c't 14/2016
S. 18
Test
Augmented-Reality-Smartphone
Aufmacherbild
Das Tool „Tango Mapper“ erstellt automatisch ein 3D-Modell der Umgebung.

Kuck-Telefon

Lenovo PHAB2 Pro im Hands-on

Das erste Smartphone mit Googles Raum-Trackingtechnik Project Tango kommt im Herbst: Wir konnten das PHAB2 Pro schon antesten. Das Gerät beherrscht durchaus beeindruckende Kunststücke, die Frage ist aber: Wozu sind die eigentlich gut?

Auf den ersten Blick sieht das 6,4-Zoll-Smartphone nicht viel anders aus als andere Phablets – es ist mit 10,9 mm an der dicksten Stelle nur ein bisschen klobiger. Die allergrößte Besonderheit aber: Das Lenovo PHAB2 Pro ist das erste kommerzielle Smartphone mit Googles Raum-Tracking-Technik Tango. Bislang gab es die Technik nur in Entwicklergeräten. Das Lenovo PHAB2 Pro soll im September für 500 Euro in den Handel kommen.

Die Tango-Technik kann einerseits durch feine Sensoren Räume in 3D vermessen, andererseits virtuelle Objekte in das Livebild der Kamera einblenden (Augmented Reality). Statt einem einzelnen Kameraobjektiv findet man gleich fünf Öffnungen auf der Rückseite: Eine für die konventionelle Kamera, eine für den Time-of-Flight-Tiefensensor, eine für die Infrarot-Lichtquelle, eine für die Foto-LED und eine für die zusätzliche Weitwinkelkamera – letztere hilft dem Smartphone dabei, bei schnellen Kameraschwenks nicht den Faden beim Stitching zu verlieren.

Das Lenovo PHAB2 Pro sieht aus wie ein konventionelles Phablet; auffällig sind nur die vielen Kameraöffnungen auf der Rückseite.

Der Time-of-Flight-Sensor, das Herzstück des Project-Tango-Smartphone, wurde in Österreich und Deutschland entwickelt: Das Sensormodul IRS1645C (Markenname REAL3) von Infineon und der Siegener Sensor-Schmiede PMD Technologies schickt mit Laserdioden gepulstes Infrarotlicht in den Raum und kann mit seinem Time-of-Flight-Sensor für jeden Pixel den Abstand ermitteln. Das Modul erreicht eine Auflösung von 224 × 172 Pixeln und gibt neben einer Tiefenkarte parallel auch ein Helligkeitsbild (schwarz-weiß) aus.

Video: Die Time-of-Flight-Kamera des Lenovo PHAB Pro

Ansonsten steckt im PHAB2 Pro Hausmannskost: ein 6,4 Zoll großes LC-Display mit 2560 × 1440 Pixeln, der Qualcomm Snapdragon 652 mit 4 GByte RAM und 64 GByte interner Speicher. In den Kombi-Slot passen entweder zwei SIM-Karten oder eine SIM und eine MicroSD-Karte. Der Akku fasst 4050 mAh, als Betriebssystem kommt Android 6.0 (Marshmallow) zum Einsatz.

Das Betriebssystem ist nicht speziell an das PHAB2 angepasst, denn Android 6.0 unterstützt Project Tango nativ. Die Tango-Demoanwendungen, die wir ausprobieren konnten, waren durchaus beeindruckend. Unter anderem gab es mit „Domino World“ eine nette Augmented-Reality-Demo, in der man Dominosteine perspektivisch korrekt und mit Schattenwurf auf Objekten im Raum platzieren konnte (siehe Video). Das Ganze klappte deutlich flüssiger und vor allem stabiler als mit konventionellen Augmented-Reality-Apps, die ausschließlich das RGB-Kamerabild auswerten. Wie viel Potenzial noch in Project Tango steckt, zeigte auch das bordeigene Tool „Tango Mapper“: Bewegt man sich mit dem Smartphone im Raum, wird nach und nach ein ziemlich ordentliches 3D-Modell des Zimmers aufgebaut. Trotz hübscher Demos: Eine Killer-Anwendung für Project Tango zeichnet sich bislang nicht ab – weshalb auch zwangsläufig die Frage im Raum steht: Wozu braucht man das als Normal-Anwender eigentlich? Für mehr als Freunde und Bekannte zu beeindrucken vermutlich erst mal nicht. Denkbar wären zwar zum Beispiel Indoor-Navigationsanwendungen in komplizierten Umgebungen wie Flughäfen; doch lohnt sich die Entwicklung solcher Systeme erst, wenn genug Menschen ein Tango-Telefon in der Hosentasche haben – das klassische Henne-Ei-Problem.

Richtig interessant könnte Tango für Virtual Reality werden. Bisherige VR-Headsets benötigen externe Kameras oder Sensoren fürs Positionstracking, mit Project Tango könnte das Tracking komplett im Headset ablaufen – der Fachbegriff dafür lautet „Inside-Out-Tracking“. Google hat mit Daydream ja bereits ein neues VR-System angekündigt und auch schon angedeutet, dass man sehr eng mit den Tango-Entwicklern zusammenarbeite. (jkj@ct.de)