c't 11/2016
S. 76
Hintergrund
Obsoleszenz
Aufmacherbild
Elektroschrott in einer Recycling-Anlage in Lünen bei Dortmund

Lebensverlängernde Maßnahmen

Was die Politik gegen Obsoleszenz tun könnte

Die Nutzungsdauer vieler Produkte sinkt. Vorschläge für Gegenmaßnahmen liegen auf dem Tisch. Einige davon sind überraschend leicht umsetzbar, wenn die Politik nur will.

Obsoleszenz bewegt die Verbraucher. Schließlich hat sich fast jeder schon einmal über einen Toaster oder Mixer geärgert, der kurz nach Ende der Garantiezeit den Geist aufgegeben hat. Oder über ein Smartphone, das nach ein paar Jahren unzumutbar ruckelte. Seit Kurzem gibt es eine wissenschaftliche Bestätigung für solche Erfahrungen: Elektrogeräte werden in Deutschland tatsächlich immer kürzer genutzt, lautet ein zentrales Ergebnis einer großen Obsoleszenz-Studie des Umweltbundesamts (UBA).

Die UBA-Studie wird in den Medien und im Netz intensiv diskutiert, auch im c’t-Forum. Die Debatte dreht sich allerdings hauptsächlich um die Frage, ob die Industrie allein verantwortlich ist für den Negativtrend oder die Verbraucher eine Mitschuld tragen. Weniger im Fokus stehen die zahlreichen Vorschläge für Gegenmaßnahmen. Das könnte dazu führen, dass die Politik sich nicht ernsthaft mit ihnen auseinandersetzen muss – und die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema ergebnislos verebbt.

Beweislast und Garantie

Am wirksamsten wären Maßnahmen, die nicht nur für einzelne Produktkategorien gelten, sondern übergreifend. Ein Vorschlag dieser Sorte kommt von der EU-Kommission: Sie will, dass die Beweislastumkehr im Rahmen der Gewährleistung bei Online-Käufen in allen EU-Ländern stets nach zwei Jahren erfolgt. Bislang wechselt die Beweislast in fast allen Mitgliedsstaaten inklusive Deutschland schon nach sechs Monaten. Das heißt: Wenn ein Smartphone sieben Monate nach dem Kauf kaputtgeht, der Verkäufer aber behauptet, der Kunde habe das Gerät nicht sachgemäß genutzt, hat der Kunde praktisch keine Chance auf kostenlose Reparatur oder Ersatz.

Die EU-Kommission hofft in erster Linie, dass eine einheitliche Beweislastumkehr nach zwei Jahren den grenzüberschreitenden Handel fördert. Aber die Regel würde auch das Geschäft mit Billigprodukten vermiesen, die kaum ein Jahr durchhalten – und auf diese Weise auch den Obsoleszenz-Trend bekämpfen. Allerdings haben sich nicht nur Lobbyverbände, sondern auch die Mitgliedsstaaten gegen den Vorschlag ausgesprochen.

Ein weiterer produktübergreifender Vorschlag kommt von Umweltrechtlern der Universität Münster: Sie empfehlen, § 443 BGB um eine „Garantieaussagepflicht“ zu erweitern. Soll heißen: Die Hersteller müssen eine Aussage über die von ihnen garantierte Produktlebensdauer treffen. Geben sie einen Zeitraum größer als null an, hat der Käufer währenddessen das Recht auf kostenlose Reparatur oder Austausch. Geben sie einen Zeitraum von null an, handelt es sich lediglich um eine Information, die dem Käufer die Entscheidung erleichtert – er weiß, dass das Produkt wahrscheinlich nicht besonders langlebig ist. Nach dem gleichen Muster könnten Hersteller verpflichtet werden, einen Zeitraum für die Ersatzteilversorgung anzugeben.

Das Bestechende an dem Vorschlag: Viele Hersteller bieten bereits freiwillig eine Garantie, für sie würde sich wenig ändern. Und auch in die Handlungsfreiheit der anderen Hersteller würde nicht zu stark eingegriffen, weil sie auf die Nullaussage ausweichen könnten. Auf die politische Agenda hat die Idee es aber noch nicht geschafft.

Produktspezifische Regeln

Die UBA-Studie nennt über ein Dutzend weitere Vorschläge. Am wichtigsten ist den Autoren die Entwicklung von Mindestanforderungen an die Qualität und Haltbarkeit von Produkten und Komponenten. „Man muss den Markt quasi am unteren Ende abschneiden und damit verhindern, dass qualitativ minderwertige Geräte überhaupt in den Handel kommen“, erklärt Siddharth Prakash, Co-Autor der Studie.

Zum Kasten: EU-Maßnahmen

Allerdings ist der Aufwand hoch: Für viele Produkte muss die EU von Komiteen wie Cenelec maßgeschneiderte Normen entwickeln lassen. Und die Labortests bei Herstellern und Überwachungsbehörden müssten letztlich die Kunden bezahlen. In den letzten Jahren hat die EU nur für zwei Produktkategorien konkrete Haltbarkeits-Anforderungen zustande gebracht: für Staubsauger und Lampen. Für Notebooks gelten lediglich Informationspflichten, die sich auf die Haltbarkeit beziehen (siehe Kasten).

Empfehlungen von Umweltexperten für die nächste Welle von Ökodesign-Anforderungen liegen schon seit Herbst 2014 vor. Auf der Liste stehen unter anderem Smartphones, Haartrockner, Wasserkocher und Toaster. Für Smartphones empfehlen die Forscher zum Beispiel eine Pflicht für einfach entnehmbare Akkus und die Versorgung mit Sicherheits-Updates.

Eigentlich wollte die Kommission schon im Herbst 2015 verraten, welche der Empfehlungen sie übernimmt, doch bislang ist nichts bekannt. „Die Kommission nimmt sich Zeit für eine gründliche Analyse“, erklärte ein Sprecher. In Brüssel kursiert eine andere Theorie: Die Kommission warte bloß die Brexit-Abstimmung ab. Sie wolle verhindern, dass britische Boulevardzeitungen strengere Regeln für Toaster und Wasserkocher für eine Anti-EU-Kampagne ausnutzen. (cwo@ct.de)