Wie funktionieren Deutschlands Leitungen?

Der Stromausfall am Samstag ist eine Überraschung für die deutschen Netzbetreiber. Denn im internationalen Vergleich gelten Deutschlands Netze als vorbildlich.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Jan Oliver Löfken

Noch wird Deutschland weltweit um die Zuverlässigkeit seiner Stromversorgung beneidet. 2004 musste durchschnittlich jeder Kunde nur 22,9 Minuten auf Strom verzichten. Zum Vergleich: Frankreich kommt auf 59 Minuten und die USA schätzungsweise auf über drei Stunden. Mit dem Stromausfall am Wochenende wurde diese Statistik aus deutscher Sicht allerdings gründlich verhagelt.

Wie ist es um das deutsche Stromnetz bestellt? Das engmaschige Netzwerk aus rund 1,6 Millionen Kilometern Leitungen, über 557.000 Transformatoren in großen und kleinen Umspannwerken und Hunderten von Leitstellen zur Kontrolle von Spannungs- oder Frequenzschwankungen leisteten bislang einen hervorragenden Dienst für das elegant geregelte Verbundsystem. Das ist von essenzieller Bedeutung, da das Netz selbst keine einzige Kilowattstunde speichern kann.

In Deutschland teilt sich das Stromnetz grob auf in das Übertragungs- und das Verteilnetz. Weite Strecken überbrückt das Netzwerk mit Leitungen auf Höchst- (380/220 Kilovolt) und Hochspannung (60 kV bis 110 kV). Großindustrie und das Versorgungsnetz für die Deutsche Bahn koppeln direkt an das Hochspannungsnetz an und spannen den 110-kV-Strom auf ihre Bedürfnisse herunter. Parallel wandeln regionale Umspannwerke mit haushohen Transformatoren auf Mittelspannung (1 kV bis 60 kV) um. An diesem Punkt verschwinden in Deutschland die meisten Leitungen unter die Erde. In lokalen Trafo-Stationen folgt der Übergang auf Niederspannung (230/400 Volt), bis der Strom schließlich aus der Steckdose zu Hause fließt.

Dieses Netzwerk ist so eng geknüpft, dass normalerweise auch durch Sturm, Schnee und Eis oder gar Sabotage geschädigte Leitungen binnen weniger Minuten abgeschaltet und umgangen werden können. Kaum eine Verbindung erstreckt sich länger als 100 Kilometer, ohne dass in einem Umspannwerk sowohl die aktuelle Spannung und die für Mitteleuropa möglichst konstante Frequenz von 50 Hertz des dreiphasigen Dreh- oder einphasigen Wechselstroms gemessen wird. Selbst der Ausfall von zwei Kernkraftwerken mit bis zu 3000 MW Leistung kann binnen 30 Sekunden von den Technikern in den Leitstellen erkannt und mit der so genannten Primärreserve ausgeglichen werden.

Ohne seine Nachbarn kann Deutschland diesen Technologiemaßstab nicht setzen. Um etwaige Versorgungslücken zu stopfen, hilft der Anschluss an den europäischen Netzverbund UCTE, die Union for the Co-ordination of Transmission of Electricity. Insgesamt versorgt es über 400 Millionen Verbraucher in 22 Staaten Mittel- und Südeuropas. Über diesen Verbund läuft auch der international gehandelte Strom, falls der nationale Stromverbrauch mal über der Produktion liegt oder Überschüsse an die Nachbarn verkauft werden. Allein im Januar 2006 wurden so insgesamt 25.713 Millionen Kilowattstunden über die Staatsgrenzen innerhalb der UCTE geleitet. Steigt in Spitzenzeiten der Verbrauch geplant oder unerwartet an, hält Deutschland darüber hinaus eine weitere Sekundärreserven von 3200 Megawatt vor. Dieser Strom kann binnen Minuten von Gasturbinen- oder Pumpspeicherkraftwerken bereitgestellt werden. Weit reichende Blackouts wie im August 2003 an der Ostküste der USA musste hierzulande bislang niemand fürchten. Der aktuelle Stromausfall lässt jedoch Zweifel an der hoch gepriesenden Zuverlässigkeit aufkommen. Politik und Wirtschaft fordern daher einen raschen Ausbau der Stromnetze.

Zum Ausbau des Stromnetztes hat Technology Review bereits in Ausgabe 9/2006 einen umfassenden Report veröffentlicht: (wst)