"Die NASA verharrt in ihrer Vergangenheit"

Der frühere NASA-Astronaut und Gründer Franklin Chang Diaz über die Probleme der NASA, die Rolle privater Unternehmen und den neuen Ionenantrieb VASIMR.

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Von
  • Brittany Sauser

In einigen Wochen wird US-Präsident Barack Obama über das bemannte Raumfahrtprogramm der USA entscheiden. Das von Obama eingesetzte Augustine-Komitee hat in seinem Report empfohlen, die private Raumfahrtindustrie künftig stärker einzubinden, um die Kosten zu senken. Das sieht auch der frühere Astronaut Franklin Chang Diaz, Präsident der Ad Astra Rocket Company, einem NASA-Spin-off, so.

Ad Astra entwickelt derzeit einen neuen Ionenantrieb: die "Variable Specific Impulse Magnetoplasma Rocket" (VASIMR), die im Weltraum eines Tages chemische Raketentriebwerke ersetzen soll. Vergangene Woche schaffte das Unternehmen erstmals die wichtige Leistunsmarke von 200 Kilowatt. 2013 soll VASIMR einsetzbar sein. Technology Review sprach mit Diaz am Rande des Space Investment Summit in Boston über den Beitrag, den private Unternehmen im All leisten können.

Technology Review: In Ihrem Vortrag haben Sie die NASA als „Opfer ihres eigenen Erfolgs“ bezeichnet. Jetzt schlage die Stunde der privaten Raumfahrtunternehmen. Können Sie uns das näher erläutern?

Franklin Chang Diaz: Die NASA hat die Raumfahrt mit den Mondlandungen entscheidend vorangebracht. Seither hat sich die Welt verändert, aber die NASA nicht. Sie verharrte in ihrer ruhmreichen Vergangenheit der Apollo-Tage. Die NASA von heute ist im Wesentlichen noch immer die NASA der sechziger Jahre. Ich meine das nicht einmal abwertend. Was sie erreicht hat, war großartig und hat die Leute fasziniert.

Durch die Fixierung auf die Vergangenheit ist jedoch ein Loch entstanden, in das jetzt die Privatwirtschaft stößt.Sie wird die Lücke schließen, die derzeit bei den Verbindungen in niedrige Umlaufbahnen klafft. Dann kann sich die NASA wieder auf ihre eigentliche Aufgabe besinnen, nämlich die Erschließung neuer Horizonte.

Soll die Privatwirtschaft das Basislager bauen und die NASA den Gipfel ersteigen.

TR: Es gibt einige Firmen, die Raketen in niedrige Orbits bauen wollen. Einige sind aber noch mit in der Entwicklung und brauchen Geld. Ist es wirklich realistisch, dass die Privatwirtschaft das hinbekommt?

Diaz: Auf jeden Fall. Raketen sind ja keine neue Erfindung. Erste, zuverlässige Raketen wurden bereits im Zweiten Weltkrieg gebaut und von der NASA in den fünfziger und sechziger Jahre perfektioniert. Diese Raketenantriebstechnik ist längst nicht mehr eine Sache der Forschung. Wir brauchen jedoch fortschrittlichere Antriebe, und hier eröffnet sich tatsächlich ein völlig unerschlossenes Forschungsfeld. Viel ist bisher nicht passiert. Es muss aber viel passieren, weil wir mit chemischen Raketenantrieben nicht zum Mars kommen. Die sind zu anfällig und gefährlich für eine solche Mission.

TR: Sie entwickeln selbst ein Antriebssystem für Missionen außerhalb des Erde-Mond-Systems. Wie weit sind sie damit?

Diaz: Wir arbeiten daraufhin, den VASIMR-Antrieb zur Internationalen Raumstation zu bringen (ISS). Es handelt sich um eine 200-Kilowatt-Plasmarakete. Sie wird der stärkste Antrieb sein, der je für Reisen im Weltraum gebaut worden ist. Der Prototyp wird gerade in unserer Anlage in Houston getestet. Wir haben die Leistung in den letzten Monaten Schritt für Schritt nach oben geschraubt. Unser Ziel sind 200 Kilowatt. Das ist die Leistung, die Sie brauchen, um die ISS zu manövrieren. Die haben wir nun erreicht, tatsächlich sogar 201 Kilowatt. Das war wirklich aufregend, weil der Durchbruch gelang, während ich hier in der Konferenz saß. Ich bekam laufend SMS.

TR: Wie sieht der nächste Entwicklungsschritt aus?

Diaz: Als nächstes werden wir die Flugeinheit bauen, die im Oktober 2013 startklar sein wird. Wir bauen sie dann in die ISS ein und testen sie dort. Wenn alles klappt, können wir mit dem Antrieb die Lage der ISS nachjustieren und sie wieder in eine etwas höhere Umlaufbahn bringen, wo die Luftreibung schwächer ist. [Anm. der Red.: Gegenwärtig müssen diese Schübe noch von konventionellen angedockten Raketen vorgenommen werden]

TR: Gibt es ein Raumfahrzeug für den Antrieb, wenn der Einsatz an der ISS abgeschlossen ist?

Diaz: Wir sprechen zurzeit mit den Firmen SpaceX und Orbital Science, die bereits beide durch Verträge mit der NASA Zugang zur ISS haben. Wir könnten in einem der beiden Raumfahrzeuge das Andocksystem entwerfen.  Bis Ende 2010 werden wir uns für eins von beiden entscheiden.

TR: Inzwischen wird gefordert, die Regierung soll auch den privaten Raumfahrtsektor fördern. Wie finanzieren Sie sich?

Diaz: Ständig neue Investitionen aufzutreiben, ist immer ein Kampf. Wir schaffen das, indem wir unsere Meilensteine erreichen. Der Jüngste wird uns helfen, an neues Geld zu kommen. Es wäre sicher auch hübsch, Regierungsförderung zu bekommen. Als wir die Firma gründeten, war das ein Experiment zur NASA-Privatisierung. Die Voraussetzung war, dass wir das Projekt privat umsetzen. Die Technologie reift im privaten Sektor aus und wird dann wieder von der NASA übernommen. Da sind wir jetzt. Deshalb schauen wir, ob wir einen Vertrag mit der NASA schließen können, um unsere privaten Investitionen zu verringern. (nbo)