c't 18/2016
S. 107
Hintergrund
Gefährliche Produkte im Online-Handel

Herzstillstand in der Badewanne

Gefährliches Handy-Netzteil analysiert

Im Februar überlebte ein Student knapp einen Stromschlag durch ein Handy-Netzteil. Eine Analyse des Geräts zeigt: Vermutlich sind viele weitere gefährliche Exemplare im Umlauf.

Am 9. Februar 2016 wollte ein 21-jähriger Student in der Wohnung seiner Eltern in Hagen ein Bad nehmen. Während er in der Wanne lag, stöpselte er sein iPhone ins Ladegerät.

Jeder hat als Kind gehört, dass elektrische Geräte in der Nähe der Badewanne nichts verloren haben. Kaum jemand würde zugeben, dass er diese Regel ignoriert. Doch die Realität sieht heute eher so aus: Viele junge Leute legen ihr Handy ungern länger als fünf Minuten aus der Hand. Und wenn der Akku leer ist, muss man ihn eben aufladen – ob im Wohnzimmer oder im Bad.

Eigentlich kann dabei auch nichts passieren: Netzteile reduzieren die 230 Volt Wechselspannung aus der Steckdose auf 5 Volt am USB-Ausgang. Diese Spannung ist selbst in der Badewanne harmlos.

Der Student aus Hagen allerdings bekam einen Stromschlag, den er nur mit Glück überlebte. Wie die Westfalenpost berichtet, hörte seine Mutter plötzlich ungewöhnliche Geräusche aus dem Bad. Sie ging hinein, rüttelte ihren bewusstlosen Sohn, bekam selbst einen Schlag, zog das Ladegerät aus der Steckdose und rief im Hausflur um Hilfe. Nachbarn hoben den Sohn aus der Wanne: Herzstillstand. Erst der Notarzt konnte ihn mit einem Defibrillator wiederbeleben. Acht Tage später wurde er aus dem Krankenhaus entlassen, zum Glück ohne bleibende Schäden.

Um die Ursache des Stromschlags festzustellen, gab die Familie das Ladegerät einem Elektro-Installateur. Der stöpselte wieder ein iPhone an das Netzteil und ermittelte mit einem Multimeter eine Wechselspannung von 100 Volt zwischen Handy-Gehäuse und Erde. Das Netzteil müsse also defekt sein, schlussfolgerte er.

Uns genügte diese Messung nicht: Multimeter zeigen oft bis zu 100 Volt Wechselspannung zwischen Gehäuse und Erde an, aber meistens ist das völlig ungefährlich. Die Spannung bricht beim Berühren zusammen; es kann kein nennenswerter Strom fließen. Wir wollten das Netzteil deshalb erneut untersuchen.

Die Familie des Studenten schickte es uns zu. Schon der erste Blick zeigte, dass es nicht hätte verkauft werden dürfen: Ein Herstellername ist nicht aufgedruckt.

Über die Modellnummer „S-100D“ fanden wir es im EU-Register für gefährliche Produkte (Rapex). Im Februar hatte Finnland einen Rückruf angeordnet: „Das Gerät kann Stromschläge verursachen, weil die Isolierung und die Luft- und Kriechstrecken nicht ausreichen.“ Laut Rapex wurde in anderen Ländern jedoch nichts unternommen.

Das Netzteil, das den Stromschlag verursachte

Wir sägten das Netzteil auf und fanden keine Hinweise auf einen Einzel-Defekt, zum Beispiel einen Sturzschaden. Im VDE-Prüfinstitut in Offenbach erkannte der Sicherheitsexperte Jürgen Ripperger auch ohne die Warnung aus Finnland sofort, dass die Kriech- und Luftstrecken zu klein sind. Bei hoher Luftfeuchtigkeit, zum Beispiel im Bad, könne die USB-Buchse deshalb Netzspannung führen, vermutete er.

Ein Test im VDE-Labor zeigte, dass das Netzteil auch ohne Feuchtigkeit gefährlich ist. Rippergers Kollege Sven Grünberg schaltete einen Widerstand an den USB-Ausgang und prüfte die Spannung mit seinem Oszilloskop gegenüber Erdpotential. Das Ergebnis brachte ihn aus der Fassung: „170 Volt effektiv. Das ist ja wirklich ein Hammer, das ist gefährlich ohne Ende“, entfuhr es dem Ingenieur.

Über Amazon bestellt

Wenn man nicht geerdet ist, stellen 170 Volt kein Problem dar. Gefährlich wird es, wenn eine Verbindung zum Erdpotential hergestellt wird. Im Haus sind üblicherweise Heizungsrohre, Wasserhähne und Badewannen aus Metall geerdet. Überwindet der Strom aufgrund der hohen Spannung den Widerstand des Körpers, hängen die gesundheitlichen Folgen vor allem von der Stromstärke ab. Wir haben das Netzteil deshalb auch an ein Spezialmessgerät angeschlossen (Gossen Secutest). Es zeigte 126 Volt und >25 Milliampere an und brach den Test ab, weil bereits diese Kombination lebensgefährlich ist.

Die VDE-Ingenieure vermuten, dass entweder der Übertrager (Trafo) des Netzteils fehlerhaft ist oder ein ungeeigneter Kondensator eingebaut wurde. Um diese Frage zu klären, müsste man die Leiterplatte zerstören; sie könnte dann nicht mehr als Beweismaterial dienen. Bislang laufen noch keine behördlichen Ermittlungen, weil der Student die Bestellbestätigung nicht mehr finden konnte. Er weiß nur noch, dass er es „2015 über einen Drittanbieter auf der Internet-Plattform Amazon gekauft“ hatte. Der zugehörige Amazon-Account existiere nicht mehr.

In der Gesamtbetrachtung legen unsere Ergebnisse und die Rapex-Warnung nahe, dass mindestens eine gesamte Charge des Netzteiles mangelhaft ist. Es ist also zu befürchten, dass viele weitere gefährliche Exemplare im Umlauf sind. (cwo@ct.de)