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Was war. Was wird.

Das Wetter macht selbst Hal Faber trübsinnig, deshalb glotzt er lieber "Linux, LAN, Leitartikel", die neuste Soap im Reality-TV.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Linux, LAN, Leitartikel" heißt die neue Soap auf Heise-TV, die die Quoten zum Kochen bringt. In der aktuellen Folge trifft die ehrgeizige Journalistin Ann Windblad auf einer Sommerparty den gut aussehenden Kollegen Hal Faber, den Star der Online-Journalisten, und verliebt sich in ihn, unsterblich. Doch dann nehmen die Dinge eine dramatische Wendung, als die Klatschreporterin Bernarda Begnini die innige Gefühltheit der beiden auf toten Bäumen breit tritt. Bis sich alles zum Guten wendet, weil Richard Stallmann beim Auszupfen seine gesplissten Haarstränen eine richtig scharfe Spitze findet....

*** Na gut, man wird mal träumen dürfen, besonders vom Sommer, in diesen miesen Tagen, wo sich selbst das gute Wetter ins Pay-TV verzogen hat und Massen von löslichem Afghanen im Tee nötig sind, die Stimmung zu heben. Ausserdem zeigt das TV-Format Format. Man schaue nur zu AprilFirst, der Fernsehadaption des justamente Hops gegangenen Mega-Consultants MarchFirst, wo der Tag im Leben der Business-Consultantin Ginger abläuft, die noch im Halbschlaf das Zeitkonto ihrer Clientel belasten kann. Oder man schalte zum Wurst-TV um, der gläsernen Wurstproduktion im Internet. "19 Kameras liefern dem User aus dem gesamten Unternehmen aktuelle Live-Videobilder in Echtzeit auf diese Website, ergänzt durch eine Fülle interessanter und nützlicher Hintergrundinformationen." Alles um das Thema, das uns alle interessiert: die Wurst, ihre Länge und wo sie drin steckt. Das ist insbesondere das Anliegen des zeit-aufklärerischen Beate-Uhse-TV, wo gerade ein neues Bigbrother-Format gestartet wurde, die Sex-WG: "Beate-Uhse.tv holt das Klischee der erotischen und sexuell freizügigen 'Wohngemeinschaft' der 68iger Generation auf Ihren Monitor. Garantiert ohne die unendlichen politischen Diskussionen. Eine WG eben, die es in sich hat! Manchmal hat sie es in sich, manchmal aber auch er!"

*** Ganz ohne die politischen Diskussionen, wo sich niemand auf ein Thema versteift? Nein, hier schaltet der gut aussehende Kollege ab und auf ein richtiges 68er-Thema um: "Mein foobar gehört mir!" ist so ein Schlachtruf aus alten, elchbewegten Zeiten. Heute füllen wir einmal die praktische Allzweck-Variable mit Roboterkeksen: In einem Versuch zur viel bequatschten Selbstregulierung des Netzes haben einige Webhamster den Robots Exclusion Standard kreiert und kurz vor Ostern vorgestellt. Ganz ohne Unterstützung durch eine der offiziellen, offiziösen und selbst deklarierten Setting Groups des Netzes soll dieser Standard regeln, wo Roboter nichts zu suchen haben. Ist das im Sinne des ersten Roboterrichters Asimov, der für Roboter-Hardware wie -Software die Grundgesetze schuf? Seit Asimovs Grundlagen sind einige Jahre vergangen. Heute sind Roboter nachgerade unerwünscht oder in endlose Schleifen vertüddelt. Und wieder zeigt sich, dass der Code Gesetz ist.

*** Aber wenn schon das Wetter versagt und politische Diskussion in der Afghanen-Tee saufenden WG untergehen, dann ist wenigstens Rettung für unsere Robots in Sicht. Sie werden die Diskussion weiterführen, sich irgendwann Steine werfend auf den Straßen tummeln und später zum Außenminister aufwerfen in der Linux-Hurd-Koalition der ersten Roboter-Republik auf – ja, auf welchem Boden den eigentlich? Darüber vielleicht sollte sich das erste künstliche Gehirn vielleicht zuvörderst Gedanken machen, bevor es daran geht, die Weltherrschaft zu übernehmen. Mit der Windows-Opposition kann es immer noch fertig werden; vielleicht grübelt es auch darüber nach, den Koalitionspartner zu wechseln und die Wende-Hälse der Solaris-Fraktion zu Kabinettstisch zu bitten. Aber Vorsicht: Bis dahin ist noch ein weiter Weg, meinen die Russen, die seltsamerweise als Väter mit dem ersten künstlichen Gehirn schwanger gingen, denn bislang muss es wie ein Baby behandelt werden. Dududu, blblblbl, lalala – sonst könnte es sich zu Frankensteins Monster entwickeln. Es stellt sich dann wenigstens nicht mehr die Frage, ob Roboter von elektrischen Schafen träumen; eher dürfte es interessant sein, die kleinen Robot-Blagen zu beobachten, wenn Tante Ericsson zu Besuch kommt: "Immer diese Knutscherei – aber das Schmieröl ist voll gut..."

*** Ob es die gute, heute schon etwas ältliche Tante dann überhaupt noch geben wird, steht jedoch in den Sternen. Zumindest 10.000 Menschen, die man einmal als ihre Angehörigen bezeichnen konnte, dürften so ihre Zweifel daran haben. Inzwischen geht's nicht nur den fast schon traditionellen Bobos schlecht, sondern auch den Möchtegern-Bobos aus der Old Economy, die auch wieder zu ganz alten Tugenden zurückfindet: Geht's der Firma schlecht, baut das Management Mist, hat die Arbeitskraft zwar noch ihren Gebrauchs-, aber beileibe nicht mehr ihren Tauschwert. Mancher Jungspunt, den Väterchen und Mütterchen vor den Leuten gewarnt hatten, die noch nie einen Afghanen-Tee tranken, sehnt sich möglicherweise nach den Zeiten im Che-Guevara-gepflasteren elterlichen Wohnzimmer seiner Jugendtage zurück. Dann hat er aber nichts verstanden: Manche der elterlichen Generation landeten beim Marsch durch die Institutionen, den nicht nur Rudi Dutschke selig ausrief, eben im Außenministerium, andere in Firmenvorständen, die mit Schuldenbergen dem Monopolkapital das Fürchten lehren. Und Märchenonkel Uli Wickert unterwandert, Afghan-beseelt, die Tagesthemen: Jetzt hat er sogar eine Schwarzhaarige zugelassen – kann es sein, dass in Deutschland doch bald eine Revolution ausbricht? Dieses Mal lösen die hiesigen Revolutionäre aber nicht etwa eine Bahnsteigkarte, sondern reichen Klage gegen die Monopolisten ein, weil sie ihnen ihre Revolution nicht finanzieren. Und kaufen ein Handy. Von Nokia. Denn Ollila war auch so ein Wickert-Hippie.

*** Aber was sag ich, niemand braucht zu verzweifeln, die guten alten WG-Diskussionen gibt es noch – und tatsächlich sind sie kaum weniger esoterisch als am Küchentisch der geräumigen Altbauwohnung selig. Nur ist die inzwischen schick renoviert; und keiner muss mehr zu der verzweifelten Aufforderung Zuflucht nehmen: "Du, lass es ruhig raus...". Mit Rauslassen hat in den Lofts des Internet kaum jemand Schwierigkeiten, zu manches Zeitgenossen Leidwesen. Aber das Internet ist die große Freiheit, von der nicht nur an Krebs sterbende Marlboro-Männer träumen; auch ödipussierende Söhne ehemaliger TV-Manager entdecken den Humanisten in sich und feiern die Freiheit der Information. Und sei es nur die Freiheit, einem Menschen beim Sterben zuzuschauen. So lässt sich mit der Freiheit der Information noch jedes Geschäft begründen, die libertären Hooligans des rechtsfreien Raums bejubeln noch die plumpeste Geldschneiderei, solange sie nur die richtigen Ressentiments bedient. Informationen wollen frei sein, da spielt es keine Rolle, dass die Todesstrafe nicht nur unmenschlich, sondern auch die dümmste aller Strafen ist. Aber was dem einen die Todesstrafe als Medienspektakel im freien Internet, ist dem anderen die Raubkopie als freier Informationsfluss – Hauptsache es bringt die Informationskonsumenten an die richtige Stelle, an der sie dann doch ihr Geld lassen. Der Auflage habe es nicht geschadet, meinte, wohl gar nicht so recht süffisant, einer der an so einem Informationsfluss beteiligten Zeitungsmacher. Anything goes? Nun, die Reality-Soap "Linux, LAN, Leitartikel" im Heise-TV wird es wohl doch nicht geben, stattdessen müssen sich die Leser mit dieser meiner kleinen Nische im Heise-Ticker begnüngen.

Was wird.

Es gibt Wochen, in denen die Vorschau so mager ist, das man abschalten möchte oder sich allen Ernstes von Sat.1 und seinem "Liebe, Lügen, Leitartikel" inspirieren lassen muss. Diese Woche aber hat es, allem Pisswetter zum trotz, mit uns gut gemeint. Überall in dieser Republik ist etwas los. Das Highlight ist zweifellos im Süden das Vintage Computer Festival 2.0 in München, wo die Freunde des heißen Kolbens zusammentrefffen. Wie heißt es dort so schön: "Also lasst uns zurückkehren in die Guten Alten Tage, als Hacker noch keine Sicherheitsberater, Bytes noch keine Megabytes und Kleine Grüne Männchen noch Kleine Gruene Maennchen waren!" Dort findet vielleicht wieder das Nerdquiz assoluta statt, an dem just diese Geeks teilnehmen, die nach den neuesten Untersuchungen eigentlich auch bei Beate Uhse im TV auftreten könnten.

Noch vor dem romantischen Blick auf die trüben grünen Schirmchen (oh lieblich das Gelbblau von Ericsson, das Bernstein/Orange von Triumph-Adler...) können wir ein Auge auf Leinwände und andere Projektionsflächen werfen, wenn das European Media Art Festival im Norden die Tore öffnet und Streaming Media wie schwerste Denkarbeit angesagt ist. An jedem Tag dieses Festivals der kommenden Webkunst gibt es eine Vorführung von Kubricks Odyssee im Weltraum, die mich bis an mein Kolumnenende verfolgen wird. Was sagt uns das? Mein Ende wird bitter sein, mit einem gewirbelten Knochen, einem Bobo, der die Sargnägel reinhämmert, einer Hölle, in der mir pausenlos meine OS/2-Artikel vorgelesen werden, und auf den Sarg flattern unaufhörlich Wetterberichte mit einem hübschen GPL-Anhang. You may distribute this wheather freely... führt uns natürlich nach Dortmund, wo am Wochenende die erste deutsche Oekonux-Konferenz stattfinden wird. Sie bietet der Beate-Uhse-WG von '68 längst entrückten unabwaschbaren Hardcore-Pinguinen Themen wie "Produktivkraftentwicklung unter GPL" oder die Actonomy als Fortentwicklung der Kampfkraft der Arbeiterklasse. Mit 19 Web-Kameras, die die Entwicklung der Wurst bei Beate Uhse zeigen. Oder war es doch die "Halb-private post-hegelianische Höschen-Phantasie", die Keith Sanborn bei den Osnabrückern zeigt? Nach Ostern sind alle Eier grau. (Hal Faber) / (jk)