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Was war. Was wird.

Hal Faber ist sich nicht sicher, ob das Netz nach 911 wieder zu seinem altgewohnten Humor, aber auch Zynismus zurückfindet.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** 911 (oder S11) und kein Ende? Langsam findet das Netz seinen Humor zurück, natürlich mit all der gebotenen Geschmacklosigkeit, Insider-Witzelei, mit Nonsens-Aktionen und Parodien. Wer will, kann in den vielfältigen Mitmachaktionen Versuche sehen, das Geschehene zu verarbeiten. Wer soll sich darüber aufregen, wenn Industrieführer ihren eigenen, vertrackten Humor beweisen: "Ich war gerade einmal zwei Tage (Konzern)-Vorsitzender, als Flugzeuge mit meinen Triebwerken ein Gebäude trafen, das ich versichert habe, das ein Kommunikationsnetz hatte, was mir gehörte; und unser Wachstum liegt für 2001 immer noch bei 11 Prozent", erzählte Jeffrey Immelt, der neue Vorsitzende von General Electric nach den Worten einer anderen Wochenschau. Wem die Stunde schlägt, der soll sie doch genießen können.

*** Die anderen genießen derweil die Vorzüge eines Rechtsstaates, der seine Bürger unter den Generalverdacht des Terrorismus stellt: Jeder kann ein Schläfer sein. Nehmen wir nur den Freistaat Bayern, in dem die Videoüberwachung ausgeweitet werden soll, natürlich nicht auf Kosten des Steuerzahlers. Bei der Pilotanlage in Regensburg schaltet sich die finanziell klamme Polizei zur Videoüberwachung auf das Netz der Stadtwerke auf: Rasterfahndung heißt nun einmal auch, auf Raster wie die Trennung von privaten und staatlichen Anlagen zu verzichten. Das ist ein Verfahren, das die Big Brother Awards bei der Deutschen Bahn schon im vergangenen Jahr kritisierten. "Die Würfel sind gefallen", verkündet seit letzter Woche eine Jury, die in einer Spinnerei eine seltsame Figur dem siegenden "Datenbruder über alles" überreichen will. Aber warum musste die Jury würfeln?

*** Inzwischen wird der Preis international, sind Länder wie Frankreich, Ungarn oder Dänemark hinzugekommen. Bald, wenn Bigbrother europaweit verliehen wird, kommt der Datenschutzschänder-Contest de la Eurovision. "Allemagne, douze points". Ja, Deutschland hätte da, anders als bei den Schlagerknödlern, endlich einmal gute Chancen: ein Beckstein ist nun einmal kein trällerndes Blümchen. Erst letzte Woche hat Bayerns Innenminister den Vorschlag gemacht, die Verbindungsdaten der Telefonanbieter auch rückwirkend anzapfen zu lassen. Bisher durften Strafverfolger und Verfassungsschützer nur ab dem Tag zapfen, ab dem die Überwachung genehmigt wurde.

*** Deutschland ist überhaupt schwer innovativ: Man denke nur an Mediatime Consulting, eine Firma, die sich für ihre Kunden bisher um das Ranking in Suchmaschinen gekümmert hat. Da das Geschäft mit dem Beeinflussen von Suchläufen in Terror-Zeiten schwer läuft, in denen sich Suchmaschinen selbst um die Inhalte kümmern müssen, orientiert man sich um. Mit ihrem Gridpatrol jagt die Firma den Nachrichten und Gerüchten nach, die das Ranking in den Köpfen beeinflussen. T-Mobil, Bayer (Crop Science) und die bereits aktionsgeschädigte Lufthansa gehören zu den Kunden des innovativen Dienstes, die Angst vor Complain-Sites und Negativ-PR haben, verkündet stolz die beauftragte PR-Firma mit dem hübschen Namen "Mann beißt Hund" zum Start der Schnüffelsoftware. Der Erfinder der Software, die englische Firma Envisional, begann übrigens mit einem einfachen Programm namens Semantic Visualization Toolkit.

*** Das RAND-Institut hat festgestellt, das wir uns in einem Krieg der Netze befinden, das Netzwerk der freien Meinungen gegen das Al-Quaida-Netzwerk von Bin Laden. Das Netzwerk der schnellen SWIFT-Transfer gegen die Halwal, das Netz der Echelons und Carnivore gegen das Netz der Kuriere und Codebücher. Leider musste die RAND-Studie aus Sicherheitsgründen vom Netz der Freiheit verschwinden, nur ein Kapitel überlebte – bisher.

*** Dreißig Jahre hat die völkerverständigende E-Mail angeblich auf dem Buckel. Sie dient nun als Argument für die Abschaffung der Floppy-Disk. Denn was auf so eine Diskette passt, ist huschdiwusch über das Netz viel einfacher zu kopieren. Was noch auf Diskette sitzt, kann huschdiwusch geshreddert werden. 1960 hatte Al Shugart die Floppy-Technik erfunden, die erst 1972 als 8-Zöller bei IBMs 3740 ihren Siegeszug antreten konnte. Shugart, der schon einmal seinen Hund zum Gouverneur von Kalifornien machen wollte, organisiert inzwischen eine Art Gegenmesse zur herbstlichen Comdex in Las Vegas, die in diesem Jahr in der Krise steckt. Nur wenige Startups sind da, die angemieteten Hallen des Fremont Hotel zu füllen. Vielleicht reicht eine E-Mail-Messe aus.

*** Andere Jubiläen stellen Bezüge zu anderen Ereignissen her: Ob Ludwig Erhard in Angelika Merkels "neuer sozialer Marktwirtschaft" selige Urständ feiert oder ob "der Dicke" deswegen im Grab rotiert, sei dahingestellt. Immerhin aber konnte Erhard zu einem der wahren Jubiläen der Branche in Deutschland beitragen, indem er nämlich auf der Berliner Industrieausstellung 1951 gegen Nimrod drei Mal in Folge bei einem simplen Spielchen verlor. Dass Erhard trotzdem mehr Intelligenz bewies und weitaus mehr Spuren in der Geschichte hinterließ als dieser erste elektronische Computer in Deutschland, gegen den er spielte, beruhigt alle, auch diejenigen, die von seiner Politik nichts halten. Ob solche Ansichten über ihre Leistungen Angela Merkel auch beschieden sein werden, darf dagegen vorerst einmal der Diskussion (und dem Zweifel) überlassen bleiben. Vielleicht geht Merkel ja auch nur als diejenige Parteivorsitzende der CDU in die Geschichte ein, die den ersten Rechtspopulisten in Deutschland hoffähig gemacht hat. Dessen Partei tritt übrigens im Internet doch tatsächlich nicht etwa als PRO, sondern als schill-partei.de auf – vielleicht benennt sich die FPÖ ja demnächst auch in Haider-Partei um; wenigstens hat sie dann keinen Grund mehr, gegen Domains wie fpo.at zu klagen.

Was wird.

Wenn die Floppys verschwinden, gibt es kundige Hilfe. "Das Schlachten eines Computers ist nicht mehr Männersache", verkündet ein Aufruf zum IT-Aktionstag für Schülerinnen, der am Montag unter dem Motto "IT meets me" über die Bühne geht. Gesponsert wird der Aktionstag von der Inititiative D21 und dem Kompetenzzentrum Frauen in der Informationsgesellschaft, die in Nürnberg ihren Jahreskongress unter dem Motto "Wissen teilen – Menschen erreichen" abhalten. Der Titel mag irreführen: unter anderem berät sich die Initiative über den Erfolg der Anzeigenkampagne "Wer braucht schon Männer?", mit der der Anteil von Studentinnen an technischen Studiengängen gesteigert werden sollte. Nach Angaben der Initiatoren von Alcatel soll die Aktion ein großer Erfolg gewesen sein.

Ein paar Tage später ist IT meets Society fällig: auf der Wizards of OS kommen alle zu Wort, die sich mit der Frage beschäftigen, ob Open Source noch für andere Bereiche als die Entwicklung von Betriebssystemen und Webservern taugt. Die Veranstalter schreiben: "Mit geöffneten Augen werden allenthalben kontributorische Wissenskulturen und Community-gestützte Innovationsmodelle sichtbar – im Recht und in der Genforschung, im Journalismus und in den Künsten." Die Frage bleibt, ob das Sichtbare auch das Genießbare ist. (Hal Faber) / (jk)