c't 23/2016
S. 16
News
Galaxy-Note-7-Debakel
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Bild: iFixit / CC BY-NC-SA 3.0

Der Smartphone-GAU

Analyse zum Akkuproblem des Samsung Galaxy Note 7

Das Galaxy Note 7 ist Geschichte: Weil auch die Akkus von als sicher deklarierten Austauschgeräten in Brand gerieten, stellte Samsung die Produktion Anfang Oktober ein. Was ist bei dem Smartphone-Flaggschiff schiefgegangen?

Allein in den USA geriet in den ersten zwei Wochen nach dem Verkaufsstart Ende August bei rund 100 Exemplare des Note 7 der Akku in Brand; ihre Nutzer erlebten mit diesem „Thermal Runaway“ den Worst Case jedes Lithium-Ionen-Akkus. Er kann durch eine Vielzahl interner wie externer Faktoren hervorgerufen werden. Samsung selbst sprach nach Bekanntwerden der Vorfälle davon, dass sich Anode und Kathode in der Zelle berührt hätten – vulgo interner Kurzschluss.

Die Freisetzung der gespeicherten elektrischen Energie durch einen internen Kurzschluss führt zu starker Erwärmung. Ab einer gewissen Temperatur reagieren die Zellkomponenten chemisch miteinander, was zu noch mehr Hitze und weiteren chemischen Reaktionen führt. Dabei entsteht viel Gas; die Zelle bläht sich auf und platzt irgendwann – meist verbunden mit einem Entzünden des heißen Gas-Sauerstoff-Gemischs.

Note-Stromversorgung

Das Fehlerbild „überproportional viele Akkus gehen nach vergleichsweise kurzer Nutzungsdauer hoch“ lässt Fachleuten zufolge auf einen Fehler im Zell-Design schließen. Die Akku-Forscherin Bai-Xiang Xu von der TU Darmstadt vermutete im Gespräch mit c’t, dass Samsung gezielt einen zu dünnen Separator verwendet haben könnte oder dass er bei der Fertigung zu dünn geriet. Ein Separator trennt die beiden Elektroden elektrisch und erlaubt lediglich den Austausch von Lithium-Ionen durch den Elektrolyten hinweg. Wenn der Separator reißt oder anderweitig versagt, kommen die beiden Elektroden wie von Samsung geschildert in Kontakt.

Ein anderer Experte, der namentlich nicht genannt werden wollte, brachte einen weiteren möglichen Fertigungsfehler ins Gespräch. Wenn vor der Zellformatierung geschlampt wird, könnten Gasbläschen im Akku verbleiben. Lithium-Ionen kommen an diesen Bläschen nicht vorbei, sondern scheiden sich unplanmäßig an ihnen ab. Hat man erst einmal einen solchen Kristallisationskern, sammelt sich mit jedem Zyklus mehr Lithium daran an, sodass er wächst. Nach wenigen Zyklen kann dieser Lithium-Dendrit groß und spitz genug sein, um den Separator zu durchstoßen. Weil Lithium leitet, führt auch der Dendrit wiederum zu einem internen Kurzschluss.

Die Akkus der in Brand geratenen Note 7 stammten wohl von ITM, einem Zulieferer ohne eigene Zellfertigung. Er hat also das Akkupack nur aus Zelle und Ladeelektronik zusammengebaut. Die Zelle an sich kommt aus dem Samsung-Konzern selbst, nämlich von Samsung SDI. Samsung SDI ist einer der größten Akkuproduzenten weltweit mit (bis dato) einwandfreiem Renommee – was gegen einen dusseligen Fehler beim Zell-Design oder bei der Fertigung spricht.

Die Akkus des alternativen Zulieferers ATL – die klassische Second Source für diese Komponente – waren wohl hauptsächlich für Note-7-Exemplare vorgesehen, die in China verkauft werden sollten. ATL ist ebenfalls Konfektionierer, hat im Unterschied zu ITM aber auch eine eigene Zellfertigung. Berichte über brennende ATL-Akkus sind bislang keine bekannt.

Der US-Verbraucherschutz

Elliot Kaye, der Chef der US-Verbraucherschutzbehörde CPSC, brachte in einem Bloomberg-Interview eine andere potenzielle Ursache ins Spiel: zu hoher Druck auf den Akku. Details, wo, wann und wie der Druck auf den Akku gekommen ist, nannte er allerdings nicht, doch das wären die entscheidenden Informationen.

Grundsätzlich muss Druck nichts Schlechtes sein: Akkus für Elektroautos werden beispielsweise mit flächigem Druck auf den Zelllagenstapel verpresst verschweißt. Dadurch wird ein Ausdehnen der Lagen beim Laden vermieden, was ihrer Lebensdauer zugute kommt.

Kritisch ist hingegen punktueller Druck auf den Zellstapel oder seitlicher Druck gegen den Stapel: Dann können sich die Lagen gegeneinander verschieben oder gar reißen. Selbst punktueller Druck ohne Beschädigung hat Auswirkungen: An der Druckstelle liegen die Schichten minimal enger zusammen. Weil Strom sich den Weg des geringsten Widerstands sucht, wird diese Stelle mehr belastet als die Umgebung und erwärmt sich stärker. Ein lokaler Hotspot kann deshalb ebenfalls Ausgangspunkt für einen Thermal Runaway sein – vor allem bei anhaltender Smartphone-Nutzung oder beim Aufladen, wobei generell vermehrt Wärme entsteht.

Rückruf in zwei Akten

Samsung erklärte beim ersten Rückruf Anfang September, dass es „Unstimmigkeiten bei bestimmten Akkuzellen“ gegeben hätte. Danach habe „Samsung intensiv mit seinen Zulieferern zusammengearbeitet, um höchste Fertigungsqualität und beste Qualitätssicherungsprozesse sicherzustellen.“ Zudem sei Samsung „nach gründlicher Prüfung […] nun davon überzeugt, dass die Schwierigkeiten mit dem Akku bei den im Rahmen des Austauschprogramms für Kunden in Deutschland zur Verfügung gestellten neuen Note 7 vollständig behoben sind.“

Diese Aussagen klangen nach einem Fehler in der Fertigungskette, der leicht zu beseitigen war. Und in der Tat: Nach rund zwei Wochen hielten erste Kunden ihr Austauschgerät in Händen. Das war extrem schnell, wenn man bedenkt, dass Samsung den Fehler suchen und beheben, die Produktion wieder hochfahren und die Handys weltweit verschicken musste.

Dass ab sofort nur noch Akkus von ATL zum Einsatz kamen, wie manche Berichte behaupteten, erscheint unglaubwürdig: ATL war dem Vernehmen nach für rund 30 Prozent aller Note-7-Akkus zuständig – man kann die Produktion einer maßgefertigten Komponente nicht innerhalb so kurzer Zeit aufs Dreifache steigern.

Bereits wenige Tage, nachdem sich betroffene Kunden über ihre Austauschgeräte freuten, trat dann der GAU ein: Ende September gerieten auch mehrere dieser von Samsung als sicher deklarierten Exemplare in Brand. Ob es sich dabei um denselben Fehler handelt wie bei den ersten Exemplaren, ob Samsung von mehreren Fehlerursachen nur eine erkannt und behoben hat oder ob sich durch den Zeitdruck neue Fehler eingeschlichen haben, war ab diesem Zeitpunkt nur noch sekundär: Samsungs Qualitätssicherung hatte gepatzt und es war den Verantwortlichen bei der Austauschaktion nicht gelungen, den (oder die) Fehler restlos zu beseitigen. Damit blieb nur noch der finale Schritt: Das Note 7 wurde ersatzlos eingestampft.

Management-Hierarchien

Eventuell hat das ganze Debakel seinen eigentlichen Ursprung außerhalb der Technik genommen. Wie das Magazin Der Spiegel kürzlich darlegte, ist Samsung trotz seiner Größe im Grunde weiterhin ein patriarchisch geführtes Familienunternehmen mit strengen Hierarchieebenen. Möglicherweise haben überzogene Vorgaben des Managements zu Fehlern geführt.

Ein gängiges Gerücht lautet, dass das Galaxy Note 7 nicht nur unbedingt vor dem iPhone 7 Plus auf dem Markt sein sollte, sondern dass auf alle Fälle auch mehr Akkukapazität gefordert worden war. Ersteres hat womöglich für Zeitdruck gesorgt, denn Apples iPhone-Präsentationen finden seit Jahren Anfang September statt. Das Note 7 wurde denn auch rund einen Monat vor der Konkurrenz vorgestellt und einige Wochen früher verkauft.

Weil die Akkukapazität des iPhone 7 Plus aber ein gut gehütetes Geheimnis war, mussten die Entwickler womöglich eine utopische Vorgabe umsetzen oder sind weit über das Ziel hinausgeschossen: Der Akku des Galaxy Note 7 fasst 3500 mAh, der des iPhone 7 Plus nur 2900 mAh. Für seine Akkukapazität ist das Note 7 wiederum wohl nicht dick genug: Es misst 7,9 Millimeter und das iPhone 7,3 Millimeter. Je nachdem, welche Dicke man dem Display zuspricht und wie viel Toleranz man für eine andere Grundfläche, das Gehäuse und den Stiftschacht veranschlagt, landet man hochgerechnet bei 3100 bis 3300 mAh, die sich bei dieser Gehäusedicke gemäß den bei Apple geltenden Richtlinien unterbringen ließen.

Der von Bai-Xiang Xu vermutete dünnere Separator könnte ein Puzzle-Stein gewesen sein, um mehr Kapazität zu erreichen – was in Kombination mit dem von Elliot Kaye genannten zu hohen (punktuellen?) Druck auf den Akku womöglich fatale Folgen hatte. Oder aber die Fertigung wurde angesichts der anstehenden iPhone-Präsentation zu schnell hochgefahren, was auf Kosten der Qualität ging. Wie auch immer: Wenn sich Samsungs Entwickler und Qualitätssicherer in solch kritischen Fragen aufgrund der Hierarchie nicht getraut haben sollten, Vorgaben höherer Ebenen in Frage zu stellen, dann war das Projekt schon frühzeitig zum Scheitern verurteilt.

Auch hätte sich Samsung den ersten Rückruf sparen können: In der Kürze der Zeit kann man weder interne Komponenten verschieben noch die Gehäusedimensionen ändern oder geringere Akku-Kapazitäten einsetzen: Der Bauraum ist bereits bis zum Anschlag ausgenutzt; die für alle Änderungen notwendigen Zertifizierung brauchen Zeit; viele Details waren vorgegeben oder in Werbeunterlagen versprochen. Selbst der komplette Wechsel auf ATL-Akkus hätte nichts gebracht, denn diese müssten nach Spezifikation und Stand der Technik ja dieselben Abmessungen und denselben Aufbau haben. Dazu passt, dass auch das China-Note-7 mit ATL-Akku zurückgezogen wurde.

Laufende Untersuchungen

Samsung hat versprochen, das Debakel aufzuarbeiten und die Ergebnisse in einem Bericht zu veröffentlichen. „Wann die Untersuchungen abgeschlossen sein werden, können wir derzeit leider noch nicht absehen“, antwortete Samsung auf eine c’t-Anfrage kurz vor Redaktionsschluss. Offensichtlich ist die Aufklärung komplex: „Wir überprüfen jeden unserer Prozesse bezüglich Entwicklung, Herstellung und in der Qualitätskontrolle.“ (mue@ct.de)