c't 11/2016
S. 16
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In ihrem nachdenklichen Vortrag „Raster des Hasses“ legte sich die Journalistin Carolin Emcke fest: „Der Online-Hass wird gezüchtet.“ Foto: re:publica/Gregor Fischer CC BY 2.0

„Liebe organisieren“

Die zehnte re:publica stand im Zeichen von Hass im Netz, Snapchat und VR

Um dem Hass im Netz wirksam begegnen zu können, muss man dieses Phänomen gut verstehen. Die Veranstalter der Berliner Netzkonferenz re:publica trafen mit diesem Thema den Zeitgeist – 8000 Besucher sprengten den Publikumsrekord.

Carolin Emcke weiß, wovon sie spricht, wenn sie von Hass spricht. Als Krisenreporterin war sie für den Spiegel in Afghanistan, Irak und dem Kosovo unterwegs. Ihr essayistischer Vortrag „Raster des Hasses“ war eines der Highlights auf der 10. Netzkonferenz re:publica, die vom 2. bis 5. Mai in Berlin stattfand.

Die Journalistin Emcke näherte sich dem Thema zwar analytisch. Spätestens aber, als sie Bilder von der Blockade eines Busses mit ankommenden Geflüchteten in Clausnitz einspielte, wurde es emotional. Betretene Stille herrschte nun in Stage 1, dem traditionell größten Veranstaltungsort auf der re:publica: „Was sehen sie, die, die da draußen stehen und brüllen?“, fragte Emcke, um die Antwort gleich selbst zu geben: „Sie schauen auf verängstigte Menschen und sehen weder Angst noch Menschen.“

Emcke beschrieb am Beispiel des Vorfalls von Clausnitz, wie der Hass gegen Flüchtlinge auf Facebook, aber auch in Talkshows oder in den Printmedien befördert wird. Sie zeigte und kritisierte die „bewusste Engführung“ der Debatte. Hass sei nichts Natürliches, sondern werde gesteuert und gezüchtet.

Zu beobachten sei beispielsweise, wie in Facebook-Diskussionen von Meinungsführern die Geflüchteten als Individuen „unsichtbar“ gemacht würden, um ihnen stattdessen als gefährliches „Andere“-Kollektiv nur gefährliche Eigenschaften zuzuschreiben. Emcke plädierte dafür, dem Hass entgegenzutreten, indem man bei den Hassenden Selbstzweifel erzeugt. Das sei durch nicht nachlassendes Differenzieren beim Diskutieren möglich.

Dieser Ansatz geht der Journalistin und Netzaktivistin Kübra Gümüşay nicht weit genug. Unter Tränen berichtete die gebürtige Hamburgerin davon, wie ihr der Hass im Netz entgegenschlägt, weil sie in Deutschland als Muslima lebt. Sie sei verängstigt und zermürbt: „Ich habe keine Lust mehr, ständig meine Existenz rechtfertigen zu müssen, ständig in Foren erklären zu müssen, dass Muslime auch Menschen sind und liberal sein können!“

Journalistin Kübra Gümüşay unter Tränen: „Ich habe keine Lust mehr, ständig meine Existenz rechtfertigen zu müssen!“ Foto: re:publica/Gregor Fischer CC BY 2.0

Gümüşay ist sich sicher, dass es einer konzertierten Aktion gegen den Hass im Netz bedarf: „Wir müssen Liebe organisieren, denn Hass ist real und organisiert.“ Mit dem Twitter-Hashtag #organisierteliebe sollen die Kommentarspalten gestürmt und der Hass demontiert werden. Gümüşay erntete minutenlange Standing Ovations – auch bei vielen im Publikum schimmerten inzwischen Tränen in den Augen.

Nachdenklicher Klassensprecher

Um den Hass ging es auch in der alljährlichen Rede an die Netzbewohner von Sascha Lobo. Den Geist der ersten re:publica-Konferenzen, Gegenöffentlichkeiten im Netz herzustellen, hätten nun andere übernommen. „Österreich hat gezeigt, dass soziale Medien wahlentscheidend sein können“, erklärte Lobo. Für Deutschland sieht der Blogger eine düstere Zukunft – so verwies er darauf, dass die AfD auf Facebook mehr Anhänger habe als die Regierungsparteien zusammen. „Und diese Leute haben in den sozialen Medien, über die wir uns definiert haben, heute die Diskurshoheit.“

Als Gegenentwurf zum Scheitern vieler Visionen präsentierte Lobo einen „trotzigen Netzhumanismus“, der angesichts der dystopischen Aussichten einfach „trotzdem“ sage und weiterhin optimistisch an die Gesellschaft herangehe. Seinen Zuhörer empfiehlt Lobo, der nach eigenen Angaben pro Jahr 60 bis 80 gut bezahlte Vorträge hält, statt purem Aktivismus mehr wirtschaftliche Betätigung.

Lobo kam nachdenklicher und weniger witzig daher als in den vorvergangenen Jahren (nur im letzten Jahr fehlte der „Klassensprecher“). Einen Seitenhieb zum Hype um den Messaging-Dienst Snapchat auf der re:publica konnte er sich nicht verkneifen: „Wir waren diejenigen, die noch viel früher als alle anderen Snapchat nicht verstanden haben.“

Damit traf Lobo einen wunden Punkt der sich bisweilen schon arg selbstbeweihräuchernden „Netzgemeinde“: Es war unverkennbar, dass viele der rund 8000 Besucher mit der re:publica mitgealtert sind. Jahre, nachdem Snapchat unter Jugendlichen beliebt wurde, will nun jeder wissen, wie der Dienst funktioniert und wie man darüber die Jugend erreichen kann – also, wie sich damit Geld verdienen lässt.

Deshalb spielten sich auf der re:publica bizarre Szenen ab: In einem völlig überfüllten Panel hingen Anzugträger an den Lippen eines 15-Jährigen, der lediglich per Video aus Hamburg zugeschaltet war. Joshua Arntzen erklärte, wie er und seine Freunde Snapchat nutzen. Außerdem musste er Fragen der vermeintlichen Netz-Avantgarde wie diese beantworten: „Jetzt ist Snapchat noch cool, wie lange noch ungefähr?“

Topthema Virtual Reality: Das ZDF packte an seinem re:publica-Stand Oculus-Brillen in Masken und ließ die Leute ganz schön doof aussehen. Foto: Torsten Kleinz

Ähnlichen Fragen sah sich auch c’t-Redaktionskollege Jan-Keno Janssen gegenübergestellt. Er zeigte auf einem Panel, was sich mit VR-Brillen derzeit alles anstellen lässt. Virtual und Augmented Reality bildete einen Themenschwerpunkt und beflügelte neben Snapchat die Fantasie der Marketing-Leute auf der re:publica.

Im Bett mit dem Zensor?

Für heftige Kontroversen im Publikum sorgten die re:publica-Macher, weil sie sich den Erzfeind der Online-Medien als offiziellen Partner ins Haus holten: Das Kölner Unternehmen Eyeo trat nicht nur als Sponsor auf, sondern stellte überdies auf einer eingekauften Bühne seine Kooperation mit dem Micropayment-Dienst Flattr vor (siehe Seite 40). Eyeo entwickelt und vertreibt den erfolgreichsten Browser-Werbeblocker AdBlock Plus.

Alphablogger Sascha Pallenberg kritisierte im Nachgang die re:publica-Verantwortlichen für die Kooperation mit Eyeo scharf: „Liebe re:publica. Du hast deine Ideale an einen Zensor verkauft. Du prostituierst dich fuer einen Gatekeeper, der eine heterogene Publishing-Landschaft zerstört. Der ehemals unabhängige, kleine, aber sehr relevante Blogs zum Aufgeben zwingt, weil ihnen die Einnahmen komplett wegbrechen. Wusstest du das alles nicht oder war dir das der Sack Silbermünzen wirklich wert?“ Eine Antwort hat Pallenberg nicht erhalten. (hob@ct.de)