c't 24/2016
S. 20
Prozessorgeflüster
Kaby Lake, Qualcomm

Prozessorgeflüster

Von alten Chips in neuen Schläuchen

Kaby Lake macht von sich reden, dort wo er fehlt, und dort, wo er zu früh auftaucht. Und Qualcomm macht von sich reden, mit der geplanten größten Übernahmeaktion in der Halbleiterindustrie.

Schick sind sie auch diesmal geworden, wie gehabt nicht ganz billig – aber immerhin können Apples lang erwartete neue MacBooks sogar noch mit einem Kopfhörer-Anschluss aufwarten. Nur der „extrem schnelle Universalanschluss“ mit Thunderbolt 3 ist, so scheints, nicht ganz so universell wie beworben, jedenfalls werden Geräte mit älteren TI-Interface-Chips einfach ignoriert.

Ein bisschen enttäuschend ist aus meiner Sicht allerdings, dass alle MacBooks Pro noch mit dem „uralten“ Skylake-Prozessor und nicht mit dem Kaby Lake bestückt sind. Okay, viele Vorteile bietet Kaby Lake abgesehen von der etwas schnelleren HD-Grafik nicht wirklich, aber irgendwie macht es sich nicht gut, in diesen edlen Systemen mit einem ein Jahr alten Prozessor herauszukommen. Da nützt auch das Prozessor-Postfix HQ nichts, das so manche „Applogeten“ als High Quality missdeuten: H steht für High Performance Graphics, Q für Quad Core.

Für das kleine MacBook Air hätte durchaus einer der bereits auf der IFA vorgestellten stromsparenden Mobil-Prozessoren gepasst. Für die größeren Notebooks – ja, da fehlen derzeit noch die passenden Kaby-Lake-Chips, aber früher wurde Apple ja auch von Intel verwöhnt und bekam neue Prozessoren geraume Zeit vor den anderen. Das ist nun offenbar vorbei.

Tabelle: Kaby Lake S

Dabei hat Intel die neuen schon überall, wenn auch zuweilen „versehentlich“, angekündigt, etwa die ersten Kaby-Lake-S-Versionen für Desktop-PCs, die vorab in den Product Change Notifications 115022-00 auftauchten. Das verräterische Dokument ist dann zwar schwupps schnell wieder vom Intel-Server verschwunden, aber die Info, siehe Tabelle, ist nun mal draußen.

In China wird der Core i5-7600K offenbar schon an allen Straßenecken verkauft, und diverse Benchmark-Ergebnisse machen hier die Runde. Die HD630-Grafik legt etwas zu und der höhere CPU-Takt bringt rund 10 Prozent mehr Performance, ansonsten hält sich der Geschwindigkeitszuwachs bei gleichem Takt mit vielleicht 1 Prozent mehr IPC ziemlich in Grenzen.

Im Umfeld anstehender Kaby-Lake-X-Systeme hörte man auch von neuen x200-Chipsätzen, von einem Sockel 2066 und von „Optane-Kompatibilität“. Komisch, da dachte man, die eigentlich noch für dieses Jahr versprochenen Optane-SSDs mit der neuen 3D-XPoint-Technik wären von Haus aus kompatibel mit NVMe und M.2 – und da braucht man jetzt speziellen Optane-Support? Kann man die SSDs dann nur auf Intel-Systemen betreiben?

Derweil sind erste Benchmarks von kleinen sogenannten System Acceleratoren mit 16 oder 32 GByte 3D-XPoint-Speicher „Optane memory 8000p“ mit Codenamen „ Stoney Beach“ aufgetaucht. Letztere kommen laut Benchlife auf 1,6 GByte/s beim Lesen und 500 MByte/s beim Schreiben. Schneller als aktuelle M.2-SSDs ist das jedenfalls nicht …

Taler, du musst wandern

Da dachte man ferner, der Dell/EMC-Zusammenschluss für etwa 67 Milliarden Dollar wäre die Spitze vom Taler-Berg, aber kaum ist der Deal endgültig abgeschlossen, da übertrumpft AT&T mit der verkündeten Übernahme von Time Warner diesen noch deutlich. Zu den geplanten 85 Milliarden Dollar Kaufpreis kommt überdies die Schuldenübernahme von 23 Milliarden hinzu, macht 108 Milliarden. Okay, den ominösen Vodafone/Mannesmann-Deal von 1999 toppt das noch lange nicht. Inzwischen wird sogar gemunkelt, Apple erwäge ein noch höheres Gegenangebot, auch Google wurden Ambitionen nachgesagt. Das sieht derzeit aber nicht nach solchen Kampfansagen aus. Vielleicht warten sie nur die Wahlen ab. Es heißt, dass nicht nur Donald Trump, sondern auch andere amerikanische Politiker die Übernahme kritisch sehen. Da muss man erst einmal schauen, wie die neue Regierung im Weißen Haus das handhaben wird.

Demgegenüber sind die 38,5 Milliarden US-Dollar plus 8,5 Milliarden Schulden ja fast Peanuts, die Qualcomm für die Übernahme von NXP bezahlen will. Immerhin wäre dies aber der größte Betrag, der jemals in der Halbleiterindustrie aufgebracht wurde. NXP hatte schon im Frühjahr den Bereich Standard-Halbleiter einschließlich der Werke in Manchester und Hamburg-Lockstedt für 2,75 Milliarden US-Dollar an chinesische Investoren verkauft. Aber dieser Deal ist noch nicht einmal in trockenen Tüchern – die neue Firma Nexperia wartet noch auf den offiziellen Startschuss im ersten Quartal 2017 –, da geht die einstige Mutterfirma bereits außer Landes. Von der alten NXP-Deutschland mit Standorten in Hamburg, Dresden, München und Stuttgart bleibt jedenfalls nicht viel über.

Qualcomms Next eXPerience

Apropos: Im vorletzten Geflüster hatte ich auf die illegale Asbest-Entsorgung bei der Abwicklung des NXP-Werkes in Böblingen-Hulb hingewiesen. Natürlich hatte NXP das nicht selbst untergebuddelt, sondern ein Abbruchunternehmen beauftragt, das dann für die unsachgemäße Entsorgung der asbesthaltigen Trümmer verantwortlich war.

Qualcomm mit seinen Zukäufen: demnächst die Nummer 3 in der Halbleiterindustrie

NXP hatte sich ja gerade erst im letzten Jahr Freescale einverleibt. Zusammen sind sie alle unter dem Qualcomm-Dach mit fast 30 Milliarden Dollar Jahresumsatz der drittgrößte Halbleiterkonzern auf dem Erdenrund, hinter den Giganten Intel und Samsung Semiconductor. Bei letzterer Firma muss man aber noch sehen, inwieweit Samsungs Halbleitersparte von dem auf 17 Milliarden US-Dollar Schaden geschätzten Galaxy-Desaster der Mutterfirma betroffen ist.

Qualcomm will jedenfalls den Kauf der europäischen Firma möglichst noch in diesem Jahr abschließen. In den USA dürfte das auf keine größeren Hürden bei den Behörden stoßen. Aber er muss auch von der EU-Kommission abgesegnet werden. Da sind allerdings noch zwei lästige Verfahren gegen Qualcomm wegen Dumpingpreisen und Wettbewerbsverzerrung anhängig.

Qualcomm schaut sich dennoch offenbar vor allem in Europa um und hat bereits im letzten Jahr die britische Firma CSR für 2,4 Milliarden Dollar aufgekauft. So „verschwinden“ zumindest besitzrechtlich immer mehr Firmen nach Japan, China und in die USA, und es verbleiben auf diesem unserem Kontinent von den Topfirmen noch Infineon und STMicroelectronics. Infineon konnte sich in der letzten Zeit gut behaupten, die Zuwächse lagen immer deutlich über dem Marktschnitt und so überholte die deutsche Firma im letzten Jahr erstmals ST, wenn auch ganz knapp.

Wie das diesjährige Rennen um Platz 1 in Europa nach dem geplanten Abgang von NXP zum amerikanischen IndyCar Race ausgehen wird, ist noch offen. Nach dem dritten Quartal steht aber Infineons „Mercedes“ mit umgerechnet 5,3 Milliarden Dollar auf der Pole Position vor STs „Ferrari-Renault“ mit 4,8 Milliarden. Und was ist nach dem ARM-Verkauf mit den Briten, wo die Traditionsrennställe Williams und McLaren zu Hause sind? Hier ist nicht mehr viel Ur-Britisches übrig. Zumindest gibt es noch den Apple-Zulieferer Dialog Semiconductor, dessen Aktienkurs sich passenderweise gerade im „Rallye-Modus“ befindet. Der wollte Anfang des Jahres eigentlich für 4,6 Milliarden Dollar die amerikanische Firma Atmel kaufen – wurde aber von Microchip ausgebootet. Mit 1,35 Milliarden Dollar Jahresumsatz kann er jedoch allenfalls in der Formel 4 starten. (as@ct.de)