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Was war. Was wird.

Der Zeitgeist hat Hal Faber erwischt -- oder ist es nur ein Schnupfen? Der Worte sind jedenfalls noch lange nicht genug gewechselt.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In Süddeutschland tobt Willi, in unserer im restlichen Deutschland als langweilig und wenig attraktiv eingestuften norddeutschen Tiefebene dagegen stöhnen die Einwohner unter 30 Grad im Schatten und prallem Sonnenschein. So müssen sich also auch die Menschen im Rest von Deutschland dumme Bemerkungen aus dem mediterranen Hannover gefallen lassen – aber das ist vielleicht immer noch besser als die Nase noch weiter nördlich hinaus zu strecken. Dort nämlich stößt man auf das Wort, das manch Leser des Heisetickers inzwischen zur Weiß- oder Was-auch-immer-Glut treibt: Bobo. Genau: Bobo, Bobo, Bobo. Wie oft soll ich es noch sagen, bis es reicht: Bobo, Bobo. Das Ende all der Überflieger und nervtötenden Besserwisser der New Economy, dieser Bobos eben, lässt endlich den Kommentar eines konservativen US-Journalisten, unabhängig von seinem ernst gemeinten Inhalt, zum Allgemeingut des deutschen Feuilleton und all der gequälten, immer noch aktiven Zeitgeistdiskutierer werden. Was die Leser des Heisetickers entweder zum Erkennungssignal oder zum Hassobjekt erkoren haben, dringt in die hehren Sphären der deutschen Kultur ein. Nachdem schon der Spiegel unserem Helden der New Economy einen ganzen Artikel widmete, entdeckt nun auch die gute alte Tante Zeit die Schöpfung von Brooks. Ach, wärest Du doch bei der Aufdeckung des Leuna-Skandals geblieben – die Kommentare Tita von Hardenbergs, ihres Zeichens Polylux-Moderatorin und nebenbei ständige Kolumnistin des Versuchs, mit einem so genannten Leben einen Ersatz für das Zeit-Magazin zu schaffen, zeugten bislang schon für den Größenwahn zeitgeistiger Zeitungsmacher, die den Wörtern und den Bildern mehr Gewicht einräumen als dem Wort.

*** Je länger man aber ein Wort anguckt, desto fremder ruft es zurück. Das wusste schon Alexander Kluge, der gerne als Filmemacher und Rechtsanwalt bezeichnet wird und vor dem die FAZ bewundernd knickste: "Mit der einen Hand hält er technisches Gerät an den hämmernden Puls des Zeitgeistes, mit der anderen einen weichen Bleistift." Aber was passiert mit dem technischen Gerät, wenn es an den Zeitgeist kommt? Wird es da nicht kaputt gehen? Das muss doch jeden Techniker bekümmern. Die Worte scheinen es jedenfalls nicht zu bringen, da ist selbst ein weicher Bleistift härter. Nehmen wir den sicheren Hafen, in dem Schiffe eigentlich unsinkbar sein müssen. Im Cyberspace wurde der Safe Harbour draus, in dem Firmen-Dickschiffe vor Anker gingen und dafür großes Datenleck kassierten. Oder den Heiligen des E-Kommerz, der gerade verurteilt wurde und mit einer psychiatrischen Behandlung das Gefängnis umgehen kann. Was ist von einem Heiligen zu halten, der sich schuldig bekennt und damit eine eingehendere Untersuchung über die Rolle von Hackern verhindert, die Datenlecks aufstöbern?

*** Der Heilige aber schwimmt auf den großen Wellen, die der Zeitgeist so auslöst. Vielleicht ist nicht nur der Puls des Zeitgeistes in Ordnung, sondern der Geist höchstselbst. Google, von manchen Fans des Heisetickers schon als die Inkarnation der Wahrheit heilig gesprochen, hat seine eigene Zeitgeist-Ecke aufgemacht und sie ist lustig geworden. Der 117 Jahre alte Zeitgeist (danke, Google) ist also das, was die Menschen suchen, und er kann sich täglich oder wöchentlich ändern. Das macht der schnelle, hämmernde Puls. Heute wird Paula Poundstone angebetet, morgen vielleicht Becky Thatcher. Der Zeitgeist ist wankelmütig und vor allem eine saubere Haut, die keine Suche nach dicken Möpsen, Muschis und Sexsklaven kennt (insert your favorite vouyer-mode here). Denn alle Suche will nur eines, das wusste doch schon Nietzsche.

*** Ach Zeitgeist, Google doch selber! In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts kamen Massenmedien wie Kino und Radio in Schwung, da wurde der Zeitgeist nur lästig und in die "Moderne" umgetauft. Als die Moderne aus der Mode kam, wurde sie von der Postmoderne abgelöst. Dem Zeitgeist nach begann die Ablösung in den tumultiven 60er Jahren, doch bis der Begriff kam, dauerte es noch eine Weile. Die Sache begann ganz unscheinbar vor 30 Jahren mit einer Bemerkung eines kanadischen Wissenschaftlers, der sich über sein Land und dessen Abhängigkeit von den USA ärgerte. Dallas W. Smythe schrieb im Juli 1971 vergnatzt, dass die Zeit nicht mehr weit ist, bis alles Wissen der Welt in einer Datenbank gespeichert werde, die natürlich den Amerikanern und IBM gehöre. Nun war Symthe kein Unbekannter, sondern ein etablierter linker Wissenschaftler, der bereits in den 60er Jahren auf die Folgen der Satellitentechnik aufmerksam machte. 1977 gründete er mit anderen eine Untersuchungsgruppe, die als MacBride-Kommission der UNESCO bekannt wurde und den "Free Flow of Information" unter die Lupe nahm, der ebenso frei wie einseitig war. Was Symthe unter dem Titel "Dependency Road" veröffentlichte, beschäftigte seine Landsleute. Also schrieben die Kanadier verschiedene Wissenschaftler an, wie das denn mit dem Wissen in Datenbanken sei. Auf den Call for Papers über "Knowledge in Computerized Societies" antwortete auch der Franzose Jean-Francois Lyotard. "Nehmen wir also an, dass eine Firma wie IBM berechtigt sei, einen Streifen rund um die Erde zu besetzen und darauf Kommunitaionssatelliten und Datenbanken zu installieren", schrieb Lytoard und meinte, dass damit das "postmoderne Wissen" in die Welt komme. Mit diesem Aufsatz kam die Postmoderne in die Welt und es wurde viel über das Ende der Geschichte geschrieben, nicht über EOF der Datenbanken. Natürlich ist das Wort heute eigentlich tot und Eigentum von Amazon; es führt bestenfalls in eine andere Datenbank. Heute bleibt also nur die Binsenweisheit von Frédéric Beigbeder: "Der Tod ist der einzige Termin, der nicht in Ihrem Organizer steht." Es sei aber wenigstens dieser Kolumne (und möglicherweise auch dem Heisticker in seinen genialen Stunden) gestattet, sich gegen all den Unsinn an die Worte zu halten. Lyotard jedenfalls hatte philosophisch gesprochen und so sollte es philosophisch weitergehen. Seine Forderung, dass die Öffentlichkeit freien Zugang zu den Datenspeichern und Datenbanken haben müsse, wurde jedoch wenig beachtet. Sie sei hier – gegen all die Beigbeders – wiederholt.

*** Und morgen? Was bleibt in der Postpostmoderne? In einer Zeit, in der das Wissen so gründlich abseits jeder Öffentlichkeit entsorgt wird, dass man sogar das Rad als Erfindung patentieren lassen kann? Natürlich bleiben die Datenbanken, erst recht bleibt IBM, und mit iSCSI und ISNS hat diese Firma auch das Zeug, um ihren Datenbankgürtel um den Planeten zu schnallen. Wenn der Äquator zum IBMator umbenannt ist, dann macht es vielleicht Sinn, dass Microsoft sich Belize kauft und Bill Gates ein echter Prinz wird.

Was wird.

Vielleicht sind IBM und Microsoft dann ja endlich am Ziel angelangt. Vor einigen Jahren schon traten sie diesen Kreuzzug an; unter dem Label OS/2, der nach Gates' Ansicht zum damaligen Zeitpunkt wichtigsten Entwicklung der EDV-Industrie, war der Weg vorgezeichnet. Heute fristet das System ein (selbst von IBM) weitgehend unbeachtetes Dasein. Die ganze EDV-Welt ist beherrscht von Windows und Linux – die ganze Welt? Nein.... Man verzeihe mir die Reminiszenz an Kindertage, als der neue Band von "Asterix & Obelix" noch heiß begehrt erwartet wurde. Was Uderzo heute bietet, ist noch schlechter als die Unterstützung von IBM für OS/2. Aber trotzdem halten ein paar Unentwegte die Fahne hoch und veranstalten Konferenzen über das erste, vernünftig einsetzbare Multitasking-System für Intel-PCs – müssen aber im November nach Belgien ausweichen. Wünschen wir ihnen mehr aktuelle Relevanz als den historischen Errungenschaften des von IBM ungeliebten Systems. Verdient hätten die OS/2-Fans dies allemal – immerhin kann man dem Betriebssystem nicht absprechen, auch heute noch für die meisten Menschen, die von ihrem Rechner nicht mehr als einfaches Funktionieren erwarten, weitaus besser geeignet zu sein als das allseits gehypte Linux. Über dessen Erfinder werden geschwätzige Autobiografien geschrieben – der Entwickler der 32-Bit-Version von OS/2 hat dagegen selbst ein Buch geschrieben, zu dessen Lektüre mancher neuzeitliche Betriebssystemdesigner heute noch zwangsweise verdonnert werden müsste. (Hal Faber)/ (jk)