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Was war. Was wird.

Informationsfreiheit ist die Voraussetzung von Meinungsfreiheit - über die heute kaum noch jemand redet. Wogegen das Internet aber nicht das vielgerühmte Allheilmittel darstellt, meint Hal Faber.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** 's ist Krieg, 's ist Krieg: Halten wir noch einmal inne, bevor wir uns wieder dem alltäglichen Zynismus der Welt im Großen und den moralischen sowie inhaltlichen Verwerfungen dieser unserer Branche im Kleinen zuwenden. Einen Monat war "911" am Donnerstag her, einen Monat seit "Ground Zero" in Manhattan. Nun greifen die USA Afghanistan an; gleichzeitig breitet sich die Milzbrand-Angst und wohl auch die Milzbrand-Hysterie aus. Nicht nur die Außenpolitik Deutschlands folgt dem inzwischen abgedroschenen, und in der Klage über eben dies noch abgedroschener wirkenden Spruch, nichts sei nach dem 11. September wie zuvor. Aber was für die Außen-, mag auch für die Innenpolitik gelten. Schily empfiehlt klare Linien gegen "krause Gedanken", wie er alles, was seinem Verständnis von innerer Sicherheit widerspricht, gerne tituliert. Das Etikett krause Gedanken mag für unser aller Otto inzwischen wohl auch auf Informationsfreiheit, Datenschutz und Privatsphäre passen. "We can make a difference", meinte ein schwarzes Kid auf den Stufen des Capitol bei einer Friedensveranstaltung am 11. 10. Dies sollte uns eher innehalten lassen als die Horrorszenarien des Innenministers, der nach dem vor Jahren erledigten Übertritt von den Grünen zur SPD wohl gerade die finale Vereinigung mit seinen neuen Busenfreunden Beckstein und Merz vorbereitet.

*** "Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, daß er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt." Rilkes Panther mag ein Sinnbild auch für diese Zeit sein, nicht nur weil "der Verleger", wie Axel Cäsar in der filmischen Hagiografie Springers in der ARD dieser Woche nur hieß, sich allzu gern und plakativ auf das Gedicht bezog. Keine Welt hinter tausend Stäben scheint es zu geben, wenn nicht einmal mehr für Meinungsfreiheit oder gar das Recht auf öffentliches Gehör gestritten werden muss, sondern allein schon für die Informationsfreiheit. Aber gerade nach 911 gilt, dass es ohne Information auch keine Meinung gibt, die sich zu äußern lohnte. Ob das Internet Informationen liefert über das hinaus, was in den normalen Medien zu erfahren ist, sei dahingestellt. Jedenfalls liefert es mehr Daten. Es liegt nicht nur an den Nutzern, daraus Informationen zu machen. Es bleibt die Forderung, nicht nur Rohdaten und Verschwörungstheorien, sondern auch Informationen ungehindert zu erhalten und zu verbreiten. Erst dann geht es uns besser als dem Panther: "Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille - und hört im Herzen auf zu sein."

*** Ob Rilkes Panther geringen Verstand hatte, ist nicht überliefert. Eine andere Figur, gerade eben geringen Verstandes, macht uns mehr Hoffnung. "Aber wohin sie auch gehen und was ihnen auf dem Weg dorthin passieren mag: An jenem verzauberten Ort ganz in der Mitte des Waldes wird ein kleiner Junge sein, und sein Bär wird bei ihm sein, und die beiden werden spielen." Tapfer werden sie gegen halten, egal, wie viel Wischel, Wuschel, Heffalumps und Faktoren gegen sie antreten: So schlimm kann die Welt nicht sein, wenn es kluge Bären, obschon von geringem Verstand, tapfere Ferkel und gestüme Tiger auf ihr gibt. Heute vor 75 Jahren erschien "Winnie the Pooh", das einzige Buch, das man seinen Kindern zwei Mal schenken muss: zur Einschulung und zum Auszug – dann natürlich mit einem kleinen weißen Handtuch. Pu der Bär alias Winnie der Pu, der Philosoph von geringem Verstand, von Herrn Milne erdacht, stand einstmals weit oben auf der Liste der möglichen Linux-Maskottchen. Es ist gut, dass ein damals namenloser Pinguin gewann und Pu weiter sinnieren und sein persönlicher Babelfisch weiter flüssig dinieren kann, ohne von den Nachtmahren aus Digitalien geplagt zu werden. Obgleich, obwohl, hier ein kleines lobendes Gesumm anheben muss: Zwar nur ein Honigtopfexperte, hat Pu doch verstanden, dass ein Computer nur zum Klirr-Lompfen taugt.

  • ** "Ein Hinterhalt", sagte Eule, "ist eine Art Überraschung." Heute hat Pu viele Fragen, die zum großen Gegrübel führen. Schließlich leben wir in Zeiten, in denen Ferkel gelbe Schnauzen bekommen können, weil Quallengene Borstenviecher verändern. In Zeiten, in denen böse Mullahs die Welt terrorisieren. "Postmodern Pooh" heißt ein Buch, das den sehr geringen Verstand unserer Wissenschaftler persifliert und Schwierigkeiten mit dem Erscheinen hat. Von den Rechte-Inhabern an Pus Sachen, die das Buch anregten, wird überraschend der sexuelle Inhalt moniert, auch wenn er nur in Anspielungen besteht. Das deshalb, weil das den Disney-Konzern als mächtigen Lizenznehmer verärgern kann. Das bringt uns zu den entfernten Verwandten von Winnie der Pu, die ebenfalls im Reich der Fantasie zu Hause sind. Auch Harry Potter ist von Verträgen umgeben, die ihm das Leben vorschreiben, auch Bert aus der Sesamstraße hat Probleme und so wandern die seltsamsten Be- und Entschuldigungen durch das Netz.

*** Es gibt keinen Hundertsechzig-Morgen-Wald mehr, nirgends, nur Freund- und Feindesland. Das musste auch Microsoft erfahren, die ihren prunkigen Start der Xbox in der nächsten Woche mit Journalisten an einem geheim gehaltenen Ort in Nordafrika feiern wollte. Nun fliegt man halt die Bande nach Cannes, ins friedliche Gallien. In Frankfurt vergab derweil die Jury des von Microsoft gestifteten International eBook Award in dieser Woche den diesjährigen Preis an Steven Levy und sein als eBook erschienenes Krypto-Buch von den Code-Rebellen, die der Regierung ein Schnäppchen schlagen. Damit haben wir den hübschen Fall, dass ein Kryptografie-Buch eines Autors auf einer Plattform erscheint, auf der ein vom Autor verteidigter russischer Kryptologe für sein Tun bestraft werden soll: Wischel, Wuschel oder was? Ein harter Brocken für alle Bären.

*** Es gab eine Zeit in diesem unseren Land, in der Kinder statt Inder gefordert wurden. Beim Barte des Profeten, das ist lange her. Über die von Jürgen Rüttgers kreierte Aktion wurde an dieser Stelle gelästert, weil eine Datenbank von Centura Sofware zur Speicherung der Adressen benutzt wurde. Nein, Inder seien an der Firma, die die Datenbank produziere, schon lange nicht mehr beteiligt, hieß es damals. Nun firmiert Centura Software um, in Gupta Technologies, um die Leistungskompetenz zu verdeutlichen. "Kunden setzen wieder auf Gupta, weil der Name besondere Qualität verspricht." Umang Gupta, der als Firmengründer dem Unternehmen seinen Namen gab und nun wieder dafür herhalten muss, war Inder. So ändern sich Zeiten, Namen und Prioritäten, wird nicht nur Network Associates denken, dass den Ruch des Terror-Helfers loswerden will. Auch Warner Brothers scheint diesem Motto zu huldigen. Von den Zuschauerzahlen in vier US-Städten wird der weitere Weg einer erheblich verbesserten Version der Odyssee im Weltraum abhängig gemacht, in der mein Namensvetter Hal aus der Rolle fiel und sich als Rechner von geringem Verstand entpuppte. Nun müsste der Film 2002, Odyssee im Weltraum heißen, Hal natürlich Athena – und ich hätte ein Problem weniger.

*** Und wenn wir schon bei den Umbenennungen sind, dann dürfen die Zauberer von OZ nicht fehlen. Die Bekannten und Verwandten von Betreten V hatten ihre Tagung zu Bär-Lin und fanden nach langem Gesumm und strengem Gedenke, dass es an der Zeit ist, den Namen Open Source zu beerdigen. Anders als bei unserem deutschen quelloffen ist ausländisch einfach zu viel Source=Software mit im Spiel, was dem ganz umfassenden Charakter der offenen Wissensproduktion auf der digitalen Allmende nicht ganz entspricht, befand die Tagung der Zauberer. Kurzum, Open Source funzt nicht, dafür aber i-cology, die Information Ecology. "Falls jemand klatschen möchte", sagte I-Ah, "dann ist jetzt Zeit dafür." Auf Deutsch: I-Ökologie oder I-Ö. Nun ja, wenn's sonst keine Probleme gibt, entringt sich mir in dieser Zeit ein tiefer Seufzer.

Was wird.

Wer sich in der kommenden Woche langweilen will, fährt nach München. Nein, nicht weil Deutschlands größtes Dorf in den nächsten Tagen besonders langweilig wäre. Langweilig genug ist München schon den Rest des Jahres – solange man nicht auf so komische Sachen wie das P1 oder die langsam heißlaufende Medienscene in Unterföhring steht. Nein, besonders langweilig ist es nächste Woche wohl auf dem Münchener Messegelände, wo sich nämlich angeblich die IT-Branche trifft – und sich aller Voraussicht nach nix zu sagen hat. Also muss die Systems Werbung machen, aufreizend mit langen Beinen. Mit langen Frauenbeinen natürlich. Montag will sie auf jeden Fall starten, 911 hin, schwächelnde Konjunktur her, und zwar als Barometer der heißen Trends wie Security, CRM und C2B. Aber kann sie beantworten, warum man Vibratoren für die PDA-Massage braucht oder Telefone für den Doppeldaumenkrampf, warum es Mäuse geben muss, die gleichzeitig Laserzeiger sind? "Dahinter steckt immer ein sehr kack-kack-kack-kluger Papp-Papp-Plan, Hal," antwortete Pu.

Um diese Woche wie vor einem Monat mit W. H. Auden zu schließen, sei den Lesern das Gedicht September 1, 1939 ans Herz gelegt, das Auden eigentlich aus seinen Werken gestrichen wissen wollte, angeblich wegen des Satzes "We must love one another or die." Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte es am Samstag, gleich mit der ersten deutschen Übersetzung. Hoffen wir, dass nach 911 nichts Ähnliches wird wie vor und nach dem 1. September 1939 – auch wenn in der Irrealität, die die Fernsehbilder und die täglichen Nachrichten bei den Menschen hinterlassen, alles möglich erscheinen mag:

In einer Kaschemme sitz ich gerade
In der Zweiundfünfzigsten Straße,
Verunsichert und bang,
Während einer lausigen, verlogenen Dekade
Ach so schlaue Hoffnungen vergehen:
Wellen von Angst und Wut
Kreise über die lichten
Und dunklen Länder des Planeten,
Kommen als Alp auf unser Leben zu;
[...]
In die neutrale Luft hinein,
Wo blinde Wolkenkratzer
Wolkenkratzerhoch beschrein
"Seht! Das vermag der Mensch im Kollektiv!"
Gießt jede Sprache ihre eitle,
Sich übertrumpfende Apologie.
Doch welches Leben könnte effektiv
Bestehn in einem Traum der Euphorie;
Aus dem Spiegel starrn uns an
Die Fratze des Imperialismus
Und die globale Infamie. [...]

(Hal Faber) / (jk)