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Was war. Was wird.

Nein, die Wochenschau ist auch dieses Mal kein Aprilscherz, betont Hal Faber. Dafür kümmert er sich um Verdränger, Online-Diskutierer und um die Kunst der Techniker.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nein, die Wochenschau ist kein wöchentlicher Aprilscherz, auch wenn manch unwilliger Leser das gerne so interpretieren würde. Vielmehr ist heute, am 1. April, gemeinhin der Tag, an dem wir uns erinnern, was wir die restlichen 364 Tage eines Jahres sind: komplette Idioten. Insofern haben die unwilligen Leser vielleicht doch Recht. Wie immer dem auch sei: Die nette Gemeinheit mit dem Aprils Fools' Day haben wir Mark Twain zu verdanken, dem erklärten Liebhaber der deutschen Sprache. Was er allerdings nicht erklären wollte, das ist die Herkunft der Aprilscherzerei, die viele als Payback-System der anderen Art verstehen. Sie wird sträflich vernachlässigt, weil kaum jemand weiß, dass der erste April ein Ehrentag ist, dass er gefeiert wird, weil am 31. März zum 1. April vor 405 Jahren etwas Folgenschweres passierte. Da wurde René Descartes geboren, ein Denker, den jeder Programmierer kennt – oder kennen sollte. Er erfand die Methode des systematischen Zweifels, vulgo Aprilscherz. Als Erstes fragte sich Descartes: "Was bin ich?" Und fand, dass er ein Frühchen war. Darum haben wir den 1. April bekommen. Zumindest ist das ein schöner Gedanke.

*** Von Descartes zu Sabrina ist es kein großer Schritt. Das beweist einmal mehr der Kommentar der Dame zu den Plänen, Links, so sie denn der freiheitlich demokratischen Grundordnung zuwider laufen, unter Strafe zu stellen. Twister, Sabrinas geistige Mutter, dürfte einigen eifrigen Lesern der Heise-Foren ob ihrer entschiedenen Äußerungen in angenehmer oder unangenehmer Erinnerung sein – je nach Standpunkt. Immerhin: Sie denkt, also ist sie, virtuell, wie hoffentlich auch ganz real. Womit sich der Kreis schließt – von Descartes zu Twister, und von Hal zu Sabrina. Wofür Twister einige Manieriertheiten gerne verziehen seien; und auch dafür, bewiesen zu haben, dass "Ich schreibe, also bin ich" auch im Internet nicht zwangsläufig zu Pöbeleien unter dem Stichwort "Mit Linux wäre das nicht passiert" führen muss. Statt der ewigen Kloppereien zwischen Windows/Linux-, AMD/Intel- oder Cholera/Pest-Anhängern dann doch immer noch lieber das pubertäre "Erster!"-Gewinsel – auch wenn's immer wieder wehtut. Das gilt wohl für diverse Kommentare in Online-Foren – nicht nur bei Heise. Immerhin, User und Userinnen wie Twister, MarilynManson, 59cobalt, phosmo, DeeKay, KatiH, TylerDurden, küsschen oder wie sie alle heißen sorgen nicht nur angesichts seltsamer Pseudonyme für Spaß, Aufregung, Ärger und manch spannende Diskussion. Das Internet funktioniert doch – trotz aller Abartigkeiten finden sich in dem Misthaufen immer wieder Perlen. Möge nur jetzt niemand beleidigt sein, weil ich ihn oder sie oder seinen oder ihren Lieblingsfeind nicht namentlich erwähnte – er oder sie möge sich mit der Anthropologie der "Meister der Kommentare" trösten, die Kollege Gerald Jörns von Telepolis bereits geschrieben hat. Irgendwie bin ich heute in versöhnlicher Stimmung...

*** Damit ist nun aber auch Schluss: Denn eine Anthropologie ganz anderer Sorte war dieser Woche in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen. Zumindest ließe sich eine Anthropologie der Verdränger daraus erstellen. Völlig frei von jedem Descartes'schem Zweifel präsentierte sich die Firma IBM in der FAZ. In der Sparte "Unternehmensnachrichten" erschien ein Artikel von Manfred Wahl mit dem seltsamen Titel "Die Ordensrückgabe ist eine Beleidigung für jeden Deutschen". Gemeint war der Titel, den IBM-Präsident Thomas J. Watson von Hitler bekam und später wieder zurückgab. Manfred Wahl, von 1963 bis 1975 IBM-Chef in Deutschland, versucht sich in der Unternehmensnachricht an der ersten offiziellen deutschen Stellungnahme von IBM zum Buch von Edwin Black, das unter dem Titel "IBM und der Holocaust" erschienen ist. In der Verteidigung von Wahl findet sich der berühmte Lehrsatz von der Neutralität der Technik, über den schon Descartes gelacht haben dürfte: "Lochkartenmaschinen (und heutige Computer) verarbeiten nur das, was der Anwender in sie eingibt (input) und wofür er sie programmiert. [...] Der Anwender, nicht der Hersteller der Maschine oder Lochkarte, legte dann fest, in welche Spalte und Zelle welcher Gruppenbegriff und welches Einzelmerkmal abzulochen ist." Ist die Maschine unschuldig gesprochen, können Wahl und FAZ gemut zur Tagesordnung übergehen, ohne sich zu den Vorwürfen von Edwin Black im Einzelnen äußern zu müssen. Auch die gefürchteten Rechtsanwälte sind ruhig geworden.

*** Es gab Leute bei der Dehomag, die das anders als der Herr Wahl sahen. Erinnert sei an den Dehomag-Vorstand Otto Kiep (ein Verwandter des CDU-Politikers Walter Leisler Kiep), der zum Kreis des 20. Juli gehörte und gegen die Nationalsozialisten kämpfte (was Edwin Black übrigens in seinem Buch unterschlägt). Otto Kiep wurde 1944 verhaftet, gefoltert und gehängt. Ein von James Conolly im Auftrag der IBM geschriebenes Buch über die "History of Computing in Europe" erwähnte im Jahre 1968 die Rolle von Kiep im Widerstand. Es musste auf Geheiß des europäischen IBM-Vorstandes (mit Manfred Wahl) deswegen eingestampft werden. Die Retter der Unschuld der Technik wandeln auf verschlungenen Pfaden.

*** Ob die Geschichte der Dehomag nun IBM zu Stolz berechtigt, sei erst einmal dahingestellt – auch wenn Edwin Black trotz mancher Schwächen seiner Darstellung die einleuchtendere Sicht der Dinge vorträgt. Ob andererseits Leistungen wie die des Manfred Wahl zu "Stolz auf Deutschland" berechtigen, darf doch arg bezweifelt werden. Die unsägliche Patriotismus-Debatte, die einige Herren und Damen vom Zaun gebrochen haben, führt sich angesichts mancher Leistungen von Deutschen und angesichts vieler Vorkommnisse in Deutschland selbst ad absurdum. Mag der Scheuklappenbewehrte auch ganz neutral Stolz auf die Dehomag-Maschinen in den KZ oder die Enigma-Kryptographiemaschine des deutschen Militärs sein – nur Dumpfbacken leiten aus solchermaßen angeblich neutraler Technik Nationalstolz ab – oder aus dem schlichten historischen Zufall, dass der Zusammenfluss von Rhein und Mosel "Deutsches Eck" heißt. "Stolz, ein Deutscher zu sein", weil der Rhein hier entlang fließt? Na, warum dann nicht "traurig, ein Deutscher zu sein", weil die Toskana oder Kalifornien oder die Antarktis nicht zum Bundesgebiet gehören? Dann sind wir gleich bei "Von der Maas bis an die Memel": Jedes Volk hat die Parolen, die es verdient. Und die Techniker, die es zu Grunde richten – oder auch nicht.

*** Aber die Kunst, ja die Kunst rettet uns, denn wir sind ja ein Volk der Dichter und Denker. So hat ebenfalls in der letzten Woche ebenfalls die Firma IBM sich etwas wirklich Hübsches geleistet. Denn Kunst muss sein in dieser von lauteren Maschinen wimmelnden Welt. So lud die Firma Studenten der "führenden europäischen Ausbildungsstätten für Fotografie", wie IBM sich stolz in die Brust wirft, zu einem Wettbewerb ein. Die Aufgabe war geradezu trivial, ein Knips mit dem Kasten zum Thema "At ease with e-business". Gewonnen hat die Engländerin Lousia Walsh. Ihr Motiv in der Beschreibung laut IBM-Pressemeldung (ein Foto wurde nicht mitgeliefert): "Das Bild stellt einen Mann dar, der im Abendkleid unter einer Trockenhaube in einem Schönheitssalon sitzt und dabei einen ThinkPad benutzt. 'Ich wollte weg vom eingefahrenen Image von Männern in Anzügen', erläutert die Gewinnerin." Und die Begründung von IBM zum Schluss vom Manager, der seine Dauerwelle richtet: "Der von IBM geprägte Begriff e-business, steht dafür, dass Unternehmen Internettechnologien nutzen, um ihr Geschäft durch Kosteneinsparungen, Umsatzwachstum und Kundenzufriedenheit zu verbessern." Da sind wir aber platt.

*** Unter der Trockenhaube bei IBM sitzt ein Bobo, wie ihn jetzt sogar der Spiegel entdeckt hat. Das ist eine hoch aktuelle Zeitschrift, die mit dem Föhn gelesen werden will. Schließlich hat der Spiegel gründlichst recherchiert und die ersten deutschen Leit-Bobos ausfindig gemacht, Dirk Maxeiner und Michael Miersch, die das Mefisto-Prinzip predigen: Immer dagegen und böse wie ein Freigraf von Gutmensch. Die zweiten Germanobobos nach diesen Topleuten müssten eigentlich von der Firma Met@box kommen. Sie schafften es wie viele andere Firmen der New Economy nicht, rechtzeitig die Bilanzen vorzulegen. Es ist dies ein feiner Beweis für das von der New Economy gepredigte Just-in-Time und B2B, wenn das nicht klappt, was große Konzerne der alten Ökonomie können. Met@box schießt indes den Vogel mit der Begründung ab, man könne die Bilanz nicht rechtzeitig liefern, weil die Akten von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt worden seien. Diese sucht nach illegalen Transaktionen und fiktiven Kaufofferten, die den Kurs der Met@box fördern sollten. Diese Luftblasen sind offensichtlich unersetzlich und werden dringend für den Finanzbericht gebraucht.

*** Die Firma Met@box liefert auch das beste Beispiel dafür, warum wieder ein unschuldiges Zeichen für das "Unwort der Computerbranche" herhalten muss. Es gingen ja viele Vorschläge nach dem Aufruf in der letzten Wochenschau ein. Keiner war aber so zwingend wie die Verhunzung des uns allen kaum ans Herz gewachsenen, da auf europäischen Tastaturen meist schwierig zu erreichenden, dafür aber unverzichtbaren Klammeraffen. Kaum eine Firma, kaum ein Projekt, kaum eine Initiative oder Organisation, die nicht das harmlose "a" zu einem vermeintlich Modernität und Hipness demonstrierenden "commercial at" verunzieren müsste. So sei das @ unverdienterweise stellvertretend für all die ausgeflippten Bobos der New Economy und für alle dem Hype hinterher hechelnden Bürokraten der Old Economy mit der Auszeichnung gestraft – in der verzweifelten Hoffnung, das nächstes Jahr alles besser wird.

*** Bis nächstes Jahr ist glücklicherweise noch ein Weilchen: Die CeBIT hatte erst in dieser Woche großen Kehraus. Eitel Sonnenschein gab es daher reichlich, beim Veranstalter, den Ausstellern und den Beuteltieren. Nur die Hacker wollten nicht so richtig mitziehen am großen digitalen Strang unter der Leitung von Findulin und Gerd "the Nerd" Schröder. Beim OpenHack-Wettbewerb der Firma Argus Systems und Fujitsu-Siemens passierte offensichtlich das Gleiche wie in den USA. Ein Hacker kam durch, verpasste aber ein gesetztes Zeitlimit. Was die Veranstalter natürlich vom sicheren PitBull-Schutz jubeln lässt. Doch das Rennen PitBull gegen Bitbull scheint noch nicht zu Ende: Wenn eine Lösung geknackt werden kann, auch wenn das außerhalb der gesetzten Zeit passiert, so ist sie doch geknackt. Oder nicht?

*** Mitunter hilft die einfache Logik halt nicht weiter. Das mussten auch diejenigen erfahren, die nach dem ganzen Tamtam um Windows XP die Betaversion dieses kommenden Knallers bestellen wollten. Sie gelangten auf eine Order-Site, die zwingend Microsoft Passport voraus setzt. Wer dennoch an das System kommen wollte, musste sich bei Passport anmelden, einem Dienst, der nette AGBs enthält. Ein Passport-Benutzer gestattet ohne Widerrufsmöglichkeit der Firma Microsoft:

"1. Use, modify, copy, distribute, transmit, publicly display, publicly perform, reproduce, publish, sublicense, create derivative works from, transfer, or sell any such communication.

2. Sublicense to third parties the unrestricted right to exercise any of the foregoing rights granted with respect to the communication.

3. Publish your name in connection with any such communication."

Diese Klauseln mögen irritierend wirken. Insgesamt stellen sie doch bündig dar, warum das von Microsoft initiierte P3P-Projekt schaumiger und inhaltsleerer ist als ein Sahnebecher in einem Taifun. Wer sich auf diese Form von Passport einlässt, hat sein Hirn an der CeBIT-Kasse vergessen. So etwas kann vorkommen.

Was wird.

Von wegen Spirit of Tomorrow. Weg ist der rote Strudel und Leere im Hirn. Nach der CeBIT lahmt die Branche traditionell und intellektuell. Veranstaltungen und andere Ereignisse, die anzukündigen wären, machen sich dünn, bis sie unter, gar durch den Tisch fallen können. Zu vermelden ist für nächste Woche ein Auftritt von Bill Gates bei der CHI 2001 in Seattle. Dort hat der Gute ein Heimspiel und darf ohne Schaden an Leib und Seele von der "Bedeutung der Benutzerschnittstelle" reden. Die offizielle Microsoft-Ankündigung der Keynote von Bill Gates gibt sich schlicht: "Seit 16 Jahren definiert Microsoft die Schnittstellen." Gemeint ist Windows 1.0, das im Herbst 1985 erstmals demonstriert wurde.

Ein weiteres Ereignis steigt bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Dort fragt man sich immer noch, wer eigentlich das Internet regiert. Cogito, ergo Internet. (Hal Faber) / (jk)