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Was war. Was wird.

Revolutionen fressen ihre Kinder - auch Novell, Apple, Bill Gates oder Linux. Aber Revolutionen sind ja auch nicht mehr das, was sie einmal waren, meint Hal Faber.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Zum deutschen Michel gehört in der Karikatur seit altersher Schlafmütze und Schlafrock, so wie der nackte Busen bei der französischen Marianne Standard ist. So gesehen war es fortschrittlich, dass Microsoft zum deutschen .NET-Summit am Donnerstag in Düsseldorf allen Journalisten noble Schlafanzüge schenkte. Die französische Version der Veranstaltung wartete mit Kopf- oder Halstüchern auf. Unwahr aber ist, dass die Journalisten zu einer Pyjama-Party mit Bill Gates auflaufen mussten, um das Erscheinen von "Windows 2000, dem ersten Betriebssystem mit Unterstützung für XML" zu feiern. Wer Gates' Rede über die weltumspannende Bedeutung von XML mitnahm, bekam zum Schlafanzug den passenden Morgenmantel. Hoffen wir, dass es keine bleibenden Schäden hinterlässt, wenn hart gesottene Journalisten in diesem Outfit mit ihrem Tux-Kuscheltier ins Bett steigen. Schließlich gibt es nicht nur den mild gestimmten Bill Gates, der diese Woche Millionen für die Aids-Forschung spendete, sondern auch Produktmanager wie Doug Miller, die den Niedergang von Linux erblickt haben.

*** Schlafanzüge und Zipfelmützen mögen zwar bei manch gestresstem Gates-Zuhörer als Spenden durchgegangen sein, an anderer Stelle erwartet man aber mehr. Bei den bekannt gewordenen Spenden von Bill Gates machte mich im letzten Jahr eine Gabe an die American Legacy Foundation stutzig. Schließlich kennt man ja das Gerede von den Legacy-Applikationen. Gerade erst in der letzten Woche kam eine deutsche Pressemeldung der Firma Intercomp, die vor dem "unrühmlichen Green Screen von Mainframe-Systemen" warnte, die gesundheitsschädlich seien. Doch nein, die American Legacy Foundation widmet sich den Rauchern und legte das Geld von Gates trefflich an: Über 4.000 Dokumente zu den Praktiken der Tabakhersteller sind nun dank einer Spende über 15 Millionen US-Dollar im Web verfügbar. Dafür könnte man Bill Gates danken, aber nein, die typisch micheldeutsche Krittelei hört einfach nicht auf. Heute (wenn der geneigte Leser sich diese Kolumne brav am Sonntag zu Gemüte führt) sendet der Hörfunksender WDR III eine Art Kritik unter dem Titel "Triumph der Nerds", die mit Bill Gates schlimmer abrechnet als der Holländer Max de Brujn in seinem Buch "Wie werde ich Bill Gates?" (Lösung: Als Kind Mehlwürmer essen). Was an der Sendung des WDR wirklich stutzig macht, ist die Aussage, dass die Arbeit bei Microsoft der Olymp eines jeden Programmierers ist. Aha. Und in Walhalla gehen nur die Suffbrüder von der Linux-Fraktion ein.

*** Aus Walhalla aber zurück in die harte Realität Norddeutschlands. Ein DV-technisch scheinbar unergiebiges Treffen ist ein anderes Gelage, die Osnabrücker Mahlzeit, die von einem Grünkohlkönig präsidiert wird. Voller Stolz präsentiert sich die Völlerei als größter Männerstammtisch Europas. Zur Mahlzeit wird der Grünkohlkönig für das nächste Jahr gewählt, heuer der Chef eines lokalen Autowerks, der anwesenden Mercedes-Managern "die auf Stahl gravierte Internet-Adresse Mercedes.100.com" überreichte, der schöneren Bildlichkeit halber direkt auf einen Laptop-Schirm aufgeklebt. "Die Herausforderung Internet macht auch vor dem Grünkohl nicht Halt", unkte der König. Richtig, vor allem bei den Beilagen: Die "Great Culinary Search for Delicious Aliens" ist in Zeiten von BSE beliebter als seti@home oder die kommende Kepler-Mission. Vom Mercedes sei der Schwenk zu Volvo gestattet, wo findige Marketing-Manager den Terminus Technicus Revolvolution besetzten. Unter Hinweis auf die millionenschwere Kampagne (und entsprechenden Schadensersatz) versuchte man, auch Revolution.com zu bekommen, mit der hübschen Argumentation, dass die Revolution auch nicht mehr das ist, was sie dereinst war. Heutzutage ist die Revolution eine Website fürs Shopping, ein kleines Licht oder "some errors encountered".

*** Und da die Revolution wirklich nicht mehr das ist, was sie einmal war, steht mancher, der sie verpasst hat, im Regen. Steinewerfenderweise durch Frankfurts Straßen gezogen zu sein hindert heutzutage nicht, auf der Münchner Konferenz zur Sicherheitspolitik eine europäische Armee als Ergänzung zur NATO zu propagieren. Da kann man auch als Friedrich Merz nicht hintanstehen. Es reicht keineswegs, beim Gegner geschichtsklitternd wirksam zu werden und die "klammheimliche Freude" zum Generalangriff auf die Demokratie zu stilisieren, da muss gleich noch eine eigene "gebrochene Geschichte" hinzu, wie sie mittlerweile so beliebt ist. Mit gebrochener Geschichte führt man eben heutzutage Kriege im Kosovo oder zwingt Internet-Nutzer zwangsweise zur Identifizierung. Kein Wunder, dass Merz sowas auch haben will – seine gebrochene Geschichte bleibt aber wohl bei Jung-Merz auf der Kreidler Florett hängen, über die Dörfer knatternd und Kühe verdutzt zurücklassend. Wenn nicht gleich die endlich gefundene Ursache für BSE, dann ist dies immerhin doch auch eine Art von Revolution, zumindest für die CDU. Früher lag unter dem Pflaster der Strand und man wünschte sich die Phantasie an die Macht. Heute kommt sie mit F daher und ist nicht an der Macht, sondern in den fiebertaumelnden Köpfen seltsamer Leute mit seltsamer Software. Und statt unter dem Pflaster den Strand findet man per Digicam in Footballstadien Schwerverbrecher. Ob auch die Spieler von den Kameras zwecks Verbrechensbekämpfung erfasst wurden, teilten die Polizeibehörden in Tampa nicht mit.

*** Nur wer die Phantasie hatte, unter dem Pflaster den Stand zu suchen, wurde fündig. "L'imagination aux pouvoir" hieß das. Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll – das war auch ein Merksatz, der sich vielen Leuten einprägte. Nun, vieles ist anders geworden. Man schreibt Fantasie und redet von McMagination. Besser? Jedenfalls für Compaq, denn hinter McMagination verbirgt sich ein von den Texanern entwickeltes Kiosk-System, das nun in vielen McDonalds-Buden in den USA und Europa als "In-Store-Computersystem" mit jeweils 12 Computerspielen installiert werden soll. "So wird auch Kindern, deren Eltern über keinen Computer verfügen, der Anschluss an die Technologiegesellschaft in einer Umgebung, der Erziehungsberechtigte vertrauen können, ermöglicht", teilte McDonalds diese Woche mit. Und Compaq ergänzt, "dass Compaq dabei hilft, die Kreativität und das schöpferische Potenzial von Kindern zu entfalten". In den USA, wo die ersten McMaginations bereits installiert wurden, gibt es Beschwerden. Die kreativen kleinen Schöpfer wünschen sich Quake, Doom und Half-Life.

*** Wie viel Fantasie gehört dazu, aus Novell Volera zu machen? Ganz so weit ist es zwar noch nicht, aber mehrere Millionen Dollar soll allein die Suche nach diesem Namen gekostet haben, unter dem der einstige rote Netzwerk-König die Mutation zum Grünkohlkönig oder zum Kaiser aller Web-Caches schaffen soll. "Solange das Internet keine Fernsehqualität hat, steckt es noch in den Anfängen", verkündete Novell am Freitag und gründete eine neue Firma. Gelingt der Trick, kann man die lästige NetWare an ein Startup verkaufen, in der Bobos einen dieser mit Pez gebauten Business-Pläne entwickeln. Es ist sehr lange her, da lief die besagte NetWare auf Apple-Rechnern, ehe zum 286er Intel migriert wurde. "NetWare wird existieren, solange Apple existiert", sagte damals Ray Noorda. Profettore, profittore?

*** Viel Fantasie bewies auch eine andere seltsame Gruppierung, die ewig auf der Suche nicht nach dem Strand unter dem Pflaster, dafür aber nach dem verlorenen Wähler ist. Eigentlich eine gute und längst fällige Idee, mit der das Thomas-Dehler-Haus in der vergangenen Woche die Web-Gemeinde überrascht hat. Über das künftige Bundestagswahlprogramm der Liberalen sollen nicht wie üblich Kommissionen und Auschüsse entscheiden, sondern Otto Normalsurfer. Motto: "mitdebattieren, mitabstimmen". Offenbar tragen die hitziger Partizipationsdebatten der 60er und 70er nun doch noch späte Früchte. Dabei ist die Idee der Liberalen längst noch nicht ausgereizt – mit etwas Fantasie an der Macht in der Pünktchen-Partei ließen sich auch ganz profane Probleme des liberalen Alltags sozusagen web-demokratisch lösen. Etwa die Frage, wer im Girlscamp die FDP-Fahne hissen darf. Westerwelle? Oder doch besser der Möllemann? Das könnte spannend werden. Für Westerwelle spricht eindeutig die bessere Föhnfrisur und Big-Brother-Erfahrungen. Dagegen ist Möllemann unbestritten der begabtere Fallschirmspringer, landet aber wie im Parkstadion gelegentlich auf dem Bauch. Sowas kommt im Girlscamp sicherlich nicht gut an.

Was wird.

Die Ausschau auf die nächste Woche ist verschneit. Hier ein Kongresschen, dort ein Plenum. Vielleicht bringt es ein Ereignis wie die Wincor World 2001 in Paderborn, angepriesen als wichtigster Treff aller Bankautomaten. In diesem Jahr soll gezeigt werden, wie sie olfaktorisch arbeiten, also den Menschen an PIN-Nummer und Geruch erkennen können. Ein Stück des Weges weiter warten die Geräte, die unseren Gen-Code dechiffrieren, ehe sie ein paar Hunnies ausspucken. Am Ende der Woche öffnet die Multimedia-Messe Milia in Cannes ihre Pforten. Sie wirbt mit dem Slogan, dass alle Menschen bald in www träumen – gemeint ist wohl eher html oder vielleicht auch http. Oh Marianne, la révolution n'est plus ce qu'elle était – und wo ist meine Schlafmütze? (Hal Faber) / (jk)