rechner mit altehrwürdigem, 32-bittigem SPARC-Prozessor nach bestimmten Sternbildern durchsucht. Warum ein hochmoderner Satellit mit so einem veralteten Prozessor gesteuert wird, erklärte uns einer der ESA-Techniker mit dessen Unempfindlichkeit gegen kosmische Strahlung.

LEO an GEO: Bild ab!

Der Satellit wird im Transportcontainer wie später in der Trägerrakete ausschließlich durch den Ring getragen, der hier zur Inspektion aufwärts gerichtet ist.
Die Kameraöffnung für das Push-Broom-Sensorarray ist sogar im Reinraum des ESTEC zusätzlich durch Folie vor Staub geschützt.
Das Sonnensegel zur Energieversorgung ist zuerst zusammengeklappt. Dünne Stifte halten die Scharniere gegen vorgespannte Federn in Position. Sie werden im Orbit elektrisch durchgebrannt, und die Federn klappen das Segel auf.
Die tellerförmige Antenne fürs X-Band (8 bis 12,5 GHz) übermittelt Daten mit einer Bandbreite von 520 Mbit/s zur Bodenstation.

Modernste Spitzentechnik steckt hinter einer Neuerung in Sentinel-2: Üblicherweise kann ein Satellit die im Lower Earth Orbit (LEO) gesammelten Daten immer nur stoßweise beim Überflug einer Bodenstation abgeben; die resultierenden Sendepausen verursachen etwa bei Hochwasser- oder Waldbrandkatastrophen fatale Zeitverluste.

Sentinel-2B von innen

Deshalb hat der aktuelle Satellit ein zusätzliches Übertragungssystem erhalten. Mit einem Festkörper-Laser und einer beweglichen Optik visiert er permanent einen von zwei 45.000 km entfernten Relais-Satelliten im GEO (Geostationary Orbit) an. Die Bilddaten werden auf den Laserstrahl aufmoduliert und gelangen mit 1,8 GBit/s zum Relais-Satelliten. Dieser funkt sie als kontinuierlichen Strom zur Erde.

Der Sentinel-Laser muss dafür äußerst präzise ausgerichtet werden. Mit der erforderlichen Genauigkeit könnte man aus einer fahrenden Straßenbahn von Hannover aus permanent die Turmuhr des Hamburger Michels beleuchten. Kein Wunder, dass die Missionstechniker dieses System erst justieren wollen, wenn der Satellit eine stabile Position im Orbit eingenommen hat.

Wozu der Aufwand?

Bislang hat die ESA von Sentinel-1A und -2A mehr als 6,5 PByte Daten empfangen. Diese sind ebenso wie die über 800.000 daraus erzeugten Landkarten-Dateien für jedermann frei verfügbar. 52.000 registrierte Nutzer haben davon schon fast 6 Millionen Mal Gebrauch gemacht. Karten und Rohdaten kann man in verschiedenen Formaten herunterladen und für eigene Auswertungen nutzen. Landwirte erhalten daraus zum Beispiel Aufschlüsse über das Pflanzenwachstum auf ihren Äckern, und Kommunalplaner können verfolgen, wie sich Geländenutzung, Besiedlung und Umweltbedingungen gegenseitig beeinflussen.

Die wachsende wirtschaftliche Bedeutung der Satellitenbilder erkennt man auch daran, dass die EU diese Daten mit dem Copernicus-Projekt über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich und ausfallsicher bereitstellen will. Passend dazu hat die ESA im November eine Kooperation mit SAP verkündet, um Satelliten-Daten komfortabel für Unternehmen nutzbar zu machen.

Aus regelmäßig aufgenommenen Satellitenfotos lässt sich für jeden Landstrich ermitteln, wie oft er von Waldbränden betroffen ist.

Auf der SAP TechEd im November zeigte die Münchner Rückversicherungsgesellschaft einen Dienst, der Regionen anhand der ESA-Daten kontinuierlich nach Schäden durch Waldbrände kategorisiert. Als Microservice hilft er der Versicherungssoftware, die Waldbrandgefahr zu berücksichtigen und Trends zu ermitteln. Unter der Parole „Big Data to Smart Data“ sollen Software-Entwickler ähnliche Dienste für konkrete Fragestellungen programmieren und auf einer Pay-per-use-Basis über ein neu eingerichtetes SAP-Portal vermarkten. (hps@ct.de)

Starttermine und Einsatzdauern der Sentinel-Missionen
Viele Flaggen, 2000 Mitarbeiter: Das ESTEC European Space Research and Technology Centre in Noordwijk testet ESA-Satelliten auf ihre Tauglichkeit.
Gunn Schweickert, Missionsleiterin für Sentinel-2, berichtet bei der "Farewell-Präsentation" von Sentinel-2B über die Vorgänge bis zum Launch.

Reise- und Unterbringungskosten für den Besuch der SAP TechEd und die Satellitenbesichtigung im ESTEC haben SAP und die ESA getragen.