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Was war. Was wird.

Die wirklich harten, unangenehmen Sachen gehören immer an den Schluss. Pustekuchen, an diesem Wochenende überzeugt uns Hal Faber vom Gegenteil.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was War

*** Im Journalismus lernt man, die harten, unangenehmen Sachen hübsch zu verpacken oder etwa ganz zum Schluss zu bringen, damit der Leser nicht vorzeitig weghüpft. Pustekuchen! Wir haben ja alle keine Zeit. Darum für alle, die ihre Allergien pflegen, gleich zu Beginn die volle Ladung: jawohl, es gibt ein neues, künstlerisches und dadurch gar nicht mal schlechtes Video von unserem Steve Ballmer. Letz Fetz! Tja, so etwas ist mit Open Source nicht zu machen.

*** Und jawohl, die Bobos haben wieder einmal im großen Stil zugeschlagen: Ernst Malmsten und sein Model Kajsa Leander, haben einstmals den Edelschuppen Boo.com gegründet und dabei 300 Millionen Dollar in 18 Monaten verbrannt. Nun kommt das Buch zum Megaflop und will ein Renner werden. Sogar eine Verfilmung mit Cameron Diaz ist nicht mehr weit. BooHoo.com erscheint bei der Bertelsmann-Tochter Random House, in einem Konzern also, der weiß, wie man zünftige Internet-Flops auf die Planke legt. Was die Bobos erzählen, reicht eigentlich für WWWW-Kolumnen bis zum Ende des Jahres, aber meine Leser sind ja schon abgesprungen. Nein, dann bitte sehr: 40 Leibwächter schützten das Leben der beiden Gründer, weil an ihnen die Aktienkurse hingen. So haben sie selbst den Ansturm der Börsengurus und Rausvestoren überlebt als der Klamottenversand in die Binsen ging. Einen hab ich noch: "Die Idee von Boo wird unsterblich sein." Logo, haben wir uns damals gleich gedacht.

*** Vom Überleben zur Unsterblichkeit ist es also nur ein kleiner Schritt, aber halt ein schwieriger. Cyc, die uns bald ersetzende maschinennahe Intelligenz formulierte es in der letzen Woche treffend: When people die, they stay dead. Das ist leider die bittere Wahrheit, auch wenn man noch so oft Wau Holland auf T-Shirts drucken möchte. Hin ist hin, auch wenn die Ideen der Dahingeschiedenen durchaus weiterleben können. Fragt sich nur, wann das auch Cyc versteht?

*** Es sind ja nicht die intelligenten Maschinen, die uns aus der Contenance bringen, sondern die dummen. Am Montag starb Michael Dertouzos, ein kluger Kopf, der am MIT lehrte. Er gehörte zu den wenigen Vordenkern des Internet, die sich nicht von der Dotcom-Raffelei anstecken ließen. Er sprach in Sätzen, die Cyc erst einmal verstehen muss: "Die Revolution der Information dient bis jetzt nicht den Menschen. Wir dienen der Technologie. Und das Web ist eine einzige Ansammlung von Exhibitionisten und Voyeuren, dabei meine ich nicht einfach die Pornographie". Das letzte Buch von Michael Dertouzos ist The Unfinished Revolution und eine harsche Abrechnung mit überladender Software und falsch geplanten und dann auch noch gebauten Computern. Seine Stimme werden wir vermissen.

*** Chrismon, den Onlinern bekannt als bekannt unermüdlicher Versender von SMS-Segenskarten, hat eine Umfrage veranstaltet und herausgefunden, dass 7 Prozent aller Deutschen auf den Tod verzichten wollen und sich nichts weniger als die einfache Unsterblichkeit wünschen. IBM kommt da zu einem anderen Ergebnis: Unter dem Titel Eingebungen zwischen Paradies und Apokalypse veröffentlichte die Firma eine CD-ROM nebst Buch, das die Tippereien aller Besucher des Planet of Visions erhellt. Dieser Planet stand einstmals auf der Expo in Hannover und hielt ein paar Computer zur Kommunikation mit der Zukunft bereit. Unsterblichkeit und Frieden wünschten sich die Besucher an erster Stelle, jedenfalls nach der Auswertung durch eine Text-Mining Software. Besonders apart der Wunsch nach Unsterblichkeit und einem schnellen Laptop: da lebt man ewig und sammelt eine Menge Müll. Gibt es eine Steigerung? Nein, außer Unsterblichkeit und ein c't-Abo! Wer indes die CD-ROM startet und ganz ohne Minensucher eine Brute-Force-Attacke mit grep fährt, findet etwas anderes als die Unsterblichkeit: Unter den 192.000 Einträgen führt zahlenmäßig die 42. Doch der Sinn des Lebens erschließt sich keinem Text-Mining.

*** Unsterblich wird man bekanntermaßen im deutschen Feuilleton, weil dort die Journalisten die größten Scheuklappen tragen. Besonders beim Blick in das Internet und bei der Beschäftigung mit diesem ganzen EDV-Kram demonstriert man gerne profunde Ahnungslosigkeit. Zum Beleg bringt die Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung zwei Fotos von Joseph Weizenbaum, dem Künder vom Misthaufen Internet. Eins aus dem Jahre 2001, das andere von 1934. Der junge Weizenbaum ist mit seinem Bruder abgebildet, über den sich die Zeitung ausschweigt. Dafür ist umso mehr vom wortmächtigen Kritiker Weizenbaum die Rede. Nur der Vollständigkeit halber: der abgebildete ältere Bruder von Joseph Weizenbaum hieß damals Heinrich Weizenbaum und lebt heute unter dem Namen Henry Sherwood, den er sich beim Eintritt in die USA gab. Auch Sherwood wurde ein Computerexperte. Er war bei der Entwicklung der OCR-Schrift dabei und baute für Burroughs Computer. In Deutschland wurde er in den 60er-Jahren als Leiter von Diebold Europa bekannt und veranstaltete die einzigen Seminare, auf denen sich Computerexperten aus Ost und West trafen, umringt von Geheimdienstlern aller Lager. Im Gegensatz zu seinem Bruder ist Henry Sherwood noch heute ein begeisterter Nutzer des Internet. So viel dazu und diesmal ganz ohne Link.

*** Doch was ist das weltweite Internet, wenn nicht ein profunder Misthaufen, in dem alles möglich ist? So brechen für die begeisterten Nutzer von Google schwierige Zeiten an. Denn die Scientologen haben angefangen, Suchworte zu kaufen, um mit Sponsored Links etwas gegen das miese Image zu tun. Im Rahmen der amerikanischen Geschäftsbedingungen ist dies für Google unproblematisch, doch in Europa sieht die Sache etwas anders aus. Ach! Hat da jemand etwas von der Freiheit der Rede gerufen? Sie ist immer leicht zur Hand und doch so schwer zu realisieren. Etwa bei den Tierschützern von Peta, die den großen Sieg feiern, die Konkurrenz von People Eating Tasty Animals um die Domain Peta.org gebracht zu haben. Ein und derselbe Verein findet die kätzliche Ironie von BonsaiKitten.com verwerflich, redet aber von Katzenflittchen, wenn es um die Resultate geht. Nein, hier geht es nicht zu den gekochten Katzen.

Was wird

*** In der letzten Woche, einige Leser werden es möglicherweise bemerkt haben, tobte im Heise-Ticker ein richtiger Krieg. Der Sinn des textbasierten Gemetzels erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Eine Demonstration gegen den Bundeswehreinsatz auf Mallorca? Ein Aufruf gegen das sinnlose Quälen unserer Forumssoftware? Ein einfacher Hitzeschaden? Entscheiden wir uns dafür, in den anschwellenden Datensätzen ein Appell an die besondere Verantwortung von Informatikern und Programmierern für Frieden und Abrüstung zu sehen.

*** Es ist September geworden. Heute vor 40 Jahren wurde in Deutschland das "schnellste Nachrichtentransportnetz der Welt" installiert. Nein, nicht das Internet, nicht die Rohrpost, sondern das Inland-Nachtluftpostnetz der Deutschen Bundespost. Eine in Friedenszeiten unerreichte Schnelligkeit sollte es garantieren. Und für den Krieg dann das Internet, Marke unzerstörbar. Oder gar unsterblich? Und wie geht es weiter? Unter dem Titel 2001- Odyssee im Cyberspace berät das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung zum Monatsende über Wege und Irrwege der Informationstechnik.

*** Übrigens: Dieser Text hat als journalistische Arbeit keine Schöpfungshöhe, er ist nicht tiefsinnig, sondern flacher noch als das Papier, auf das er nie gedruckt wird. Wo keine Höhe, da kann auch nichts fallen. Das ist der einzige und wahre Grund dafür, warum mir Woche für Woche nichts gescheiteres einfällt als: "Erster!" (Hal Faber) / (em)