c't 1/2016
S. 64
Reportage
Produktion des Fairphone
Aufmacherbild
Bilder: Jonathan Browning/c’t

Mehr Fairness am Fließband

Wie Fairphone die Arbeitsbedingungen in China verbessern will

In China treffen die Idealisten von Fairphone auf die Realität der Elektronik-Fertigung: monotone Fließbandarbeit, extreme Arbeitszeiten, ständiger Termindruck. Um dagegen anzukämpfen, braucht das Start-up die Hilfe seiner Kunden.

Hi-P fertigt die Kunststoff-Komponenten des Fairphone im Spritzgussverfahren.
Eine Arbeiterin kontrolliert das Gehäuse des Kamera-Moduls und schneidet überstehenden Kunststoff weg.

Die Fairphone-Mitarbeiterin Mulan Mu steht unter Druck. Es ist Ende November, eigentlich sollte die Produktion beim Auftragsfertiger Hi-P längst angelaufen sein. Doch zwei Mal musste Mulan den Start verschieben, weil Zulieferer fehlerhafte Teile geschickt hatten. Jetzt muss sie sich entscheiden: Soll Hi-P die Verzögerung wettmachen durch Überstunden, Leiharbeiter, höhere Produktivität? Oder sollen die Kollegen die Kunden informieren, dass sie ihr Smartphone erst nach Weihnachten erhalten?

Das Fairphone-Mainboard wird komplett automatisch bestückt, …

Entscheidungen wie diese muss Mulan ständig treffen. Einerseits will sie die Arbeitsbedingungen verbessern, Termindruck und Überstunden vermeiden. Andererseits muss sie dafür sorgen, dass das Fairphone 2 endlich fertig wird.

… die Qualitätskontrolle erfordert aber höchste Konzentration.

Um die Entwicklung zu finanzieren, hat Fairphone einen Kredit aufgenommen. Um die Komponenten zu bestellen, wurden rund 17 000 Exemplare vorab verkauft, für 529 Euro pro Stück. Scheitert die Produktion, ist Fairphone insolvent.

Mulan Mu, 30, vertritt Fairphone in China, beobachtet die Arbeitsbedingungen und kümmert sich um den „Worker Welfare Fund“. Bilder: Jonathan Browning/c’t
Die Fairphone-Montagelinie: Rund 60 Arbeiter setzen die Geräte zusammen.

Mulan vertritt das Start-up in China und ist die einzige Mitarbeiterin, die Mandarin spricht. Jeden Tag fährt sie zur Hi-P-Fabrik in Suzhou nahe Shanghai, organisiert die Produktion, beobachtet die Arbeitsbedingungen, hält Kontakt zum Management und zu den jungen Wanderarbeitern am Fließband. Die Zentrale in Amsterdam verlässt sich auf ihre Empfehlungen.

Vier bis fünf Handgriffe, dann kommt das nächste Teil.

Nun führt Mulan uns durch die Fabrik. In einer kaum beleuchteten Halle im Erdgeschoss reihen sich Dutzende Spritzgussmaschinen aneinander. Arbeiter nehmen die Teile aus den Maschinen, kontrollieren sie, glätten hier und da Kanten mit einem Messer.

Verständnis für verkratzte Rückseiten

Jedes einzelne Display-Modul wird sofort getestet.

Die Rückseite des Telefons müsste normalerweise sprühlackiert werden. Doch Fairphone hat sich dagegen entschieden. Die Arbeiter sollen mit so wenig gesundheitsgefährdenden Stoffen in Berührung kommen wie möglich. Der Nachteil: Die unlackierten Rückseiten verkratzen schnell. „Doch unsere Kunden haben dafür Verständnis, wenn wir die Gründe erläutern“, sagt Mulan.

Sie ist in Taiwan aufgewachsen und hat in den USA Nachhaltigkeits-Management studiert. In ihrem ersten Job organisierte sie für einen Spielzeughersteller die Produktion. Ihre Kunden, große US-Handelsketten, verlangten stets saubere Arbeitsbedingungen, ließen in den Margen aber keinen Spielraum dafür. „Deshalb schummelten die Fabriken oft bei den Untersuchungen.“ Auch Mulans Versuch, eine Spielzeug-Linie mit Öko-Textilien aufzulegen, scheiterte. Das Material war den Kunden zu teuer.

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