Topcased Days in Toulouse

Das Topcased-Projekt zur Entwicklung einer Sammlung sich in Eclipse integrierender Werkzeuge für komplexe technische Systeme.

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Von
  • Andreas Graf

Das außerhalb von Frankreich bislang eher unbekannte Topcased-Projekt zur Entwicklung einer Sammlung sich in Eclipse integrierender Werkzeuge für komplexe technische Systeme will auch außerhalb der Grande Nation größere Verbreitung erreichen. Auftakt könnten die ersten "Topcased Days" gewesen sein, bei denen sich Entwickler und Anwender trafen, um Erfahrungen und Pläne auszutauschen.

Topcased (Toolkit in Open Source for Critical Applications and System Development) ist eine Sammlung Eclipse-Werkzeuge für die System- und Softwareentwicklung im Bereich komplexer technischer Systeme. Ziel des dahinter stehenden Projekts ist es, die benötigten Werkzeuge von der Anforderungsanalyse bis hin zur Implementierung bereitzustellen. Topcased enthält grafische Editoren für UML, SysML, die strukturierte Analyse und AADL (Architecture Analysis & Design Language). Alle Modellierungssprachen sind mit Anforderungsmanagement und Dokumentengenerierung verbunden. Neben der Codegenerierung und grafischer Simulation berücksichtigt das Projekt einen grafischen Prozess-Manager (gPM). Da alle Komponenten auf Eclipse-Techniken basieren, arbeiten sie auch mit anderen Eclipse-Projekten wie QVT (Modelltransformation) oder M2T (Code-Generierung) zusammen.

Die ersten Ideen zu Topcased wurden 2004 geboren, als sich in Frankreich Großunternehmen, aber auch kleine und mittelgroße Firmen sowie akademische Institutionen zusammentaten, um mit einer gemeinsamen Werkzeugkette drei Anforderungen anzugehen: Die Entwicklungskosten sollten durch optimierte Prozesse und Werkzeuge gesenkt werden. Dabei wollte man die Langfristigkeit der entwickelten Angebote durch den Open-Source-Ansatz sichern. Nicht zuletzt war es Ziel, aus dem akademischen Bereich neue Talente und Forschungsergebnisse einbeziehen zu können.

Die Unternehmen der Initiative stellten ihren Vorschlag 2005 dem Förderprogramm "Aerospace Valley Cluster" vor, das Interesse zeigte. Nach dem ersten Release im Oktober 2005 veröffentlichte das Topcased-Projekt jährlich eine Version mit überarbeiteten und neuen Funktionen. Einen weiteren Meilenstein markieren die erste "Topcased Days", bei denen sich Entwickler und Anwender im Februar in Toulouse trafen, um Erfahrungen und Pläne auszutauschen.

Inzwischen ist das Projekt auf einen Umfang von über einer Millionen Zeilen Code angewachsen, an dem 50 Entwickler arbeiten. Die verbundenen Unternehmen erreichten mit Topcased über vier Millionen Euro Umsatz. Trotz der über zwanzig bekannten industriellen Projekte, die Topcased in Frankreich einsetzen, scheint der Bekanntheitsgrad in anderen Ländern noch gering zu sein. Mit über 90 Prozent war die Mehrheit der knapp 120 Teilnehmer Franzosen, der Rest verteilte sich auf Deutschland, Italien und USA.

Laurent Audounet von Rockwell Collins legte dar, wie sich durch den Einsatz von Modellen die Qualität der Anforderungsdokumente im Bereich "Airline Information Systems" deutlich steigern ließ. Die 40 Anwender verteilten sich dabei über Indien, Frankreich und die Vereinigten Staaten und erzielten den Nutzen durch automatisch generierte Dokumente, Vereinfachung des Workflows und verbesserte Konsistenz der Anforderungen.

Astrium, eine Tochtergesellschaft der EADS, stellte den Einsatz des Werkzeugs bei der Entwicklung von Satelliten-Software dar. Das erstellte Modell besteht aus 1000 Klassen mit Attributen und Operationen, aus denen ein angepasster Codegenerator die statischen Aspekte des Codes generiert, was circa 50 Prozent des Gesamtcodes ausmacht.

Auf der Podiumsdiskussion gab es durchaus differenzierte Meinungen.

Aus den Vorträgen wurde klar, dass sich der Einsatz von Open Source rechnet. Der für die Anpassungen erbrachte Aufwand lag deutlich unter den erforderlichen Lizenzkosten vergleichbarer kommerzieller Werkzeuge. Positiv betont wurde auch, dass als Endergebnis an die Prozesse angepasste Werkzeug stünden, wogegen manche kommerzielle Anbieter darauf beharrt hätten, die Prozesse an die Werkzeuge anzupassen.

Die Referenten verloren sich nicht in Lobhudelei, sondern stellten Vor- und Nachteile differenziert dar. In der ersten Podiumsdiskussion vertrat Franco Casperoni von AdaCore die Meinung, Open Source drehe sich primär um Freiheit; und zwar die Freiheit für Forschung und Entwicklung, innovative Ansätze umsetzen zu können, die Freiheit für die Anpassung an Prozesse und die für die langfristige Verwendung. Jean-Jacques Toumazet von Airbus stellte dem entgegen, dass der Freiheitsbegriff für die Luft- und Raumfahrt nicht charakteristisch sei: Hier führen einschränkende Rahmenbedingungen der Wartbarkeit über einen Zeitraum von mehr als vierzig Jahren zum Einsatz von Open Source. Im Wesentlichen war man sich darüber einig, dass Open Source die Verfügbarkeit der Werkzeuge sicherstellen kann.

Ralph Müller stellte die Wichtigkeit einer Community heraus.

Einig waren sich die Diskutierenden, dass ein funktionierendes Ökosystem wie bei Topcased essenziell für den Erfolg des Projekts sei. Diesen Punkt nahm auch Ralph Müller von der Eclipse Foundation auf, der am Gegenbeispiel des Eclipse-Projekts Open System Engineering Environment (OSEE) zeigte, wie Open Source nicht funktioniert. Die Prozessplattform OSEE fand viel Beachtung, als Boeing sie freigegeben hatte. Mangelnde Unterstützung der Entwickler und eine fehlende Community führten schnell dazu, dass das Projekt außerhalb von Boeing nicht zum Einsatz kam.

Dass diese Gefahr bei Topcased nicht besteht, verdeutlichten circa 40 technische Vorträge. Dabei wurde deutlich, dass sich auch einzelne Topcased-Komponenten in eigenen Projekten einsetzen lassen. Das MDT-Papyrus-Projekt zeigte die neuen Funktionen der SysML- und UML-Editoren. Obwohl sich das Projekt bei Versionsnummer 0.7 befindet, zeichnet sich eine interessante Alternative zu kommerziellen Werkzeugen ab. Noch sind nicht alle Aspekte der UML umgesetzt, dafür enthält das Tool in den kommenden Versionen interessante Funktionen bei der Modellierungsunterstützung über tabellarische Masken oder domänenspezifische Sprachen.

Die Komponente gPM (generic Process Management) unterstützt die Definition von Prozessen und Workflows. Im Gegensatz zu vergleichbaren Tools laufen diese nicht nur in einem Browser ab, sondern die Ein- und Ausgabemasken funktionieren direkt in Eclipse.

Die starke Unterstützung durch die Industriepartner und der praktische Einsatz führen dazu, dass die Projektpartner den Funktionsumfang von Topcased kontinuierlich erweitern. Für die nächsten Releases sind eine verbesserte Animationsunterstützung, ein überarbeiteter Modellvergleich, die Unterstützung grafischer domänenspezifischer Sprachen und weitere Codegeneratoren geplant.

Der Bekanntheitsgrad von Topcased scheint in Deutschland noch gering zu sein – zu Unrecht. wie die praktischen Erfahrungen der Industriepartner zeigen. Auch die Leitung des Projekts hat das erkannt und plant nächste Schritte, um das Werkzeug zum Beispiel in der Automobilindustrie international bekannter zu machen. Ein Schritt dazu ist, dass die Offenheit des Projekts sich in der Freigabe aller Konferenzpräsentationen auf der Website widerspiegelt. Der Konferenzbesuch lohnte sich dennoch, denn die ein oder andere Information über den erreichten Nutzen, Kosten oder die strategische Ausrichtung der Industriepartner kommt zusätzlich über den Flurfunk.

Andreas Graf
ist für die Ausrichtung des itemis-Angebots im Bereich Automotive verantwortlich. Gegenwärtig initiiert er mit OEMs und Zulieferern die Eclipse Autmotive Industry Working Group. (ane)