Therapien vom Hund

Das Erbgut unseres besten Freundes könnte Forschern künftig helfen, Erkrankungen wie Blindheit, Krebs oder Diabetes besser zu verstehen.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Emily Singer

Der Hund ist ein Hochstapler. Listig hat er sich das Vertrauen des Menschen erschlichen – und steht unbestritten an der Spitze des Rankings um den treuesten Gefährten. Doch das tägliche Füttern, Liebkosen und Verwöhnen hat seinen Preis – Übergewicht, Diabetes, Herzkreislauf-Erkrankungen machen sich nicht nur in Kinderzimmern, sondern auch in Hundehütten breit. Um den gemeinsamen Krankheiten auf die Spur zu kommen, entschlüsseln amerikanische Wissenschaftler das Erbgut verschiedener Hunderassen.

Erst vor etwa drei Jahren war der Mensch an der Reihe. Mit Hightech-Apparaturen konnten Forscher die letzten unbekannten Bruchstücke der DNA entschlüsseln – die vollständige Folge aller ihrer Bausteine, der Nucleotide. Nun musste auch der erste Hund seine genetischen Geheimnisse preisgeben. Eine Gruppe von Wissenschaftlern am Broad Institute des Massachusetts Institut of Technology (MIT) hat bereits die gesamte Gensequenz des Boxerweibchens Tasha übersetzt. Und vor kurzem berichteten die Forscher, dass nun auch eine vollständige, wenn auch weniger detaillierte Genkarte von neun anderen Hunderassen, vier Wolfsarten und des Californischen Koyoten vorliegt.

Der umfangreiche Erbgut-Katalog soll den Wissenschaftlern helfen, die feinen genetischen Unterschiede zwischen den Hunderassen haargenau zu bestimmen: Welche Gene verschiedene Hundetypen ausmachen – etwa die, die einen Dackel von einer Deutschen Dogge unterscheiden. Ihre größte Hoffnung jedoch ist es, solche Gene zu isolieren, die einige Hunde sehr anfällig für Krebs und andere Krankheiten machen, die sie mit den Menschen teilen.

"Hunderte von Jahren sorgsamer Inzucht, um verschiedene Rassen zu kreieren, haben den Genetikern einen Traum eröffnet: Ein Modell für Erbgutkrankheiten des Menschen,” sagt Hans Ellegren, ein beteiligter Evolutionsbiologe an der Universität von Uppsala in Schweden.

Die Wissenschaftler durchforsteten das Hunde-Erbgut nach vereinzelten Genveränderungen, so genannten Single Nucleotid Polymorphismen (SNPs). Diese winzigen Variationen der DNA–Bausteine innerhalb eines eigentlich identischen Erbguts sind für die Unterschiede zwischen Hunden verantwortlich – sie machen aber auch die Einzigartigkeit jedes Menschen aus. Solche SNPs werden in kleinen und größeren Einheiten, den Haplotypen, weiter vererbt. Die Haplotypen von Hunden sind im Vergleich zum Menschen ausgesprochen lang: Sie umfassen über eine Millionen Basenpaare der DNA; die des Menschen lediglich 25.000.

Die Länge der Haplotypen ist nicht nur ein Indikator für die starke genetische Ähnlichkeit einer Art. Es erleichtert auch die Suche nach Krankheitsgenen. Die Forscher suchen nicht mehr nach einer Nadel, sondern vielmehr nach einer Spitzhacke im allseits bekannten Heuhaufen. "Es ist 50.000-mal einfacher diese Gene in Hunden zu finden, als im Menschen", sagt Elinor Karlsson, eine Doktorandin an der Universtität von Boston und dem Broad Institute, die das Hunde-Erbgut für dieses Projekt analysierte.

Um etwa ein Gen zu finden, das Knochenkrebs verursacht, nahmen sich die Wissenschaftler zunächst nur das Erbgut einer einzigen Hunderasse vor. Sie hielten nach Haplotypen Ausschau, die einzig bei krebskranken Tieren vorkamen, in der Annahme, dass auch die krebsgeplagten Hunde anderer Rassen ähnliche SNP-Muster in sich tragen würden, die jedoch anders auf den Chromosomen angeordnet sind. Diese Informationen soll ihnen helfen, die Bereich auf den Chromosomen einzuengen, in denen die Krebs-assoziierten Gene liegen.

Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher im renommierten Fachmagazin Nature und präsentierten sie auf der Bay Colony Cluster Hunde-Show in Boston, wo sie weitere DNA-Proben der bellenden Teilnehmer für künftige Anlysen entnahmen. Ein grober Entwurf des Pudel-Erbguts wurde bereits 2003 publiziert. Aber nach Aussagen Eric Landers, Direktor des Broad Institutes und Senior-Autor der Nature-Veröffentlichung, hängt die neue Sequenz sehr viel enger zusammen als die vorgehende Analyse. Außerdem sei sie für alle anderen Arbeitsgruppen frei verfügbar im Internet erhältlich, sagt Lander. Er erwartet, dass es schon bald, in den nächsten ein bis zwei Jahren, die ersten Hunde-Genchips geben wird ähnlich denen, die für Menschen bereits eingesetzt werden – um zu prüfen, wie die verschiedenen Gene miteinander interagieren.

Die Ergebnisse sollen Aufschluss über Krankheiten geben, die Hunde wie Menschen betreffen. Viele Hunderassen leiden an Erbkrankheiten, die ihren Besitzern durchaus bekannt sind – Blindheit etwa oder Autoimmunerkrankungen. "Weil diese Hundekrankheiten dazu neigen, gehäuft in einigen Rassen (wie die Hüft-Dysplasie der Golden Retriever) aufzutreten, ist die Chance, die verantwortlichen Gene zu finden, bei ihnen weitaus größer", sagt Ellegren.

So vergleicht Claire Wade, Genetikerin am Massachusetts General Hospital in Boston und Autorin der Publikation, das Erbgut von Windhunden und Rottweilern – zwei Rassen, die für Knochenkrebs sehr anfällig sind –, um genau diese Gene zu finden. Ihre Arbeitsgruppe geht jedoch noch weiter. Die Wissenschaftler planen, auch nach den Ursachen für Brustkrebs, Diabetes und Epilepsie im Erbgut zu suchen. Weiter könnten sie nach Veranlagungen für psychiatrische Probleme suchen, wie die Zwangsneurose, die einige Hunde befällt, und mit Medikamenten behandelt wird, die auch beim Menschen eingesetzt werden.

Die Aussagekraft ihres Erbguts macht Hunde mit einem Mal zu begehrten Modellobjekten und setzt sie an die Spitze der Hitliste entschlüsselter Säugetier – auf eine Stufe mit Mäusen und Menschen. Mehr noch – Hunde verfügen über einige Vorteile gegenüber Mäusen, um Krankheiten zu untersuchen: Sie leben länger und teilen viel mehr als Mäuse die Lebensgewohnheiten des Menschen – und damit die daraus resultierenden Krankheiten. "Sie tragen nicht nur dieselben Bereiche auf unserer DNA, sie sitzen auch auf unseren Sofas, verspeisen unsere Leckereien, leben in unseren Häusern – das alles macht sie sie anfällig für Krankheiten wie Krebs und Diabetes", sagt Wade.

Die Wissenschaftler wollen mit ihrem neuen Genkatalog aber auch ererbtes Verhalten erforschen. Warum etwa Collies gute Hüter- und Herdenhunde und warum einige Hunde aggressiver sind als andere. Dieses klar vererbte Verhalten sei einer der ursprünglichen Gründe gewesen, warum die Forscher das Hunde-Genom angelockt hat, sagt Elain Ostrander vom Nationalen Hunde-Genom Forschungsinstitut. "Nun haben wir die Werkzeuge in der Hand, um sie wirklich zu studieren", sagt sie.

Doch die Ergebnisse lassen auch einen neuen Blick auf die Entwicklung der Hunderassen zu. Die Wissenschaftler konnten – wie erwartet – bestätigen, dass alle domestizierten Hunde vom grauen Wolf abstammen. Sie fanden aber auch den Beweis, dass viele der heute lebenden Hunde vermutlich aus einer kleinen Gruppe entstammt, die erst 50 bis 200 Jahre alt ist. Das würde bedeuten, dass sich die vielen Hunderassen, die wir heute kennen, erst vor kurzer Zeit entwickelten. "Obwohl alte holländische Gemälde aus dem 16. Jahrhundert Hunde zeigen, die den modernen Rassen sehr ähnlich sehen, sind diese Hunde den heutigen Vertretern wohlmöglich genetisch eben nicht ähnlich", sagt Wade. (wst)