Zeitreise im Dinoknochen

Gebeine von Dinosauriern bergen ein reiches Innenleben. Um ihre Geheimnisse zu lüften, erforschen Wissenschaftler die Fossilien mit dem Elektronenmikroskop.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Ute Kehse
  • Susanne Katzenberg

Das Geräusch geht unter die Haut. Langsam drückt Martin Sander den Bohrer in einen versteinerten Knochen. Das gequälte Material wehrt sich mit einem schrillen Kreischen. Der Fortschritt der Forschung verlangt den Fossilien-Frevel. Denn noch immer sind viele Rätsel der Dinosaurier nicht gelöst: Warum konnten die Knochen dieser Tiere bis zu 100 Tonnen Lebendgewicht tragen? Wie wurde der riesige Körper der Sauropoden mit Sauerstoff versorgt? Die Suche nach Antworten ist kein Selbstzweck. Mit neuen Erkenntnissen hoffen Wissenschaftler, beispielsweise die Leistungsfähigkeit moderner Baustoffe erhöhen zu können.

Der Bohrer gräbt eine zylinderförmige Gewebeprobe aus dem Gebein, doch das ist nur der erste Schritt des zerstörerischen Werks: Sander, Paläontologe an der Universität Bonn, sägt die Knochenprobe noch einmal in der Mitte durch und trennt eine dünne Scheibe ab. Kollegen des Forschers traktieren das Gestein später mit Mikrobohrern, kratzen Splitter heraus, zermahlen es zu Pulver - um die Fragmente anschließend mit hochenergetischen Teilchen zu beschießen oder in intensiver Röntgenstrahlung zu baden. Die Paläontologie, die jahrzehntelang bei Analysemethoden von Beginn des 20. Jahrhunderts stehen geblieben war, hat wissenschaftlich nachgerüstet: Gründlich wie Gerichtsmediziner analysieren die Urzeitforscher heutzutage winzigste Spuren in versteinerten Knochen. Molekularbiologie, Isotopengeochemie und moderne bildgebende Verfahren zählen inzwischen zu ihrem Handwerkszeug.

Martin Sander hat sich ein besonders kniffliges Forschungsobjekt vorgenommen: Sauropoden, die größten Landlebewesen aller Zeiten. Kein neuzeitliches Tier erreicht auch nur annähernd das Ausmaß der vierbeinigen, pflanzenfressenden, langhalsigen Dinosaurier. Einer der größten dieser Kolosse war der Brachiosaurus brancai, der seinen Hals in zwölf Meter Höhe trug und es auf ein Gewicht von 75 Tonnen brachte. Wie die Urviecher solch eine gewaltige Körpermasse versorgen und bewegen konnten, kann sich bislang niemand erklären. Sander will das Geheimnis des Riesenwuchses nun lösen. Dafür hat er sich vor drei Jahren ein Team aus Physiologen, Materialwissenschaftlern, Geochemikern, Biomechanikern und Tiermedizinern zusammengesucht.

Gut 100 Knochenproben aus aller Welt hat Sander inzwischen zusammengetragen - das einzige, was von den Giganten übrig geblieben ist. "Knochen sind ein Kompositmaterial aus organischen und anorganischen Bestandteilen", erläutert der Forscher. Die organischen Kollagenfasern machen bei einem lebenden Wirbeltier etwa 30 Prozent des Knochengewichts aus. Bei der Versteinerung werden diese Eiweiße durch Mineralien ersetzt. "Die Struktur der Knochen auf Zellniveau bleibt aber erhalten", berichtet Sander.

Unter dem Mikroskop liest Sander in den Gewebeproben wie in einem Buch: Er kann junge und ausgewachsene Tiere unterscheiden, den Zeitpunkt der Geschlechtsreife erkennen und einzelne Knochen den Sauropoden-Arten zuordnen. Die Geschlechtsreife der Dinos interessiert Anke Pyzalla weniger. Die Mittdreißigerin leitet am Düsseldorfer Max- Planck-Institut für Eisenforschung (MPIE) die Abteilung für Werkstoffdiagnostik und Technologie der Stähle. Jetzt sucht sie nach strukturellen Unterschieden zwischen den Knochen heutiger Tiere und Saurierknochen, die zum Beispiel zu einer höheren Druckfestigkeit der Sauropodenknochen geführt haben.

Pyzalla steht dafür ein ganzes Arsenal modernster Analysemethoden zur Verfügung: An der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble hat die Forscherin hochauflösende Tomografien angefertigt, bei der ein dreidimensionales Netzwerk der versteinerten Knochenfasern sichtbar wurde. Aufnahmen mit dem Rasterelektronenmikroskop zeigen wenige Mikrometer dicke, konzentrische Lamellen, aus denen die einzelnen Knochenbausteine zusammengesetzt sind. Und mit einem Transmissions-Elektronenmikroskop machte Pyzalla die wenige Nanometer großen Grundbausteine der Knochen sichtbar, winzige Kristalle des Minerals Apatit.

Noch hat der ganze Aufwand nicht gezeigt, worin der entscheidende Unterschied der Knochen zwischen Dinosauriern und heutigen Säugetieren liegt. Vergleichsuntersuchungen, zum Beispiel mit Elefanten, sollen das ändern. "Wir sind noch mittendrin", sagt Eisenforscherin Pyzalla. (wst)