c't 12/2016
S. 16
News
WLAN-Störerhaftung

Bleibt die Abmahngefahr?

Was die Abschaffung der Störerhaftung bedeutet

Die große Koalition hat sich überraschend dazu entschlossen, die Störerhaftung abzuschaffen. Das Gesetzesvorhaben hat aber eine entscheidende Lücke, weshalb die Gefahr für WLAN-Hotspot-Betreiber noch lange nicht gebannt ist.

Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, freute sich in der Tagesschau über den beschlossenen Wegfall der Störerhaftung: „Das bringt erst einmal einen riesigen Innovationsschub für Deutschland, wir werden mehr offene WLAN-Netze haben“. Unabhängige Experten hingegen teilten diese Euphorie nicht. Sie warnten, man müsse erst einmal genau hinsehen, was letztlich im Gesetz stehen wird. Ist die Störerhaftung nun also bald Geschichte, oder gibt es weiterhin rechtliche Risiken?

Freifunker bauen auf einem Hausdach in Berlin einen öffentlichen WLAN-Netzknoten auf. Bild: Boris Niehaus (JUST), CC BY-SA 3.0

Zum Kasten: Störerhaftung umgehen

Den Begriff der Störerhaftung kennt das deutsche Recht in zahlreichen Variationen: Wer dadurch „gestört“ wird, dass eines seiner Rechte verletzt wird, der kann unter bestimmten Voraussetzungen von allen dafür Verantwortlichen verlangen, ihre Mitwirkung an der Rechtsverletzung zu unterlassen. Wenn beispielsweise über ein WLAN Urheberrechte verletzt werden – etwa weil eine urheberrechtlich geschützte Datei unerlaubt im Netz angeboten wird – dann kann der Inhaber des Rechts von allen Mitwirkenden, den sogenannten „Mitstörern“ verlangen, dass sie künftig keinen Beitrag mehr zu der Rechtsverletzung leisten.

Teure Abmahnungen

Das Gäste-WLAN der Fritzbox zeigt optional eine Vorschaltseite. Vor Abmahnungen schützt das aber nicht.

Schon das Anbieten des WLAN-Zugangs zum Internet sehen Gerichte mitunter als „Mitstörung“ an: Rechteinhaber können dann gegen WLAN-Betreiber einen Unterlassungs-Anspruch geltend machen, an zukünftigen Verletzungen des Urheberrechts nicht mehr mitzuwirken. Ein solcher Unterlassungs-Anspruch wiederum ist die Grundlage für teure Abmahnungen von Anwälten der Rechteinhaber – die letztlich vor allem kostenpflichtige Aufforderungen sind, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen.

Denkbar wäre aber, dass sich WLAN-Betreiber auf das sogenannte „Provider-Privileg“ des Telemediengesetzes (TMG) berufen können. Das regelt in § 8 Absatz 1, dass „Diensteanbieter“, also Zugangs-Provider, die Informationen lediglich durchleiten, für diese Informationen im Prinzip nicht verantwortlich gemacht werden können. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese Haftungsbeschränkung für Provider in seinem Urteil „Sommer unseres Lebens“ (Az. I ZR 121/08) von 2010 aber völlig ignoriert. Dies führt zu einer doppelten Rechtsunsicherheit: Zum einen ist seither unklar, ob WLAN-Betreiber als „Diensteanbieter“ im Sinne des § 8 TMG anzusehen sind, zum anderen, ob die Haftungs-Freistellung des § 8 TMG auch Ansprüche auf Unterlassung erfasst und so vor Abmahnungen schützt.

Zwei Knackpunkte

Diese beiden Knackpunkte identifizierte der Verein „Digitale Gesellschaft“ (Digiges), der sich für Bürgerrechte und Verbraucherschutz im digitalen Raum einsetzt, schon 2012 und legte einen Gesetzentwurf vor, der beide Rechtsfragen klären sollte. Eine sehr ähnliche Position vertreten auch die Bundesländer: Der Bundesrat beschloss im November 2015 einen Gesetzesvorschlag, der inhaltlich dem Digiges-Text von 2012 entspricht – mit den Stimmen fast aller Bundesländer.

Die Bundesregierung hingegen tat sich schwer mit der Abschaffung der Störerhaftung. Jahrelang legte sie keinen eigenen Gesetzentwurf vor, mochte sich aber auch nicht mit dem Digiges-Vorschlag anfreunden. Erst 2015 präsentierte das Wirtschaftsministerium einen Entwurf, der die Lage aber noch verschlimmert hätte: Das Haus von Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) wollte Betreiber von WLANs verpflichten, ihre Netze zu verschlüsseln und Vorschaltseiten einzurichten. Gegen diese Vorschläge liefen nicht nur Internet-Aktivisten Sturm. Auch die Experten bei der Anhörung im Bundestag waren sich einig, dass die geplanten Schikanen für offene WLANs nicht nur wirkungslos wären, sondern auch gegen europäisches Recht verstießen.

Vor wenigen Wochen kam nun wieder Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen: Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), eine Art rechtlicher Berater des Gerichts, äußerte sich im Verfahren um eine Abmahnung gegen einen bayerischen Tontechniker. Nach seinem Gutachten verstößt die deutsche Praxis der teuren Abmahnungen gegen europäisches Recht, ebenso die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Schikanen. Lediglich gerichtliche Anordnungen gegen Access-Provider, den Zugang zu bestimmten Inhalten zu sperren, müssten weiter möglich sein – aber auf Kosten der Antragsteller, nicht der WLAN-Provider.

Zwar hat der EuGH bisher nicht endgültig entschieden, oft aber folgt er dem Votum der Generalanwälte. Angesichts des nahenden Debakels in Luxemburg sprach daher die Bundeskanzlerin Anfang Mai ein Machtwort, am 11. Mai verkündeten Netzpolitiker beider Koalitions-Fraktionen eine Einigung zur „Abschaffung der Störerhaftung“.

Ob mit dem geplanten Gesetz nun alles gut wird für WLAN-Betreiber, hängt aber weiter davon ab, wie dessen genauer Text lautet, und der war bis Redaktionsschluss nicht bekannt. Vertreter der großen Koalition gaben gegenüber c’t und Netzpolitik.org aber Auskunft über ihr Vorhaben. Demnach scheint das Geschäft der Abmahn-Industrie noch lange nicht am Ende zu sein. Grundlage des Abmahnwesens ist wie zuvor beschrieben eine doppelte Rechts-Unsicherheit. Das geplante Gesetz würde aber nur das zweite Problem lösen: § 8 Absatz 3 TMG soll künftig klarstellen, dass auch WLAN-Betreiber als Diensteanbieter anzusehen sind. Ob § 8 TMG für Unterlassungs-Ansprüche gilt, lassen die Koalitionäre jedoch weiter ungeregelt. SPD-Kreise äußerten gegenüber c’t, bei den Unterlassungsansprüchen müsse man abwarten, wie die Gerichte entscheiden.

Abmahnungen könnten weitergehen

Warum aber mag die Große Koalition Unterlassungs-Ansprüche nicht eindeutig ausschließen? Vermutlich hat die Union, die in der Diskussion um die Störerhaftung die Interessen der Rechteinhaber vertreten hat, eine wasserdichte Lösung blockiert. Den SPD-Netzpolitikern bleibt so nur, eine halbherzige Regelung als Durchbruch in Sachen Störerhaftung zu verkaufen.

Wie das Haftungsrisiko für WLAN-Betreiber in Zukunft einzuschätzen ist, hängt davon ab, wie die Gerichte mit der Neuregelung umgehen werden. WLAN-Betreiber können nur hoffen, dass sich die Auffassung durchsetzen wird, dass schon das Europarecht Abmahnungen ausschließt.

Doch selbst wenn die Gerichte in Zukunft Unterlassungs-Ansprüche gegen WLAN-Betreiber ablehnen sollten, wären damit nicht alle Risiken vom Tisch. Denn neben Abmahnungen müssen Provider auch mögliche strafrechtliche Ermittlungen in den Blick nehmen: Werden über ein WLAN Straftaten begangen, so erscheint als Absender die IP-Adresse des Routers. Wenn sich diese einer Person als Anschluss-Inhaber zuordnen lässt, droht dieser Unheil. Den Daten des Anschlussinhabers ist meist nicht anzumerken, dass es sich um einen Anschluss handelt, der von einem unbestimmten Personenkreis (nämlich allen Nutzern des WLANs) genutzt wird. Daher liegt bei schweren Straftaten aus Sicht der Polizei die Idee nahe, einen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen.

WLAN noch nicht öffnen

Deshalb ist es derzeit noch zu früh für sorgloses Teilen des eigenen WLANs. Ob das Abmahn-Geschäft mit der geplanten halbherzigen TMG-Novelle wirklich ein Ende findet, bleibt abzuwarten. Und spätestens die Möglichkeit strafrechtlicher Ermittlungen macht das unkontrollierte Öffnen von WLANs auch in Zukunft zu einem unkalkulierbaren Risiko – jedenfalls für private Betreiber.

Gewerbetreibende können das Risiko strafrechtlicher Ermittlungen immerhin begrenzen: Sie sollten darauf achten, dass sich aus den beim Provider gespeicherten Bestandsdaten des Internet-Anschlusses eindeutig ergibt, dass man es hier mit einem öffentlichen Ort zu tun hat. Beispielsweise könnte der Betreiber einer Eisdiele versuchen, beim Provider „Gelateria Venezia“ statt seinen eigenen Namen als Anschlussinhaber eintragen zu lassen. Dann besteht immerhin die Hoffnung, dass Polizei und Staatsanwaltschaft erkennen, dass die Ermittlung des Anschlussinhabers im konkreten Fall wohl nicht weiter führt, und auf eine Durchsuchung verzichten. Auch die Gerichte sollten vermehrt darauf achten, ob eine Provider-Konstellation vorliegt, und in einem solchen Fall einen Durchsuchungsbeschluss ablehnen. Hängt an einem Internet-Anschluss ein öffentliches WLAN, so ist von vornherein nicht zu erwarten, dass eine Durchsuchung beim WLAN-Betreiber Hinweise auf einzelne frühere Nutzer erbringt – eine Durchsuchung ist in diesem Fall wohl unverhältnismäßig. (uma@ct.de)